Experimentelle Zonen
Junge Musikerinnen und Musiker aus dem Umfeld der Basler, Berner und Zürcher Hochschulen drückten dem Festival den Stempel auf.
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Die Tage Neuer Musik in Weimar sind ein kleines, aber feines Festival, das mitten in der musealen Behaglichkeit der deutschen Klassik-Hauptstadt tapfer die Fahne der Neuen Musik gegen den Wind hält. Nicht erst seit der «Wende» pflegt der künstlerische Leiter Michael von Hintzenstern die experimentelle Ton- und Klangkunst in Thüringen, was sich auch im eigenen Ensemble mit dem programmatischen Namen Ensemble für intuitive Musik niederschlägt, das entscheidende Anregungen der früheren Zusammenarbeit mit Karlheinz Stockhausen verdankt.
Klangachsen: Schweiz–Deutschland
Auch die diesjährige Festivalausgabe stand im Spannungsfeld von Improvisation, Komposition und Live-Elektronik und widmete sich vom 28. bis 31. Oktober den «Klangachsen: Schweiz–Deutschland». Das Bemerkenswerte daran: Es waren vor allem junge Musikerinnen und Musiker sowie Komponistinnen und Komponisten aus dem Umfeld der Schweizer Hochschulen, die dem Weimarer Festival ihren Stempel aufdrückten!
Den Anfang machte das Ensemble zone expérimentale Basel, das sich aus Studenten des Basler Masterstudienganges für zeitgenössische Musik rekrutiert. Hannah Walter (Viola), Pedro Pablo Cámara Toldos (Saxofon), Carlota Cáceres (Schlagzeug) und Haize Lizarazu (Klavier) spielten in einem vielfarbigen Eröffnungskonzert nicht nur Stücke von arrivierten Komponisten wie Heinz Holliger, Toshio Hosokawa und Michael Beil, sondern auch jüngere Werke: Jose Pablo Polo inszenierte in Better out than in (2014) eine perkussive Geräusch-Choreografie als «instrumentales Theater» um das Klavier herum; der Basler Martin Jaggi strickte in Strata (2010/11) ein polyfones Netzwerk, das auf der Ähnlichkeit des Verschiedenen respektive der klangfarblichen Annäherung der Instrumente (durch Verfremdung) beruhte.
Kompositorische Urgesteine aus der ehemaligen DDR und der Schweiz hatte der Berliner Pianist Frank Gutschmidt im Gepäck: filigran-poetische, auch das Klavierinnere einbeziehende Stücke, die Dichtung von Trakl, Nietzsche und Silvia Plath umkreisten und den Rahmen eines konventionellen «Klavierrecitals» weit hinter sich liessen. Holligers Ellis – Drei Nachtstücke für Klavier (1961/62) und Beat Furrers Voicelessness. The snow has no voice (1986) standen Kompositionen von Christfried Schmidt (geb. 1932) und Georg Katzer (geb. 1935) gegenüber. Schmidts virtuose Moments musicaux (1976) machten den Pianisten auch zum Rezitator von Nietzsches Spätwerk, Katzers Dialog imaginär Nr. 2 (1986) verstrickte Gutschmidt in ein Zwiegespräch mit einer Tonbandschicht.
Aus dem Moment
Die Interaktion von Live-Elektronik und Instrumentalklang ist ein wesentlicher Aspekt auch beim Ensemble für intuitive Musik Weimar (EFIM), das sich seit über 30 Jahren immer wieder neu und anders einer Musik verschreibt, die «im Moment der Aufführung erst entsteht». Unter dem Titel Instant Composing hatten die «Hausherren» Michael von Hintzenstern (Klavier), Matthias von Hintzenstern (Cello), Daniel Hoffmann (Trompete/Flügelhorn) und Klangregisseur Hans Tutschku (Elektronik) sich mit Hannah Walter, Pedro Pablo Cámara Toldos und Françoise Rivalland zusammengetan, um die Grenzbereiche von offener Form und gelenkter Improvisation auszuloten, was ganz unterschiedliche Ergebnisse zwischen den Polen von flächiger Stille und eruptivem Ausbruch provozierte.
