Englische Musikkultur in den Alpen
Das Klosters Music Festival, eine Initiative mit Ambitionen, brachte vom 27. Juli bis 4. August erstmals eine ganze Aufführungsreihe mit international bekannten Namen.
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Klosters und Davos sind gerade einmal dreizehn Autokilometer und vierhundert Höhenmeter voneinander getrennt. In Davos gibt es seit nunmehr 33 Jahren ein Musikfestival, und nun hat Klosters vor einem Jahr ebenfalls eines gegründet. Am ersten Augustsamstag geht Klosters zu Ende und gleichzeitig beginnt Davos. Kann das gut gehen? Höchstwahrscheinlich ja. Zwar scheint es in der gutnachbarlichen Kommunikation noch etwas zu hapern, und da und dort war zu hören, es reiche doch jetzt langsam mit diesen Sommerfestivals in den Alpen; doch erstens sind die Programmkonzepte von Davos und Klosters völlig verschieden, so dass man sich nicht gegenseitig das Wasser abgräbt, und zweitens ist der Markt noch lange nicht übersättigt. Das gerne als konservativ apostrophierte Klassikpublikum ist in der Ferienzeit ausgesprochen reisefreudig und schätzt es, Musik in anderer Umgebung, naturnah und losgelöst von urbanem Alltagsstress zu hören.
Gute Voraussetzungen also, sagten sich die Verantwortlichen in Klosters, den etablierten Festivals in Verbier, Gstaad und auch im benachbarten Davos ein neues Unternehmen mit einem eigenen Gesicht zur Seite zu stellen. Getragen wird das Festival von einer lokalen Initiativgruppe, rund sechzig freiwillige Helfer sorgen für einen reibungslosen Ablauf, das Budget von rund 600 000 Franken wird zu einem grossen Teil von Privaten finanziert. Nach einem auf ein Wochenende beschränkten Probelauf im vergangenen Jahr präsentierte das Programm diesmal neun Orchester-, Kammermusik- und Solistenkonzerte mit Werken vom Barock bis zur leicht verdaulichen klassischen Moderne. Bevorzugt werden Aufführungen in traditioneller Konzertsituation mit international bekannten Namen, die einen hohen Interpretationsstandard garantieren, wozu auch Schweizer Interpreten gehören; auf Experimente wie in Davos wird verzichtet. Die Säle, eine Mehrzweckhalle mit fünfhundert und die alte Dorfkirche mit dreihundert Plätzen sowie der sehr geräumige Showroom im Atelierhaus des bildenden Künstlers Christian Bolt, waren im Durchschnitt zu über achtzig Prozent ausgelastet. Am Bahnhof ist zudem eine Art Willkommenszelt aufgebaut, wo man sich ungezwungen treffen kann und tagsüber alternative Klänge von Jazz bis Volksmusik zu hören sind.
Royales Geleitwort
Viele der zahlungskräftigen Besucher kommen für ein verlängertes Wochenende nach Klosters, das Einzugsgebiet reicht über die Schweiz hinaus bis nach Wien. Das Stammpublikum sind jedoch die Feriengäste und Zweitwohnungsbesitzer aus Klosters und Umgebung, darunter auffallend viele aus England. Englisch ist praktisch die Zweitsprache nicht nur im Dorf, sondern auch beim Festival, was sich auch im Namen ausdrückt: Klosters Music Festival. Prinz Charles, der hier seit Jahrzehnten seine Winterferien verbringt, hat für das Programmheft ein Geleitwort geschrieben, und wo der Segen der Royals waltet, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Die Einheimischen haben den Vorteil dieser English Connection genau erkannt und mit David Whelton, dem langjährigen, nun pensionierten Intendanten des London Philharmonia Orchestra, einen hochkarätigen künstlerischen Leiter engagiert. Wie seinerzeit Martin Engström beim Aufbau des Verbier-Festivals seine Verbindungen zur Plattenindustrie nutzbar machen konnte, so greift jetzt auch Whelton auf die Künstlerkontakte aus seiner Orchesterzeit zurück. Ihm zu Seite steht als Organisationschefin Raluca Matei, Managerin der Camerata Zürich.
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- Foto: Max Nyffeler
- Einrichten der beiden Flügel im Künstleratelier Christian Bolt für das litauische Klavierduo Vilija Poskute & Tomas Daukantas
Erfolg mit Investitionsbedarf
Markante Akzente im diesjährigen Programm setzten der Pianist Nikolai Luganski, das Tetzlaff-Trio und das litauische Klavierduo Vilija Poskute & Tomas Daukantas. Das Berner Alte-Musik-Ensemble Les Passions de l’âme mit seiner Leiterin Meret Lüthi gab mit Werken von Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Joseph Fux sowie Vater und Sohn Schmelzer einen spannenden Einblick in die Blütezeit des österreichischen Barock. Einige Stücke bezogen sich auf die türkische Belagerung Wiens und die mit Hilfe der polnischen Reiterarmee erfolgte Befreiung im Jahr 1683 – Programmmusik mit Schlachtenlärm, Pferdegetrappel und Siegeschorälen. Die vom Kammerorchester Basel begleitete russische Sopranistin Julia Lezhneva brillierte mit Arien aus der Zeit der Opera seria; sie ist noch immer die intonationssichere Trillerlerche wie zu Beginn ihrer Karriere um 2010, als sie erstmals mit Marc Minkowski in Salzburg auftrat, auch wenn ihre federleichte Sopranstimme inzwischen mehr zum Mezzo hin tendiert.
Den abschliessenden Höhepunkt bildeten zwei Robert Schumann gewidmete Abende mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi. Mit einer leidenschaftlichen Interpretation von drei Sinfonien, mit dem von Steven Isserlis hingebungsvoll gespielten Cellokonzert und dem selten programmierten Konzertstück für vier Hörner und Orchester, als Solisten das Quartett German Hornsound, versetzten die Bremer das Publikum in helle Begeisterung. Sie zeigten aber auch die Grenzen der Saalakustik auf, nach oben und nach unten: Im Orchesterfortissimo lässt die Klangtransparenz nach, bei leisen Stellen spielt die Lüftung unüberhörbar mit. Damit das Festival sein zweifellos vorhandenes Zukunftspotenzial voll ausschöpfen kann, sind zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur wohl unumgänglich.