Kontext statt Text

Die Donaueschinger Musiktage verlieren sich taumelnd in der Musikferne. Das Sekundäre nimmt Überhand.

Da hängen sie in Reih und Glied – und ticken leise vor sich hin. Kein Kabel führt von den Lautsprecherchen nach oben, sondern nur Nylonfäden. In unregelmässigen Abständen rutscht der Faden über eine drehende Rolle, gibt den Bewegungsimpuls weiter an die Membran. Im Solo würde es nicht Eindruck machen. Im Tutti aber von etwa 80 Lautsprechern an vier schwarzen Gestellen ergibt sich eine aparte Vielstimmigkeit, die entfernt erinnert an György Ligetis Poème Symphonique for 100 Metronomes. Der in Zürich lebenden griechischen Komponistin Marianthi Papalexandri-Alexandri und dem Schweizer Künstler Pe Lang gelingt Besonderes. Durchdacht ist das Konzept, keine lässig dahingeworfenen Kabel stören den Anblick, die Idee ist anschaulich, das Klangergebnis inspirierend.

Einer Oase gleicht der erste Stock des Donaueschinger Museums. Drumherum herrscht Orientierungslosigkeit. Komponisten verlieren sich in medialem Rauschen, so mancher Besucher findet wegen Fehlangaben die Konzertorte nicht. Zum Wüstenbild passen auch Flüchtlinge aus dem Süden. Das Konzert des Berliner Ensembles Kaleidoskop beginnt mit einem in den Saal fahrenden LKW. Er stoppt und aus dem noch verschlossenen Inneren tönt eines der ersten Werke der sogenannten Musique concrète instrumentale, nämlich Michael von Biels String Quartet No. 2. Nach dem kurzen Stück kommen Musiker in schmuddeliger Kleidung aus dem Laderaum: offenbar Flüchtlinge. Sie sollen da flanierend umhergehen, ebenfalls orientierungslos. Dann spielen sie weiter. Erst tönt eine reduzierte, zu gedehnte Klangstudie der Komponistin Chiyoko Szlavnics auf vorrangig leeren Saiten. Danach kommt ein extrem dürftiges Maps of non-existent cities: Donaueschingen des Komponisten Kourliandski, in dessen Verlauf die Musiker – nun ja – die Publikumsränge in Beschlag nehmen. Björn Gottstein, seit 2015 amtierender Festivalleiter, sieht keinen Grund in Konzerte einzugreifen, sofern keiner beleidigt wird. Aber mit Verlaub: Werden nicht jene Flüchtlinge beleidigt, die es nicht mehr aus dem LKW schafften und erst recht nicht zum Instrument griffen?

Schädliche Nebenwirkungen?

Björn Gottsteins Handschrift ist nun ablesbar: Im Mittelpunkt der Musiktage steht weiterhin das Aufbrechen traditioneller Konzertformate, dazu kommen eine verstärkte internationale Ausrichtung, mehr Komponistinnen sowie verstärkte Diskurs- und Konzeptbemühungen. Martin Schüttler, immerhin Kompositionsprofessor in Stuttgart, verzichtet fast ganz auf Musik. Zwei Moderatorinnen lesen private Geschichtchen vom Zettel ab. Offenbar geht es um die eigene musikalische Sozialisation, um den Erfolgsdruck, den Klavierunterricht mit sich bringt, und wohl auch um andere schädliche Nebenwirkungen einer Ernsten Musik. Nicht überraschend kommen Videos nach den Dialogen der Moderatorinnen. Eine E-Gitarre taucht auf, auf einer anderen Leinwand immer wieder ein N. Sind es Bezüge zur Neuen Musik mit grossem N oder ist es doch ein sophistischer Hinweis auf Heideggers «das Nichts nichtet»?

Bedenklich stimmt das kokette Überhandnehmen des Sekundären. Im Eröffnungskonzert mimt der Australier Thomas Meadowcroft den Filmmusik-Komponisten. Voller Pathos, voller Schwulst muss das SWR Sinfonieorchester mehr als 20 Minuten Klänge spielen, die vom schwer erträglichen Hollywood-Belieferer John Williams stammen könnten. Was er, Meadowcroft, mit seinem uraufgeführten The News in Music (Tabloid Lament) sagen will? Offenbar sind Medien im Visier, wo auf neuerliche Schreckensmeldungen schnell der nächste Madonna-Hit oder die Kleine Nachtmusik folgt. So nachvollziehbar die Kritik an dieser unsäglichen Radio- und Fernsehpraxis, so fraglich ist der Ort, an dem sie geäussert wird. Wäre es nicht besser, aus dem Thema ein Radiostück zu machen, als es einem grossen, differenzierten Klangkörper zu übergeben? Spätestens nach fünf Minuten hat jeder Hörer das Anliegen verstanden. Was in den folgenden 15 Minuten kommt, ist recht unlustiges Ärgern.

Wer wegen Musik und dem Reiz von immerhin 20 Uraufführungen nach Donaueschingen kam, ist auf verlorenem Posten. Nicht im Unmusikalischen versanden jedoch der norwegische Komponist Eivind Buene und der völlig zu Recht mit dem Orchesterpreis ausgezeichnete Márton Illés. Illés betont wohltuend die Autonomie, konzentriert sich in Ez-tér (Es-Raum) auf musikalische Linien. In vier in sich geschlossenen Sätzen entsteht ein Geflecht instrumentaler Stimmen, die sich verfransen, die oszillieren und wunderbar flirren. Illés hat ein intuitives Gespür für Organik, Form und Klang. Er weiss genau, wann Zäsuren sinnvoll sind, wann Neues kommen muss, wann Variation angesagt ist. Eivind Buene hingegen schlägt in seinen Lessons in Darkness eine andere Richtung ein. Nicht so dicht-komprimiert geht es hier zu, sondern bewusst fragil. Wie die Balance verloren geht, das Ensembles bewusst in Schieflage gerät, wie ein Fender Rhodes und ein ähnlich historischer Moog-Synthesizer beitragen zu schräger Mikrotonalität ist faszinierend morbid – bleibt aber dennoch in guter Erinnerung.

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