Die atmende Leichtigkeit des Spiels
Der Geiger Hansheinz Schneeberger hatte eine grosse menschliche Kraft und hinterlässt tiefe musikalische Spuren. Zu seinem ersten Todestag trafen sich Weggefährten und Freunde zu gemeinsamem Musizieren.
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Bartók war einer seiner Schicksalskomponisten. 1946 spielte Schneeberger mit Ansermet die 2. Rhapsodie. Von da an galt er als der beste Geiger der Schweiz. Bald darauf konnte er Bartóks 2. Violinkonzert zur schweizerischen Erstaufführung bringen. Das wiederum zog die Uraufführung des 1. Violinkonzerts nach sich, welches erst posthum veröffentlicht wurde. 1952 übernahm Schneeberger die Uraufführung des Violinkonzerts von Frank Martin.
Schneeberger war als Künstler, Pädagoge und Mensch eine singuläre Erscheinung. Er reagierte immer direkt. Er war stets auf der Suche nach besseren Lösungen. Der Pianist Jean-Jacques Dünki, einer seiner langjährigen Kammermusikkollegen, erzählt, dass Schneeberger noch im hohen Alter begeistert von einem neuen Fingersatz berichten konnte und ihm diesen sofort vorspielte. Der Geiger arbeitete an einer atmenden, leichten Bogenführung: «Er hat Jahrzehnte seines Lebens an einer Verlängerung des Bogenstrichs getüftelt», sagt Egidius Streiff, der als Jungstudent bei ihm an der Musikakademie Basel war. Er konnte Phrasen auf einem Bogen schier endlos «spinnen» und formte so ganz eigene Gestaltungsweisen.
Heinz Holliger, mit dem ihn eine jahrzehntelange Freundschaft verband, erinnert sich: «Seine Bogenführung orientierte sich an der Atmung … Es ging ihm darum, die Essenz des Stücks zum Klingen zu bringen. Dafür war er bereit, alles in Frage zu stellen, was er je gelernt hatte. Er war das grösste Vorbild, das ein Musiker sein kann: nie mit sich zufrieden und immer Neues entdecken.»
Als grosser und schwerer Mann arbeitete er an der Leichtigkeit des Spiels. Diese Leichtigkeit trainierte er sich durch sein grosses Hobby an, das Schlittschuhlaufen, welches ihn eine ganz neue Philosophie des Geigespielens lehrte: «Man darf den Bewegungsablauf nicht stören. Das eine muss aus dem andern harmonisch hervorgehen. Wenn man am Anfang den Bewegungsablauf vermasselt, ist die ganze Figur kaputt», sagte er in einem Interview, das anlässlich seines Todes von SRF gesendet wurde.
Als Lehrer war er eine Urgewalt und liess keine Zweifel offen, wie er es haben wollte: «Ich mache es so», hörten seine Studierenden oft, wenn sie nach musikalischen Lösungen suchten. Nach einem Konzert konnte er seine volle Begeisterung, aber auch seine totale Abneigung zeigen. Egidius Streiff berichtet: «Ich erlebte ihn als einen sehr durchlässigen Menschen. Er war extrem breit interessiert und wollte über alles Bescheid wissen, was den Schüler interessierte».
Lieblingskomponisten, Lieblingsmenschen
Im Grossen Saal der Basler Musikakademie, an welcher Schneeberger 30 Jahre lang gelehrt hatte, gelangten am 21. Oktober Komponisten zur Aufführung, die zu seinen Favoriten gehört hatten, sowie Stücke mit einem inneren Bezug zwischen dem Geehrten und den Ausführenden.
Zu Beginn demonstrierte Heinz Holliger im Adagio aus Mozarts Oboenquartett mustergültig, was atmendes Musizieren bedeuten kann. Intarsimile für Violine solo aus dem Jahr 2010 hatte Klaus Huber ursprünglich für Schneeberger komponiert, doch schliesslich übernahm sein Schüler Egidius Streiff die Uraufführung; er stand auch diesmal auf dem Podium. Heinz Holligers Schumann-Begeisterung nahm ihren Anfang, als er als junger Student Schneeberger Schumann spielen hörte: «Er hatte den Schlüssel zu dieser Musik», ist Holliger überzeugt. Daniel Sepec und Tobias Schabenberger mit der Sonate Nr. 1 in a-Moll von Schumann zu erleben, war der reine Genuss. Streiff hatte seinem Lehrer die Reger-Sonate in e-Moll gezeigt. Schneeberger war so begeistert davon, dass er sie zusammen mit Jean-Jacques Dünki kurzerhand auf Platte aufnahm. Dünki und Streiff führten das Werk an diesem Abend auf.
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Französische Musik «mues schmöcke»
Die französische Musik lag Schneeberger besonders nahe: «Französischi Musig mues schmöcke», pflegte er zu sagen. Dieser olfaktorische Charakter war im Allegro aus Faurés Klavierquartett mit Gérard Wyss, Helena Winkelman, Mariana Doughty und Tobias Moster zu spüren. Der junge Dmitry Smirnov spann, begleitet von Jean-Jacques Dünki, kunstvoll die musikalischen Fäden in Debussys Sonate für Violine und Klavier in g-Moll. Er durfte in Schneebergers letzten Lebensmonaten von dessen Rat profitieren. Das letzte Geschenk an seinen Freund Heinz Holliger war die Gesamtausgabe der Ravel-Briefe. Im Allegro der Ravel-Sonate für Violine und Violoncello spielten sich Ilya Gringolts und Anita Leuzinger gekonnt die sperrigen Intervalle zu. Heinz Holliger hatte für Schneeberger die Solosonate Ri-Tratto (2011) geschrieben und sich dabei von der Fuge aus Bartóks Solo-Violinsonate inspirieren lassen, die Schneeberger oft gespielt hatte. Ilya Gringolts führte sie mit entschlossenem Zugriff auf. Anschliessend bot er eine atemberaubende Version der Fuge.
Dass Schneeberger auch komponiert hatte, allerdings weitgehend im Verborgenen, wurde im nächsten Programmpunkt deutlich. Schon als Neunjähriger hatte er damit angefangen. Bereits damals waren seine Stücke perfekt im Satz und zeigten eine originelle, persönliche Sprache. Für seine beiden Haikus für Flöte und Streichtrio (2011) gesellte sich Isabelle Schnöller zu den bereits Genannten. Im ersten Stück waren Flagoletts und Vogelstimmen zu vernehmen; in den Klangclusters des zweiten glaubte man Naturbilder zu erkennen. Eingelegte Ruder (2015, Bild ganz unten) für Bariton, Englischhorn, Viola und Violoncello erinnert stimmungsmässig an Franz Liszts Spätwerk La lugubre gondola. Robert Koller gestaltete über einer düsteren Grundstimmung beseelt C. F. Meyers bedeutungsvollen Text.
Den Programmschluss bildete eine heitere Violinstafette mit Übungsduetten von Béla Bartók, die Schneeberger in- und auswendig gekannt hatte, lagen sie doch auf dem Tisch seines Violinlehrers Walter Kägi. Dieser war in ständigem Kontakt mit Bartók gewesen, welcher ihm die Stücke zum Ausprobieren zusandte.
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