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- Foto: saTo2015
- Françoise Rivalland erklärt dem Publikum Techniken am Cymbalom
Françoise Rivalland war in einem mitreissenden Solo-Programm zu bewundern, wo die momentan in Bern an der Hochschule der Künste als Professorin für musikalisches Theater tätige Perkussionistin, Vokalperformerin und Regisseurin alle Register ihres breitgefächerten Könnens zog. Neben Einrichtungen für Cymbalom von Stücken György Kurtágs und John Cages begeisterte Rivalland mit superpräzis-rasanten, explosiven Darbietungen einiger Vokalstücke von George Aperghis, mit dem sie eine enge musiktheatralische Zusammenarbeit verbindet. Bezaubernd auch ein Bündel diverser Schwitters-Texte, bei denen ihr selbstgebautes «Esperou» zum Einsatz kam, eine Mischung aus Saiten- und Metallinstrument, das in der Lage ist, verblüffend unterschiedliche Klangfarben (darunter fast elektronische) miteinander zu verschmelzen; auch Schwitters Ursonate hat man lang nicht mehr so nuancenreich und rhythmisch packend gehört.
Studierende an den Reglern
Eine dankenswerte Tradition des Festivals ist der Einbezug des Studios für elektroakustische Musik der Bauhaus-Universität (SeaM) unter Leitung von Robin Minard. Auch dort durften diesmal die Studierenden selbst an die Regler und stellten zusammen mit den «Kollegen» aus dem Institute for Computer Music and Sound Technology (ICST) und der Zürcher Hochschule der Künste aktuelle Arbeiten vor. Es wäre ungerecht, aus den vielschichtigen Stücken von Kenn Mouritzen, Ursula Meyer-König, Carlos Hidalgo (Zürich), Paul Hauptmeier, Martin Recker, Mikhail Yarzhembovskiy und Andreas Vorwerk (Weimar) etwas herauszuheben. Auffallend war, dass die Arbeiten aus den Schweizer Studios schwerpunktmässig auf der Transformation analoger Klangobjekte beruhten, während die Weimarer einen eher «narrativen» Ansatz pflegten und hybride Soundscapes aus Digitalklang, Stimme und Feldaufnahmen präsentierten.
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- Foto: saTo2015
- Hans Tutschku
Die Aktivitäten des ICST, das Aspekte wissenschaftlicher und künstlerischer Forschung, digitale Technologie, Medienkunst und musikalische Praxis in einen fruchtbaren Dialog bringen will, standen auch im Zentrum des bemerkenswerten Abschlusskonzertes. Germán Toro Pérez (momentaner Leiter des ICST), Carlos Hidalgo, Hans Tutschku, Karin Wetzel und Florian Bogner hatten Stücke konzipiert, die virtuose Solo-Parts mit live-elektronischen Echtzeit-Bearbeitungen in mehrdimensionale Klangräume verwandelten. Als besonders eindrucksvolle, heterogen vibrierende «Raummusik» ereignete sich dies in Pérez’ Signos Oscilantes – verworren und schwankend (2012) dank einer tollen, ungemein akzentuierten Performance von Alejandro López (Saxofon). Aber auch Hugo Queirós (Bassklarinette) zeigte sich in den komplexen Lineaturen von Hans Tutschkus Interlaced 1 (2014) als total präsenter akustischer Bildhauer einer zerklüfteten Klanglandschaft im produktiven Austausch mit der Soundregie. Gerade die indifferenten Zwischenbereiche von Ton und Geräusch, Elektronik und instrumentaler Gestik öffneten hier Räume für eine Klangpoesie jenseits greifbarer Kategorien.