Anregungen in und aus östlicher Richtung

Pre-art bringt Musikerinnen und Musiker über politische Grenzen hinweg in Kontakt und erkundet musikalische Grenzen. Nach einem Konzert am Vorortfestival in Wallisellen sind im Herbst in Boswil und andernorts die pre-art soloists und das Convergence New Music Ensemble mit neuen Werken zu hören, auch solchen, die für den pre-art-Kompositionswettbewerb entstanden sind.

pre-art soloists mit Matthias Arter (3. v.r.); Foto: Christian Schmutz,Foto: Jano Demetrashvili

«Dieses Stück führt an die Grenzen des Spiel- und Hörbaren», warnt Boris Previsic im Walliseller Zwicky-Areal, bevor er seine Querflöte in ein akrobatisches Hauch- und Atemmanöver lenkt: Er setzt an zum beeindruckenden Stück DAH (bosnisch für «Atem») des bosnischen Komponisten Aliser Sijaric (*1969), welches dieser auf der Basis von Studien über den Atem von Schizophrenen komponierte. Mal unruhig stockend, mal tänzelnd narrativ lotet es die Grenzen zwischen Ton und Hauch, zwischen Klingen und Zischen aus, dokumentiert Atemverlust und Aufatmen, Sinnverlust und Sinngewinn gleichzeitig.
Mit seinen einführenden Worten benennt Previsic ein Prinzip, das nicht nur das Konzertprogramm des engagierten Vorortfestivals «Blick in den Osten!» (16. bis 18. August 2013) treffend beschreibt, sondern gleichzeitig für ein zentrales Anliegen von pre-art steht: Es sind die Grenzen oder eher: ihre Überwindung; jene zwischen Ländern und Kulturen und jene, die Stile, Genres und Traditionen umgeben. pre-art, 2001 von Matthias Arter und Boris Previsic gegründet, verschrieb sich von Anfang an dem Austausch mit und der Förderung von jungen Musikschaffenden aus marginalisierten Regionen Europas, hauptsächlich aus Südosteuropa und dem Kaukasus. Neben der Organisation von Kompositionswettbewerben, Künstleraufenthalten, Meisterklassen, Instrumenten- und Notenhilfe und anderen Fördermassnahmen für begabte Musikerinnen und Musiker aus diesen Regionen zeichnen sie verantwortlich für eine beeindruckende Vielfalt an interkulturellen Kunstprojekten hüben wie drüben.
Aber nicht nur kulturelle Grenzen stehen dabei stets im Fokus, sondern auch künstlerische: «pre-art lotet ästhetische Grenzen aus und ermöglicht so neue künstlerische Wege», heisst es in ihrer Charta. Tradition werde mit Gegenwart konfrontiert, Zentrum mit Provinz, über das «sogenannt Randständige» drücke sich in der Differenz zum Etablierten «das Wesentliche unserer Kultur» aus. Grenzen ausloten bedeutet aber ebenso Annäherung und das Thematisieren von Gemeinsamkeiten. So werden innere Grenzen zum Gegenstand: etwa im pre-art-Projekt «Safientriennale», einem transdisziplinären Kunstspektakel, das die Bergregionen des Kaukasus und des Balkans mit dem ebenfalls marginalisierten Schweizer Safiental verbindet. Oder im 2001 in Sarajewo gegründeten Sonemus-Ensemble unter der Leitung von Aliser Sijaric, das Musikerinnen und Musiker aus den noch immer zäh zusammenarbeitenden Nachfolgestaaten Jugoslawiens zusammenbringt, also Grenzüberwindung vor Ort leistet.

Ausgleichendes und Unversöhnliches
Im Zwicky-Areal wird deutlich, dass diese Grenzarbeit auch eine hohe ästhetische Produktivität entwickelt. Im Stück Jazz Exprompt des jungen weissrussischen Komponisten Andrey Tsapko (*1987) entfaltet sich eine zwischen ziehenden Akkordeonklängen, tiefen Bassvibrationen und griffigen Melodiezitaten oszillierende Jazzvision, die leichtfüssig Neues mit Altem und Östliches mit Westlichem ausgleicht. Zu keiner Versöhnung der Gegensätze kommt es im Stück OFF der Mazedonierin Darija Andovska (*1979). OFF steht für Oblivion, Fade und Farewell, Bezeichnungen für einen Wechsel des «Aggregatszustands» zitiert bei Shakespeare. Diese Übergänge spürt Andovska auf, lässt sie aber unvermittelt stehen. Mit ganzem Körpereinsatz der Musiker – Matthias Arter an der Oboe, Vladimir Blagojevic am Akkordeon, Aleksander Gabrys am Kontrabass und Boris Previsic an den Flöten – ertönt eine dramatische und zugleich lustvolle Auseinandersetzung mit dem Scheinbaren. «As if there was …» hauchen sie zwischen Stampfen und Klopfen, bevor es in hohen Quietschlauten der Flöten weitergeht bis zu einem strawinskyhaften Chaosausbruch, dem auch die tiefen Bassstimmen keine Bodenhaftung mehr bieten können. Neben anderen neuesten Kompositionen aus Armenien und Russland ist das Konzert in Wallisellen durch die G-Dur Triosonate von J. S. Bach umrahmt. Dem Eruptiven, Aufwühlenden steht damit das Wohlgesetzte, Flüssige entgegen. Nur das als basso continuo «eingeschmuggelte» Akkordeon verleiht dem Bekannten einen Hauch von Grenzgang.

Image
Convergence New Music Ensemble

Das könnte Sie auch interessieren