Zeiträume Basel: Drei Gehör-Gänge
Vom 9. bis 19. September findet in Basel die Biennale für neue Musik und Architektur «Zeiträume» statt. Das diesjährige Motto lautet «Die Verwandlung».

Die Verwandlung des Raums springt uns geradezu an, besonders in der Stadt: Da ragt ein Kran auf, dort klafft eine Baugrube. Musik dagegen ist flüchtig – und damit eigentlich Veränderung an sich. Sie bleibt aber ungreifbar. Über die komplexen Beziehungen von Räumen und akustischen Eindrücken kann eine Menge philosophiert und geforscht werden. Der erste Teil des Festivalmagazins der Zeiträume Basel zeugt seitenlang davon. Man muss das nicht lesen, aber ich frage mich, ob dieser Überbau nicht den unmittelbaren Zugang zum Gebotenen verstellen kann. Dagegen würde ich mich freuen, wenn der reale Zugang zu den Orten des Geschehens deutlicher und von Weitem (von der nächstgelegenen Haltestelle des ÖV zum Beispiel) winken würde.
Am Sonntag, dem 12. September, mache ich mich auf, einige Angebote zu erkunden. Und zwar solche, bei denen Raum und Klang auf ungewohnte Weise zusammenfinden.
Eine Gemeindekarte aus Geräuschen
Der Klang von Birsfelden ist ein Projekt, das angesichts des sich verändernden Raums nach dem akustisch Typischen fragt. In dieser Gemeinde, sie gehört zu Basel-Land, grenzt aber unmittelbar an das Basler Stadtgebiet, soll gebaut werden. Der Dorfkern, wie er jetzt aussieht, ist bestimmt auf so manchem Foto festgehalten. Um auch eine klangliche Erinnerung zu haben, hat Hanan Isabella Kohlenberger die Bewohnerinnen und Bewohner befragt. Diese berichten von den Tonhöhen des Wassers in der Birs, vom Autolärm, vom Sprachenmix, der hier zu hören ist. Die Komponistin Cathy van Eck hat daraus ein Hörporträt, sozusagen eine klingende Postkarte, geschaffen, eine dieser Karten, die ganz verschiedene Ansichten eines Ortes kombinieren. Wobei hier nicht nur Idyllisches vorkommt.
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Flüstertüten erzählen von den typischen Klängen Birsfeldens. Foto: Pia Schwab
Vor dem Haus der Gemeindeverwaltung, die bereits umgezogen ist, sind Lautsprecher montiert. Wenn man auf die bezeichneten Felder tritt, ertönen Ausschnitte aus den gesammelten Erzählungen, auch Geräusche. An diesem Sonntagnachmittag verbreiten sie vor dem menschenleeren Gebäude eine wehmütige Stimmung. Wo sind sie, diese Menschen, die uns so engagiert den Klang ihrer Heimat schildern? Ich sehe nur Flüstertüten. Auf Leute treffe ich dann etwas entfernt im Weitergehen, sie sitzen draussen in einer Beiz und scheinen sich wiederum für die violetten Merkpunkte, die anzeigen, wo den Lautsprechern etwas zu entlocken wäre, nicht zu interessieren.
Ein Kino der Vorstellungskraft
In der Kaserne betrete ich Niemandsland. «Es gibt keine Sitzplätze, keine Bühne und keine Darstellerinnen und Darsteller», steht im Programm. Stattdessen stehen in dem stark abgedunkelten Raum Podeste mit matter oder glänzender Oberfläche, hängen Vorhänge und reflektierende Deckenelemente. Das wenige Licht macht daraus einen sich unmerklich wandelnden Ort und lässt mich das Geräusch- und Klangtheater, in das ich nun eintauche, intensiver zu erleben. Einmal fährt ein Zug, wird lauter, rollt über mich hinweg. Der Lärm bringt den Untergrund zum Beben. Später fällt Regen. Dann fallen Türen ins Schloss, eine Familie setzt sich zum Essen an den Tisch, von Ferne bröselt Azzurro herüber, ein Klavier klimpert … Nach etwa einer Viertelstunde stelle ich plötzlich fest: Jetzt bin ich drin. Am Anfang habe ich die anderen Hörerinnen und Hörer noch genau beobachtet, jetzt werden sie unwichtig. Manchmal geht einer am Podest vorbei, auf dem ich liege; manchmal gehe ich durch den Raum. Dabei verändert sich auch, was ich höre. Keiner hier wird am Schluss das Gleiche gehört haben, von den unterschiedlichen Filmen im Kopfkino ganz zu schweigen. Die akustischen Eindrücke öffnen individuelle innere Räume. Das Niemandsland ist erfüllt von meinen eigenen Bildern.
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Räume ergeben sich und verschwinden wieder im Strom der Klänge. Foto:© Dimitri de Perrot
«Disco des Alltags» nennt Dimitri de Perrot sein Projekt auch. Von ihm stammen Idee, Komposition und Bühnenbild dieses – wie eben bekannt wurde – für den Designpreis Schweiz 2021 vorgeschlagenen immersiven Musiktheaters. Es wird in den kommenden Monaten auch in anderen Städten zu erleben sein (s. unten).
Ein Garten für die Ohren
Anderthalb Stunden später betrete ich den Sarasinpark in Riehen. Dort feiert die örtliche Musikschule in Zusammenarbeit mit den Musikschulen der Musik-Akademie Basel und dem Gymnasium Bäumlihof und in Kooperation mit dem Festival Zeiträume ihr 40-jähriges Bestehen. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Violette und grüne Lampen leuchten aus Stauden und Büschen in die Bäume hinauf, weisse Scheinwerfer zeichnen Lichtbahnen auf den Rasen, lassen die spazierenden Menschen aber im Dunkeln. Dank der Lichtgestaltung von Michael Omlin geht man durch eine zauberhafte Welt. Dann beginnen die Kinder und Jugendlichen zu musizieren. 28 Gruppen sind in der unwirklichen Landschaft verteilt. Und sie spielen auch «verteilt», manchmal tönt hier eine Mandolinengruppe, dann weht von weit her ein Bläserklang vorbei, einige Jugendliche bewegen sich durch die Zuhörer und murmeln geheimnisvolle Botschaften. Manchmal verdichtet sich die Hörkulisse, dann dünnt sie wieder aus. Und so hingetupft das Ganze auch wirkt: Die oft weit voneinander entfernten Gruppen spielen zusammen. Dies gelingt dank einer sekundengenauen Anordnung in der Zeit, der alle via Handy folgen.
Bei seiner Einführung hatte der Komponist Hansjürgen Wäldele von einem «Garten für die Ohren» gesprochen, von 28 Beeten, die von den jungen Musikantinnen und Musikanten gepflegt würden, von der Saat, die sich manchmal von einem Beet ins andere stehle. Mit 28 Miniaturen und 250 Variationen hat er genau dies geschaffen: Ein Biotop von Klangpflanzen, die sich zum Teil stark ähneln, aber eben doch individuell sind, auch individuell angepasst an das Niveau der Schülerinnen und Schüler. Was sich nicht erschliesst, ist der Titel des Ganzen: Snurglond. Aber das macht ja nichts. Vielleicht heisst es «Klanggarten» in einer noch unentdeckten Sprache? Das passt zu dem, was Wäldele am Anfang sagte und was sich angesichts des dichten Programms für das ganze Festival sagen lässt: «Keine Sorge, sie werden mit Sicherheit das meiste versäumen!»