Oper als Slapstick, in Tram oder Box

Wie könnte Oper jenseits traditioneller Bühnen und Formen funktionieren? Community Oper in Freiburg, «Kindertotenlieder» und «Im Amt für Todesangelegenheiten» in Luzern.

«Kindertotenlieder» in der Luzerner Box. Foto: Ingo Höhn,Foto: Maurice Korbel,Foto: Ingo Höhn

«Oper, das heisst ja für viele: Zwei dicke Menschen schreien sich an. Und am Ende stirbt die Frau», konstatierte Mustafa Akça grinsend auf dem Freiburger Symposium Oper findet Stadt. Community Oper als Schnittstelle zwischen zeitgemässer Musikvermittlung und Kunst, gemeinsam veranstaltet vom Verein Community Oper Freiburg und dem Netzwerk Junge Ohren. Akça versucht an der Komischen Oper Berlin, das Haus auch für neue Kulturkreise zu öffnen. Deshalb packt er seit mehreren Jahren regelmässig einige Musiker und Sänger in sein Operndolmuş (Sammeltaxis heissen in der Türkei Dolmuş – türk. gefüllt) zu einem «Flashmöbchen» und fährt in andere Stadtteile, um dort einige Szenen aus aktuellen Produktionen als sogenannte Pop-Up-Opera in einer Bar zu spielen. «Die subventionierte Oper muss für alle Schichten der Stadtbevölkerung da sein.» Im Bereich Oper seien die aus dem 19. Jahrhundert stammenden, aristokratischen Strukturen besonders verfestigt, klagten die Podiumsteilnehmer. An der Hochschule der Künste Bern möchte Barbara Balba Weber deshalb schon in der Ausbildung das Interesse der Studenten an anderen Gesellschaftsgruppen wecken. Auch in Freiburg will man, wie Dramaturg Veit B. Arlt sagt, «raus aus der Festung des Stadttheaters» und sich andere Räume und ein neues Publikum erschliessen.

Operntram in Freiburg i. B.

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Eine fahrende Strassenbahn ist solch ein Raum. Aber nicht nur innen ist Platz für Bühne und mitfahrende Premierenbesucher, sondern auch von aussen fällt der Blick aufs Geschehen, wenn an den Haltestellen die Wartenden mit erstauntem Blick einige Sekunden der Aufführung mitbekommen. Arlts Stückidee, das Publikum zu Touristen zu machen, die im Jahr 2048 durch einen nachgebauten Breisgau-Erlebnispark fahren, ist brillant. Leider wird die daraus erwachsende theatralische Spannung in der Inszenierung von Thalia Kellmeyer nicht weiter ausgespielt; Freiburg zieht unkommentiert am Fenster vorbei. Dafür mimt ein Laienchor (Leitung: Raffaella Dilles) opernbegeisterte Freiburger, die sich nach dreissig Jahren Gesangsverbot aus ihrem Versteck wagen. Dirigent Jan F. Kurth hat dafür eine stark rhythmisch geprägte Musik geschrieben, die ein wenig an Kurt Weill erinnert. Am Ende biegt die Strassenbahn nach 45 kurzweiligen Minuten wieder in den Betriebshof ein, um in der Halle von tanzenden Menschen begrüsst zu werden. Was genau das nun erreichte Opernhaus der Zukunft ist, bleibt aber ungewiss.

Holzbox in Luzern

Auch der Luzerner Intendant Benedikt von Peter sucht neue Räume. Mit der hölzernen Box direkt neben dem Theater hat er eine permanente Aussenspielstätte installiert, die die Hemmschwelle für das Publikum senken soll. «Es besteht Lebensgefahr», kreischt ein Kind mit Hasenohren (Fionn Berchtold) durch das Megafon. «Es geht um ihre Zukunft!» Dann wird man einzeln und fürsorglich für den einstündigen Musiktheaterabend Kindertotenlieder im Dunkeln an seinen Platz in der Box begleitet. Eine Frau und ein Mann (Sarah Alexandra Hudarew und Jason Cox) haben sich voneinander abgewendet. Der britische Sound-Künstler Matthew Herbert imaginiert mit eingespielten Geräuschen wie Zähneputzen den Alltag dieses Paares. Erst nach zehnminütiger Collage beginnt Sarah Alexandra Hudarew mit Gustav Mahlers erstem Lied Nun will die Sonn’ so hell aufgehn, begleitet von zwölf Mitgliedern des Luzerner Sinfonieorchesters (Leitung: Clemens Heil), die im Raum verteilt sind und immer wieder ihren Platz wechseln. Aufwühlen kann die Produktion aber nicht. Der Schmerz ist mehr behauptet als gefühlt.

Operette und Revue in der U-Bahn

Die sogenannte Slapstickoper Im Amt für Todesangelegenheiten von Klaus von Heydenaber (Regie: Viktor Bodó) beschäftigt sich ebenfalls mit dem Tod – allerdings auf eher komödienhafte Weise. Eine Oper (fast) ohne Text, gespielt vom agilen Luzerner 21st Century Orchestra (Musikalische Leitung: William Kelley) und einem aus Schauspielern und Sängern zusammengesetzten Solistenensemble. Der Abend auf der Hauptbühne des Luzerner Theaters atmet den Geist von Operette und Revue, zumal auch kleine Choreografien eingebaut werden. Im ersten Stock sitzt das klinisch weisse Amt für Todesangelegenheiten, in dem Beamten, einheitlich gekleidet und frisiert Kaffee kochen und Notizblöcke ausfüllen (Bühne: Márton Ágh). Darunter befindet sich eine versiffte U-Bahn-Station, die zu den groovenden, neoklassizistisch gefärbten Klängen aus dem Orchestergraben vorerst noch leer bleibt. Zwischen Fotoautomat, Coiffeursalon und Toilette bewegen sich dann die einsamen Figuren in einer eigenen Welt. Angetrieben von der eingängigen Musik wird ein Beziehungsnetz geknüpft, in dem die Akteure mal mehr, mal weniger zueinander finden. Echte Reibungsflächen entstehen aber nicht. Und auch die Slapstick-Szenen sind überschaubar. Am prägnantesten wird noch die Figur von Diana (Schnürpel) ausgestaltet, die sich von der russischen Putzfrau zur Primadonna im Klopapierkleid (Kostüme: Fruzsina Nagy) entwickelt. Der zweite Teil spielt in einer Leichenkammer, bevor das Amt für Todesangelegenheiten den Reset-Knopf drückt, die Musik rückwärts läuft und die Personen ihre Kostüme und damit ihre Identitäten getauscht haben. Alles könnte nun unter veränderten Vorzeichen von vorne beginnen – aber genau an der Stelle, die Spannung verspricht, bricht die Oper ab.

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Szene aus «Im Amt für Todesangelegenheiten» von Klaus von Heydenaber

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