Ein «innovatives Projekt» geht in die Binsen

Mit einer Uraufführung feierte die Kantonsschule Alpenquai Luzern am 14. und 15. März zusammen mit dem Luzerner Sinfonieorchester ihr Jubiläum. Das Auftragswerk «harmony and understanding» von David Lang entpuppte sich allerdings als ziemlich eindimensional.

David Lang und Numa Bischof Ullmann am 5. September 2017 mit Kantischülern. Foto: Benno Bühlmann,Foto: Benno Bühlmann,Foto: Markus Wild

Die Vorschusslorbeeren waren gigantisch, sie reichten von «Star-Komponist», «aussergewöhnlich», «innovativ» bis zu «kreativ und wegweisend». Und der Intendant des Luzerner Sinfonieorchesters (LSO), Numa Bischof-Ullmann, der das «Education-Projekt» seines Orchesters mitverantwortete, äusserte selbstbewusst: «Ich bin stolz darauf, dass wir David Lang für das gemeinsame Projekt gewinnen konnten», denn dieser sei ein wahrer Weltstar.

Da war also zum Jubiläum 50 Jahre Kantonsschule Alpenquai Luzern (KSA) etwas ganz Besonderes geplant. Der bekannte US-amerikanische Komponist David Lang (*1957) wollte ein Werk kreieren, bei dem neben dem Orchester die 1500 Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums ebenso eingebunden wären wie das gesamte Publikum am Uraufführungsort, im Konzertsaal des Kultur- und Kongresszentrums Luzern (KKL). «Ein Konzert, in dem das Publikum zum Akteur wird, ist ein Experiment», konkretisierte KSA-Prorektor Stefan Graber.

Graber hatte zusammen mit seinem Kollegen Stefano Nicosanti die Koordination unter sich: «Die Kanti Alpenquai wagt das Experiment im Bewusstsein, dass sich darin eine zentrale Aufgabe gymnasialer Bildung manifestiert: der offene, neugierige Umgang mit Ungewohntem, mit Neuem.» Und er betonte auch die wertvolle Zusammenarbeit mit dem LSO: «Beide Parteien bringen Tradition und Innovation und Zeitgenossenschaft miteinander in ein kritisches und bereicherndes Gespräch.»
 

Unterforderte Jugendliche

Hohe Erwartungen wurden da geschürt. Was leider nicht immer von Vorteil ist, wie harmony and understanding an der Uraufführung schonungslos aufzeigte. Schon die Ankunft vor dem KKL liess nicht nur Gutes erahnen, standen dort doch Kantonsschülerinnen und -schüler und tauschten sich über die Vorbereitungen aus: «Das war eindeutig für die Füchse», lautete die einstimmige Meinung.

Vor der Aufführung musste das Publikum, das ja einbezogen war, zuerst üben. Nicht weniger als 50 Minuten dauerte die Instruktion durch den Dirigenten André de Ridder und Co-Dirigentin Elena Kholodova, Chorleiterin an der Kantonsschule. Reichlich lange, wenn man bedenkt, dass im Publikum 750 Schülerinnen und Schüler der Kanti sassen, die Tage zuvor bereits in Anwesenheit von David Lang geübt hatten.

Das Werk ist dreigeteilt: Im ersten mit «Im Wald» umschriebenen Teil musste das Publikum das Alphabet flüstern, dazu spielte das Orchester im Stil von minimal music leise tremolierende Streicherklänge, und es läuteten aufheiternde Glöckchen. Dann gesellten sich Hörner ins Gewühl, derweil das Publikum Fragen zur Herkunft beantworten sollte. Leises Gemurmel wurde unter Anleitung de Ridders und Kholodovas mit Crescendo und Decrescendo wenigstens etwas variiert.

In diesem Stil ging es weiter. Im zweiten Teil musste man «wie im Karneval» eine aus gerade mal acht Tönen bestehende «Melodie» vom Orchester mitgespielt «singen», zum Schluss gab es dann noch ein Gemurmel aus Esperanto-Wörtern, eine Sprache, die alle verstehen. Der utopische Gehalt und die didaktische Ausrichtung des Werkes aber rauschten ins Leere.

Man sah Schüler miteinander quatschen, Schülerinnen an ihren Handys herumfingern oder sie schauten gelangweilt ins KKL-Rund. Die Unterforderung der Jugendlichen war offensichtlich. Dazu dauerte der Abend viel zu lange, wurde doch nach den obligaten Reden auch noch die 8. Sinfonie von Antonín Dvořák gespielt, allerdings erst um 21.45 Uhr, als die Konzentration des Publikums längst erschöpft war.
 

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5. September 2017, Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule Alpenquai Luzern interviewen David Lang in englischer Sprache.

Vorarbeiten als Gewinn

Nicht alles ist misslungen. Das gilt besonders für die weit gefasste Vorbereitung. So führten Schüler mit Elena Kholodova am 3. Dezember 2017 das Werk Just von David Lang aus dem Film Youth auf. Auch Begegnungen mit dem Komponisten waren Bestandteil des Gesamtprojekts: Vier Kantonsschülerinnen konnten ihn bei einem Podium auf Englisch interviewen.

Interessant war auch der vertiefte Umgang mit Dvořáks 8. Sinfonie. Schüler des Schwerpunktfachs Musik durften von der ersten Orchesterprobe an dabei sein. Daraus entstanden interessante Texte, die im Konzertprogramm abgedruckt waren. Musiklehrer Martin Bucheli erarbeitete daneben den 4. Satz des Werkes mit einem Schulensemble, wobei die eigentlich ein rund 80-köpfiges Orchester fordernde Partitur auf 16 Partien heruntergebrochen werden musste. Bucheli schreibt darüber im Programmheft: «Alle Schüler besuchen zwar Instrumentalunterricht, es gibt jedoch niemanden, der Fagott, Oboe, Bratsche, Piccolo-Flöte, Posaune oder Trompete spielt. Dafür befinden sich in der Klasse mehrere Sängerinnen und Pianisten. Ich musste also die fehlenden Originalinstrumente durch E-Pianos oder Synthesizer ersetzen.» Das Resultat war offenbar hörenswert, jedenfalls war Bucheli «verblüfft, wie nahe wir an den Originalklang herankamen».
 

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Der Musiklehrer Martin Bucheli erkundet experimentell mit seiner Klasse Dvořáks 8. Sinfonie, jede Schülerin, jeder Schüler spielt eine für diesen Selbstversuch angepasste Stimme auf seinem gewohnten Instrument – ein starkes gemeinsames Musikerlebnis im Sinne von «harmony and understanding».

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