Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans anders

Eine Tagung an der Luzerner Musikhochschule beleuchtete wissenschaftliche Aspekte des Musikunterrichts für ältere Menschen.

Im Jahr 2035 wird mehr als ein Viertel der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein. Die jungen Alten sind gesünder und vitaler denn je und ein grosser Anteil ist interessiert an einer aktiven und vor allem sinnvollen Freizeitgestaltung. Immer mehr ältere Menschen wollen noch etwas Neues lernen, früher Gelerntes auffrischen oder weiterentwickeln. Sie haben Zeit und Geld, viele verfügen über ein überdurchschnittlich hohes Vermögen. Die weit verbreitete Meinung, dass alte Menschen nichts mehr dazulernen können, ist längst widerlegt. Das wachsende Bevölkerungssegment 65+ stellt damit den Boom-Markt der Zukunft dar und bildet auch ein interessantes Zielpublikum für den Musikunterricht. Musikschulen verzeichnen eine Häufung von entsprechenden Anfragen.

Musikgeragogik ist hochschulwürdig
Mitte der Neunzigerjahre wurden in Deutschland an der Universität Vechta und der Fachhochschule Münster die ersten beiden Lehrstühle für Musikgeragogik eingerichtet. Musikgeragogik beschäftigt sich mit musikbezogenen Vermittlungs- und Aneignungsprozessen sowie musikalischer Bildung im Alter. Bei alten Menschen ergeben sich besondere didaktisch-methodische Anforderungen, die sich von der Musikpädagogik für Kinder und Jugendliche unterscheiden. Marc Brand, Dozent für Pädagogik, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Forschung und Entwicklung an der Hochschule Luzern und Organisator der Tagung, hält geragogische Kenntnisse bei Lehrpersonen von älteren Menschen für essenziell: «Die Lehrperson muss ältere Menschen mögen, sich für sie interessieren, Möglichkeiten und Grenzen älterer Schüler erkennen und einen etwas erweiterten kulturellen Horizont aufweisen». Junge Lehrpersonen sollen sich nicht scheuen, ältere Menschen zu unterrichten: «Sofern sie authentisch sind, haben sie keine Probleme.» Zudem können sie viel für den Unterricht mit Kindern und Jugendlichen profitieren.

Teilhabe in jedem Alter
Konzepte wie «Active Ageing» und «Live-Long-Learning» haben auch den Musikunterricht erreicht. Hans Hermann Wickel, Professor für Musikgeragogik an der Fachhochschule Münster, hebt hervor, dass «die Möglichkeit zur aktiven Teilhabe an der Musikkultur» älteren Menschen genauso offen stehen müsse wie den Jungen. Theo Hartogh, Professor für Musikgeragogik an der Universität Vechta, thematisierte in seinem Workshop die neurobiologischen, entwicklungspsychologischen und bildungstheoretischen Hintergründe des Musikunterrichts für alte Menschen. Reinhild Spiekermann, Professorin an der Universität Detmold, umriss in ihrem Referat detailliert die altersbedingt veränderten Ressourcen: «Der Lehrende sollte wissen, welche für den Unterricht relevanten Aspekte des Sehens und Hörens sich wandeln. Auch Veränderungen von Motorik und Kognition spielen eine wichtige Rolle.» Urban Diener, Leiter der Musikschule Stans, hat eine langjährige Erfahrung mit dem Unterrichten älterer Menschen. Seit 1989/90 kann man sich an seiner Schule als Erwachsener musikalisch ausbilden lassen. Zu Beginn machten die «Alten» 1,9 Prozent der Schülerschaft aus. Heute sind es nahezu 10 Prozent. Der Unterricht für Erwachsene stellt aber besondere Anforderungen an die Lehrperson: Sie muss «auf die oft besonderen Bedürfnisse älterer Erwachsener eingehen, gut beraten, schrittweises Herantasten ermöglichen und flexible Angebote machen» können. Ältere Menschen sind anspruchsvoll und wissen meist genau, was sie wollen. Urban Diener stellt folgende Hauptbeweggründe fest: Sie wollen sich «einen lange gehegten Wunsch erfüllen, die neu gewonnenen Freiräume sinnvoll gestalten, etwas für sich ganz persönlich tun und die geistige Fitness erhalten». Erwachsene lassen sich ungern drängen oder tadeln. Sie haben meist keine Ambitionen mehr und lernen aus purer Freude, welche sie sich von der Lehrperson nicht verderben lassen wollen.

Studie an der HSLU
Die Alten sind für die Musikschulen ein «Markt» mit viel Potenzial. An manchen Musikschulen bestehen Angebote für Erwachsene, doch oft weder Konzept noch gezielte Werbung für dieses Kundensegment. Hier gibt es, laut Marc Brand, noch sehr viel zu tun. Grundlagenforschung zum Thema Musikgeragogik liegt reichlich vor, doch mangelt es auf Forschungsebene immer noch an Lebensbiografien älterer Menschen bezüglich Musikunterricht. Marc Brand betreut eine Studie an der Hochschule Luzern, die auf Interviews mit Musikschul-Senioren und ihren Lehrpersonen basiert. Musikunterricht für ältere Menschen soll ins Bewusstsein gerückt und für Musikschulen und Lehrpersonen Material zum Thema bereitgestellt werden. Im Frühling 2013 wird im Rahmen der kantonalen Weiterbildung ein von der Hochschule Luzern geführtes Seminar zum Thema angeboten.

Unterlagen zur Tagung: www.hslu.ch/musik-alter

 

Foto: Mit Musikunterricht erfüllen sich ältere Menschen einen lange gehegten Wunsch. © Marcel Bucher

 

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