Überbordend, visionär und mit Videobotschaft
Eindrücke von der 1. Biennale für Neue Musik und Architektur.
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Mit über 1200 Mitwirkenden hat die 1. Biennale für Neue Musik und Architektur in Basel vor allem viele Jugendliche eingebunden. Über das verlängerte Wochenende vom 10. bis 13. September konnten 6500 Konzertbesucherinnen und -besucher sowie rund 14 000 Zuhörerinnen und Zuhörer bei den kostenlosen Performances gezählt werden. Die 12 Projekte mit rund 140 Aufführungen fanden an 21 verschiedenen Orten statt, 26 Werke wurden uraufgeführt. Es war für den Festivalintendanten Bernhard Günther und die Produktionsleiterin Anja Wernicke eine gigantische logistische Herausforderung, all die Beteiligten zu koordinieren und die diversen Räume für die künstlerische Idee urbar zu machen. Das Festivalprogramm überbordete richtiggehend, viele spannende Veranstaltungen liefen parallel.
Den Auftakt machten die jungen Tambouren aus der ganzen Schweiz, das Wetter spielte mit: Der stille Münsterplatz mit seinen noblen Häusern verwandelte sich in einen Raum für ein lautstarkes Trommel- und Pfeiff-Konzert, dazu gabs Live-Elektronik. Der Basler Tambour-Star Ivan Kym und der Osttiroler Komponist und Performer Wolfgang Mitterer hatten ihre neuen Stücke und Aktionen mit den Teilnehmern der gesamtschweizerisch ausgeschriebenen Tambourenwoche auf dem Brünig einstudiert, die Performance in Basel war gut vorbereitet, die Präzision der Trommler erstaunlich. Das Publikum war gekommen – natürliche auch viele Eltern und Geschwister der Beteiligten.
Danach ging man hinein ins altehrwürdige Münster, das für einmal Neuer Musik Raum bot. Der britische Komponist James Clark (*1957) hatte eigens für Raumklang Basel ein Stück konzipiert, das die 300 Sängerinnen und Sänger von fünf Gymnasien in sechs Chöre aufteilte: vor, hinter sowie links und rechts des Publikums. Das Ensemble aus acht Posaunen, die Trombone Unit Hannover, verteilte sich auf den Emporen. Überraschend war, dass die Chöre unter der Leitung von Oliver Rudin nicht nur sangen, sie schrien und riefen in einfach konzipierter Abfolge auch. Mit Wasser gefüllte Weingläser wurden sanft gestrichen, es wurde in Weinflaschen geblasen und geklatscht. Diese rund halbstündige Raum-Performance war originell, das hohe Münster erfüllt von vitaler Energie, von wuchtigen und poetischen Klängen, von Agitationen und Gegen-Reaktionen.
Ein visionäres Projekt war Chronos im frisch renovierten Volkshaus. Dafür wurde mitten im Zuschauerraum eine Drehbühne installiert; die Komponisten Beat Furrer, Thomas Kessler, Beat Gysin und Georg Friedrich Haas setzten sich mit dieser besonderen Aufführungssituation auseinander. Einmal sass das Publikum auf der Drehbühne und die Musikerinnen und Musiker spielten in der Mitte und ausserhalb des Zuschauer-Kreises. Für ein anderes Stück dislozierte das Publikum auf die Empore, und die Musik spielte sich auf und neben der Drehbühne ab. Die Licht-Regie von Michael Simon sorgte für kühles Weiss.
Strukturell am intensivsten auf die Drehbewegung eingelassen hatte sich Beat Gysin (*1968) im Auftragswerk Chronos (radial) für Ensemble und Stimmen. Er machte die Möglichkeit, «eine Mitte zu umfahren» und «sich um sich selbst zu drehen», hör- und spürbar. Mit zunehmender klanglicher Komplexität und sich verdichtender Dramaturgie zog er das Publikum auf der Drehbühne in seinen Bann, ja es entfaltete sich eine Art Reigen. Das Ensemble Recherche und die beiden Sängerinnen Svea Schildknecht und Johanna Greulich gerieten dabei fast in Trance.
Im Rahmen der Uraufführung dieses speziellen Drehklang-Projekts fand die Verleihung des Schweizer Grand Prix Musik statt. Bundesrat Alain Berset überreichte den mit 100 000 Franken dotierten Preis in einem festlichen Akt Heinz Holliger, der von seiner Japan-Tournee live zugeschaltet wurde.