Ade, du Oleander und Feigenbaum

Zum 20. Todestag des ungarisch-schweizerischen Komponisten János Tamás hat das Künstlerhaus Boswil am 21. November ein Symposium durchgeführt.

János Tamás. Foto: zVg/Künstlerhaus Boswil

Spannend an dieser Veranstaltung war vor allem die Mischung aus theoretischen und praktischen Vorträgen, Musikologinnen und Musikologen wechselten sich ab mit Musikerinnen und Musikern, die mit dem Werk von János Tamás (1936–1995) gut vertraut sind. So wurden der Komponist und der Mensch, der 1956 wegen des Ungarn-Aufstands in die Schweiz emigrierte und in eine Pflegefamilie kam, facettenreich beleuchtet.

János Tamás floh als 20-jähriger Jugendlicher alleine vor dem diktatorischen Terror in seiner Heimat. Obwohl er hier später eine Familie gründete und sein Auskommen als Klavierlehrer an der Alten Kantonsschule Aarau hatte, zudem am Theater Biel-Solothurn, bei der Aargauer Oper und beim Orchestervereins Aarau dirigierte, fand er als Komponist in der Schweizer Musikszene nur wenig Anerkennung.

Dass die Paul-Sacher-Stiftung, die auch das Symposium mitgestaltet hat, vor vier Jahren Tamás’ Nachlass übernahm, ist eine späte, aber umso wertvollere Geste. Heidy Zimmermann, welche in der Stiftung das «ungarische Konvolut» betreut, gab einen Einblick in die Sammlungstätigkeit der Sacher-Stiftung. Tamás wird hier als Ergänzung zu den prominenten Ungarn gesehen, dazu gehören u. a. Béla Bartók, Sándor Veress, György Ligeti und György Kurtág.

Die Tamás-Biografin Verena Naegele hat in ihrem Referat die Schwierigkeiten des «ewigen Emigranten» differenziert aufgezeigt. Der junge, vielversprechende Komponist und Pianist, der bei Ferenc Farkas in Budapest ein Musikstudium begonnen hatte, fand in der Schweiz Kontakt zu einem Landsmann: Er studierte bei Sándor Veress in Bern. Doch der Spagat zwischen den ungarischen musikalischen Wurzeln und dem demokratisch freien, aber künstlerisch wenig anregenden Leben in Aarau blieb für ihn schmerzhaft, ja er führte zu einer inneren Abkapselung des Komponisten.

Auf spielerische Weise modern

Für das Tamás-Symposium extra aus Budapest angereist war die Musikologin Anna Dalos von der Liszt-Musikakademie Budapest. Sie referierte über die ungarische Musikszene nach 1956, die in unseren Breitengraden wenig bekannt ist. Die zwölftönige und die serielle Schreibweise wurden dort kaum rezipiert, da sie vom kommunistischen Regime nicht zugelassen war. Die tonale Gebundenheit blieb stark, es herrschte auch eine eher naive Vorstellung von Kompositionstechniken des 20. Jahrhunderts. Erst György Kurtág hat nach 1968 die Reihentechnik praktiziert, und István Lang (1933) war, so Anna Dalos, der bedeutendste Pionier mit Glissandi, Geräuschen, aleatorischen Freiräumen und bei der Loslösung vom metrischen Empfinden.

Ob die am Symposium aufgeführten Stücke oder die auf CD präsentierten Orchesterwerke: Tamás’ Musik beeindruckte und ging unter die Haut. Sie ist sparsam gesetzt, poetisch stimmungsvoll, dramaturgisch interessant und auf spielerische Weise sehr modern. Der Pianist Tomas Dratva kennt das Klavierwerk wohl am besten, er hat auch das Klavierkonzert posthum uraufgeführt und mehrere Stücke von Tamás auf CD eingespielt. Zusammen mit der Flötistin Eva Oertle und dem Bratschisten Alexander Besa spielte er zwei typische Stücke: Musik in der Dämmerung (1979) und die Sonate für Viola und Klavier (1957/1974), die Tamás während seines Studiums bei Veress überarbeitet hatte. In einem Lecture-Recital gab Dratva auch Einblick in das Trio Feuerbilder (1986), welches er anschliessend mit dem Klarinettisten Fabio Di Cásola und dem Bratschisten Alexander Besa spielte (Oehms classic OC 443).

Wie es in der Kompositionsklasse von Sándor Veress zu und her ging, darüber berichtete der Musikpublizist Thomas Meyer. Bedeutende Schweizer Komponisten wie Heinz Holliger, Roland Moser und Jürg Wyttenbach haben bei Veress studiert, János Tamás war der einzige Ungar. Viel gesprochen habe Veress als Lehrer nicht und Komposition nur im Einzelunterricht gelehrt. So kannten sich seine Schüler kaum, und jeder konnte seine eigene originelle Musiksprache entwickeln.

Aargauer Kollegen

Der Aargau war nicht einfach frustrierend für Tamás. Er ermöglichte ihm eine Existenz als Musiker und Pädagoge, wie Verena Naegele in ihrem Referat erläuterte. Hier fand er interessante Lehrerkollegen wie Jean-Jacques Dünki, Thomas Baldinger oder Tomas Dratva, die seine Stücke aufführten und noch immer spielen. Dem Pianisten und «Anschlagskünstler» Dünki hat Tamás seine erste Klaviersonate gewidmet. Dünki spielte das recht virtuose Werk am Symposium und gab dazu interessante Erläuterungen, etwa dass die ausführlichen und differenzierten Spielanweisungen des Komponisten Interpreten auch einengen können. Dünki begleitete zudem die Lieder Das Gesicht eines Vogels (1984) auf Gedichte der Aargauer Lyrikerin Erika Burkart, die Kurt Widmer einst uraufgeführt hat und nun auch am Symposium einfühlsam vortrug.

Michael Schneider, der das Künstlerhaus Boswil leitet, war ein Schüler von Tamás. Er wies in seinem Referat zur Ballade für Orchester (1989) auf interessante Assoziationsfelder des Komponisten hin, dessen sinfonisches «Klang-Spiel» Bezug nimmt auf die 5. Sinfonie von Schostakowitsch und auf das Divertimento für Streicher von Bartók. Der mit Tamás verwandtschaftlich verbundene Musikprofessor Peter Laki, der in Cleveland lebt, hat schon öfter zu Tamás’ Musik publiziert. Nun sprach er über die religiösen Hintergründe und Zusammenhänge in den Oratorien des jüdischen Komponisten.

Das Libretto zum Oratorium Noahs Tochter (1985) schrieb die Aargauer Schriftstellerin Claudia Storz. Sie erzählte, wie hoch inspiriert die Zusammenarbeit mit Tamás war. Der Satz aus ihrem Libretto «Ade, du Oleander und Feigenbaum. Wir nehmen Abschied nun. Das Leben war so gut» zitierten die beiden Künstler jeweils zum Abschied voneinander. Er steht sinnbildlich für den endgültigen Abschied vom Leben, den Tamás am 14. November 1995 eigenhändig vollzog.

Weiterführende Informationen

www.janostamas.ch

Buch: Verena Naegele, Martin Matter u. a.: Feuerbilder – Schattenklänge. János Tamás – Komponist, Pianist, Pädagoge, Musikverlag Müller & Schade, Bern 1997

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Thomas Meyer referierte über die Kompositionsklasse von Sándor Veress. Foto: Künstlerhaus Boswil

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