Masse statt Klasse

Dem Stuttgarter Eclat-Festival fehlen die Verbindlichkeit und die musikalische Basis. Zum Glück gibts Ausnahmen.

Marianthi Papalexandri-Alexandri und Pe Lang: «Distanz». Foto: Martin Sigmund

Es ist bekannt aus Kinderzeiten: Zwei Blechdosen transportieren Schall, sofern sie mit einem gespannten Faden verbunden sind. Marianthi Papalexandri-Alexandri nutzt das Prinzip, färbt es aber durchaus erwachsen ein. Die in Zürich, Berlin und im amerikanischen Ithaka arbeitende Klangkünstlerin verbindet also ein Cello mit Flächen aus grauem Karton. Mal so etwas wie Schabgeräusche des Bogens kommen so von den Kartonflächen, mal auch rundere Klänge des Cellos. Was einfach klingt, entwickelt im Verlauf der etwa 30-minütigen Performance einen unglaublichen Sog. Papalexandri-Alexandri hat einfach ein feines Händchen für visuelle Inszenierungen und für die sensiblen «Klang-Aktionen» der Cellistin Séverine Ballon. Schon im Rahmen der jüngsten Donaueschinger Musiktage überzeugte die 1974 in Thessaloniki Geborene mit ihren Klanginstallationen. Mit Distanz ist ihr erneut eine rundum stimmige Arbeit gelungen, auch diesmal entwickelt mit dem findigen Kinetik-Künstler Pe Lang.

Das Multimediale ist nach wie vor «in» – bedingt durch unsere Smartphone-Welten, durch das Bemühen, der Musik mehr «Leben» einzuhauchen, vielleicht auch – negativ gesehen – durch eine gewisse Ratlosigkeit darüber, was Musik allein noch leisten kann. Fest steht: Nicht allen Komponisten gelingt die «Verfransung der Künste». Clemens Gadenstätter aus Österreich präsentiert im Rahmen des Eclat-Festivals ein umfangreiches Musiktheater namens Daily Transformations mit Instrumental- und Vokalensemble, Video und gesprochenen Texten. Mehr als eine Stunde dauert es, versandet aber schon frühzeitig in einer unverbindlichen Gemengelage. Eintönig die Musik, unverständlich die Texte und Videos. Wer sich auf Sinnsuche begibt, kann nur zum Schluss kommen: Offenbar geht es um narrative Verweigerung, um zerrissene Kontinuitäten, die ja – irgendwo – auch mit unseren Lebenswelten zu tun haben.
 

Verfranst in der Verfransung

«Less is more», weniger ist mehr – das hatte schon der Architekt Mies van der Rohe erkannt. Doch unter den Stuttgarter Komponisten und Künstlern hat es sich leider nicht herumgesprochen. Beim Eclat-Festival gibt es nicht nur 24 Uraufführungen, sondern auch viele Videos und leider auch populistisch aufgemotzte Konzerte mit billigen Kabarett-Einlagen, die sich vor allem das Stuttgarter Gesangsensemble Neue Vocalsolisten zu eigen macht. Mehr als freundliches Lächeln hat das Publikum dafür nicht mehr übrig. Dennoch kommt fast kein Vocalsolisten-Konzert mehr aus ohne übertriebene Mimik oder billige Gags von der Art, dass ein Musiker durch seine Querflöte ins Publikum blickt. Aha, ein Fernrohr also!

«Was zum Teufel ist mit der Musik los?» Das fragte schon der Schweizer Musiktheoretiker und Cellist Urs Frauchiger Anfang der 1980er-Jahre. Frauchiger hatte auch den Festivalbetrieb im Visier, der der Musik, der Freude am puren Hören nicht mehr traut. Für die Musik ist das naturgemäss eine gefährliche Entwicklung, die dann gebannt werden könnte, wenn Dramaturgen und Konzertveranstalter wieder ein Gespür für Gehaltvolles entwickeln und für eine gute Programmierung. Márton Illés, der 1975 geborene Ungar, schreibt wunderbare Musik: substanzielle, verbindliche Klänge tönen in seinem von den Neuen Vocalsolisten – nun ohne Gags – präsentierten Hang-Rajzok. Davor kam ein sehr dichtes passwords für sechs Stimmen vom Altmeister Georges Aperghis. Zwischen den Vokalstücken ein imponierend, auf Naturtöne komponiertes Ultimi Fiori der italienischen Komponistin Francesca Verunelli. Just dieses pausenlose 45-minütige Konzert war ein Highlight des Eclat-Festivals.

Ungleich lauter geriet das Konzert mit dem Ensemble ascolta. Stefan Keller, 1974 in Zürich geboren und 2004 mit dem Kompositionspreis der Landeshauptstadt Stuttgart ausgezeichnet, schrieb ein uraufgeführtes hybrid gaits für Drumset, Keyboard und Ensemble. Ein Schwerpunkt des fast 20-minütigen Stücks liegt auf der rhythmischen Ebene; folgerichtig stehen das Schlagzeug und der fulminante Solist Daniel Eichholz im Zentrum. Für die Klangbalance hat ein im Rock gebräuchliches Drumset Konsequenzen. Einzig laute Bläser und ein Keyboard mit synthetisierten und gesampelten Sounds können mit einer Snare konkurrieren. Keller hält wenig von stilistischen Schubladen. Am Ende erinnert sein hybrid gaits aber doch an Free Jazz – was ja kein schlechtes Zeichen sein muss, wenn man an dessen Frische und Unvorhersehbarkeit denkt.
 

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