Urknall und kosmisches Rauschen
Das Musikfestival Bern vereint die Musikschaffenden der Region in einem vielfältigen Programm mit ungewöhnlichen Projekten.
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Alle zwei Jahre übernimmt es das Musikfestival Bern, die Fülle des hiesigen Musiklebens zu bündeln – bisher alternierend mit der interdisziplinär agierenden Biennale Bern. Die diesjährige fünfte Ausgabe brachte unter dem Titel Urknall vom 3. bis zum 13. September eine kaum mehr zu überblickende Reihe von Veranstaltungen für alle Altersstufen. Eröffnet wurde sie im Münster mit der Genesis-Suite, einer 1945 uraufgeführten Vertonung von Texten aus dem 1. Buch Moses, an der prominente Komponisten, darunter Arnold Schönberg und Igor Strawinsky, mitgewirkt hatten. Neben solchen traditionellen Konzerten standen (Tanz-)Performances und Klanginstallationen; im Club Bonsoir präsentierten Musiker aus der Computer- und Turntable-Szene ihren eigenen Remix aus dem Klangmaterial des Festivals; in der Stadt liessen Zoro Babel und Andrea Lesjak die Passanten auf ihrem riesigen Steinplatten-Xylofon musizieren; und der Schlagzeuger Fritz Hauser verwandelte in einer eigenen Choreografie mit etwa 120 kleinen und grossen Perkussionisten, Treichlern und Glockenträgern den Münsterplatz in eine faszinierende Klanglandschaft. In einer wissenschaftlichen Gesprächsreihe wurden zudem Themen rund um den «Urknall» vertieft.
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- Foto: Philipp Zinniker
- «Serpente Litophonie» im Berner Münster
Leitplanken
Begonnen hat die Festival-Tradition 2007 mit einem grossen Musikfest zum 100. Geburtstag des Komponisten und Lehrers Sándor Veress. Schon damals habe man geplant das Format weiterzuführen, erzählt der Musikwissenschaftler Hanspeter Renggli, es aber nicht mehr auf eine einzelne Persönlichkeit zu konzentrieren. Renggli ist Leiter der Programmgruppe des Festivals und noch bis zum Herbst Präsident des Trägervereins. Die Programmgruppe, erklärt er, setze jeweils das Festival-Motto fest. Dieses soll als Leitplanke Beliebigkeiten verhindern, die Künstler aber auch zu eigenen Assoziationen anregen. So kann man mit dem Begriff «Urknall» Erkenntnisse der Weltraumphysik ebenso verbinden wie die biblische Schöpfungsgeschichte, den Anfang der zeitgenössischen Musik im Werk Arnold Schönbergs oder den Beginn einer Liebesbeziehung, wenn man sich «verknallt». Die Programmgruppe prüft alle Projekte, die für das Festival vorgeschlagen werden. Erwünscht sind vor allem Kooperationen zwischen verschiedenen Institutionen. Sie machen das Besondere des Festivals aus.
Ensemblekollektiv
Eine solche Koproduktion von fünf (!) sehr unterschiedlichen Formationen war das Konzert Planck in der Dampfzentrale. Zwei Barockorchester, Die Freitagsakademie und Les Passions de l’Ame, das ensemble proton, das Klavierduo huber/thomet (Susanne Huber und André Thomet) und das Schlagzeug-Quartett Ensemble This/Ensemble That (das Ensemble-in-Residence des Festivals) spielten ein kluges Programm, in dem barocke Musik abwechselte mit neuen Stücken jüngerer Komponisten, die in unterschiedlicher Weise vom Festival-Motto inspiriert waren. Proton hatte bei Leonardo Idrobo Adrift in Auftrag gegeben, das aus einer Klang- und Lichtmasse Elemente entstehen lässt, die sich ausdehnen und zusammenziehen. Die Klänge des Ensembles werden ergänzt durch elektronische Zuspielungen, gesprochene Texte und die Projektion farbiger Bilder. An diesem Abend war allerdings nur ein Ausschnitt ohne Elektronik und Projektion zu hören, ein transparentes Geflecht farbensicher gesetzter Klanglinien; die eigentliche Uraufführung erfolgte einige Tage später. Huber/thomet und die vier Schlagzeuger interpretierten Cosmic Swoosh von Michael Pelzl. Mit zwei präparierten Konzertflügeln, Celesta und Gongs lässt der Komponist eine dunkle und eine helle Sphäre – mit klanglicher Fantasie, aber etwas schematisch – kontrastieren. Am Anfang und am Ende des Abends verschmolzen die fünf Gruppierungen in Planck des Baslers Martin Jaggi zum Ensemblekollektiv. Jaggi bezieht sich auf die Raumsonde Planck, die erstmals die kosmische Hintergrundstrahlung, den «Fussabdruck» des Urknalls, festhalten konnte. Der Versuch des amerikanischen Physikers John G. Cramer, Plancks Daten in Klänge umzuwandeln, bildet als Einspielung vom Band zeitweise den Hintergrund des Stücks. Jaggi integriert die unterschiedlichen, auch unterschiedlich gestimmten, Instrumentarien zu einem differenziert ausgehörten Ganzen und findet, etwa im Dialog der (verstärkten) Theorbe mit den sanft angeschlagenen Gongs, aparte Klangkombinationen. Durchgehend wurde hervorragend musiziert. In Erinnerung bleibt vor allem die phänomenale Geigerin Meret Lüthi von Les Passions de l’Ame in einer der Rosenkranz-Sonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber.
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- Foto: Philipp Zinniker
- Das Ensemblekollektiv interpretiert Jaggis «Planck»
Zukunft
Im Moment steht das Festival vor wichtigen Veränderungen. 2014 hatte die Stadtregierung beschlossen, in Zukunft entweder die Biennale oder das Musikfestival zu finanzieren und sich schliesslich für das Musikfest entschieden. Seither laufen die internen Diskussionen über die zukünftige Gestalt des Festivals. Klar ist, dass die Stadt eine Öffnung nach aussen und mehr internationale Ausstrahlung erwartet. Ebenso klar ist aber, dass der Anlass nicht zur Durchgangsstation reisender Stars verkommen darf. Dafür soll das Artist-in-Residence-Modell erweitert werden, mit mehr auswärtigen Künstlern, die – wie in diesem Jahr das Schlagzeug-Quartett – an diversen Veranstaltungen teilnehmen und so das Programm mitprägen sollen.