Wiederkehr der Grossformen
An den Donaueschinger Musiktagen wurden vom 18. bis 20. Oktober Werke uraufgeführt, deren gemeinsames Merkmal eine ausgedehnte Dauer ist.
Die Grossform, eine Lieblingserscheinung der spätromantischen Musikwelt, wurde anfangs des 20. Jahrhunderts von den jungen Musikern weitgehend abgelehnt. Als mit der frühen Zwölftontechnik, bei Anton Webern beispielsweise, die musikalischen Strukturen so komplex und zerbrechlich wurden, liess dieser sich auf Stücke von wenigen Minuten Dauer ein. In neuerer Zeit tauchen immer wieder Stücke in der Grössenordnung von rund einer Stunde auf. Armin Köhler, Programmleiter am SWF und im Speziellen für die Donaueschinger Musiktage, hat schon seit etlichen Jahren versucht, den Programmen eine bestimmte Thematik zugrunde zu legen. Dieses Jahr ist es nun eben die neu erstandene Grossform, und zwar in allen Programmteilen bis hin zu den Installationen.
Grundlegende Probleme
Das Problem der Grossform: das Publikum immer wieder von Neuem und stetig zu interessieren und dennoch eben eine einheitliche grosse Form zu schaffen. Dies zeigten gleich die zwei Stücke des ersten Abends mit dem grossen SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter der gemeinsamen Leitung von Pascal Rophé, Wolfgang Lischke und Christopher Sprenger. Bernhard Lang arbeitet in seinen Monadologien – hier ging es um die 13., genannt «The Saucy Maid» – mit Motivwiederholungen und ihren Veränderungen, und das in einer mechanisierten Struktur, die durch die ewigen Repetitionen rasch langweilt. Dass die zweite Orchesterformation, die sich hinter dem Publikum aufstellt, um einen Viertelton tiefer gestimmt ist, bringt nicht sehr viel und geht im massigen Gesamtklang, wo Klangflächeneinheiten gegeneinander verschoben werden, unter. Ganz anders bei Walter Zimmermann in seinem Suavi Mari Magno Clinamen I-VI für sechs Orchestergruppen, die rund um die Zuhörer verteilt sind und mit mehreren Dirigenten und TV-Übertragungen des Hauptdirigenten über Monitore zusammengehalten werden. Kanonfügungen ergeben eng nebeneinander liegende Zusammenklänge, aber alles ist ständig in Bewegung, mit viel Fantasie, springt hin und her.
Faszinierend und verängstigend zugleich wirkt Speicher für grosses Ensemble (Klangforum Wien) des 44-jährigen Sauerländer Komponisten Enno Poppe, bei dem ein ruhiger Viervierteltakt dirigiert wird, die Töne aber immer nach dem Schlag herunterkugeln, in ihrer Abfolge wohl vom Computer definiert. Der Komponist lässt die Instrumente ständig in exzessiven Höhenlagen schreien, 71 Minuten lang in einer unglaublichen Hektik, und das alles in höchster Präzision, wie ein Uhrwerk. Dieses Klanggeschehen fasziniert, gleichzeitig tun einem die Musiker leid, die unablässig Garben von Tönen spielen müssen, die einfach so eingeübt sein müssen, dass sie ohne nachzudenken abgerufen werden können. Es wirkt unmenschlich, was der schlacksige rothaarige Komponist als Dirigent locker tänzelnd unaufhörlich hervorzaubern kann.