Wirre Entdeckungsreisen in weit auseinanderliegende Musikwelten
Die achte Ausgabe des Bieler Festivals für improvisierte Musik «Ear We Are» zog vom 7. bis 9. Februar mit einem kontrastreichen Programm verschiedene Generationen, Einheimische und Eingeflogene, Szenekenner und Partypublikum an.
Was sind die Spuren eines gelungenen Festivals? Ein Zettel an der Stahltüre der alten Juragarage, auf dem «ausverkauft» steht? Oder die Tatsache, dass nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Publikum verschiedenste Altersgruppen, Musiker und Musikinteressierte verschiedenster Stilrichtungen zusammenkommen? Das kleine, feine Festivals an der Sprachgrenze hat auf jeden Fall auch in der achten Ausgabe auf seine Weise bewegt und gezeigt, welche Wellen ein Festival schlagen kann, dessen Konzept und Durchführung hohe Eigeninitiative mit hoher Professionalität vereint. Es ermöglichte mitunter wirre Entdeckungsreisen in weit auseinanderliegenden Musikwelten, die mal erfrischten, mal ermüdeten, mal erfreuten und auch mal ärgerten.
- Fotos: Marcel Meier
Einzigartig ist der Ort
Wenn nicht gerade Ear We Are zu Gast ist, wird in der alten Juragarage in Biel mit Stahl, Holz, Glas und Kunststoffen gearbeitet. Am Ear-We-Are-Wochenende ist davon nicht mehr viel zu sehen. Eine Bühne und eine Bar sind aufgestellt, Stühle aufgereiht, Licht und Technik installiert. Unter dem Einfluss der Alte-Garagen-Nostalgie und dank dem Einsatz der Beteiligten entsteht jene entspannte Atmosphäre, die einen Austausch ermöglicht, aber nicht erzwingt, die alles Gewünschte anbietet aber nicht aufdrängt.
Einzigartig ist die Art
Das Programm, für das die vier Musiker der Bieler Szene, Gaudenz Badrutt, Hans Koch, Christian Müller und Martin Schütz, verantwortlich zeichnen, lässt eine eigene Handschrift erkennen. Es ist geprägt von Kontrasten und von einer weiten stilistischen Spannweite, die neben freier improvisierter Musik, Jazz und Freejazz, Noise und konzeptueller Musik auch Chanson, Rock und Hip Hop einschliesst. Bekannte Musiker der freien Improvisation sind Teil des Experiments, aber auch junge, unbekanntere oder lokale Musiker gehören dazu. Dadurch kommt es zu Konzertabfolgen, die mit jedem neuen Auftritt neue Aufmerksamkeit erreichen.
Einzigartig ist das Ergebnis
Am Donnerstag begann es dieses Jahr entrückt. Roscoe Mitchell nahm mit seinen in sich ruhenden, nicht endenden Kantilenen vom ersten Ton an gefangen, um am Ende seines Auftritts in einem virtuosen Taumel seine unvergleichliche Energie entladen zu lassen. Weniger bei sich schien daraufhin das norwegische Duo der nimmermüden Elektro-Künstlerin Maja Ratkje und des Noise-Spezialisten Lasse Marhaug, deren Welten sich nur in kurzen Momenten zu versöhnen schienen. Der schwedische Saxofonist Mats Gustafsson machte das mit seiner Band The Thing zu späterer Stunde mit einer wunderbar wuchtigen, zugleich fein abgestimmten Show wieder wett.
Auch am Freitag ging es in Stil und Haltungen querbeet: Die gepflegte Darbietung der beiden Grössen Rüdiger Carl und Sven-Åke Johansson liess erleben, welche Poesie aus «einfachen» Klangquellen zu holen ist, wenn auf stil- und wirkungsvolle Art mit ihnen umgegangen wird. Das folgende Experiment von Jacques Demierre und Vincent Barras sieht – wie aus dem Programmtext zu schliessen sein mag – auf Papier vermutlich besser aus als es sich anhörte. Die «exakten Klangskulpturen» ihrer Poésie sonore vermochten die «Grenze bekannter Klanglichkeit» nicht zu verlassen und wirkten abgestanden. Sie entwickelte nicht einmal in der Dauer ihrer Belanglosigkeit eine Faszination. Mit Thomas Peters kurzer und feiner Klangimprovisation folgte ein herbeigesehnter Kontrast, nach dem die Show der Hip-Hop-Combo Shabazz Palaces von Ishmael Butler und Tendai «Baba» Maraire einen etwas langen, aber aussergewöhnlich feinsinnig gestalteten Schluss setzte.
Kontraste gab es auch am Samstagnachmittag mit zwei jungen Musikern: Die südkoreanische Cellistin Okkyung Lee überzeugte mit ihrer ursprünglichen Kraft und Eindringlichkeit, in der sie immer wieder gewaltige Klangtürme aufbaute. Kurz erfrischend, danach ermüdend waren im Gegensatz dazu Roman Nowkas Karikaturen eines Freizeit-Musikers. Am Abend gab es schliesslich auch volle Reihen mit Pascal Auberson, Christophe Calpini und Laurent Poget, dem Noise-enfant terrible Rudolf Eb.er, Keith Rowe und John Tilbury und mit Marc Ribots Trio Ceramic Dog.