Aus Klavier wurde Saxofon

Zwei Jazzerinnen unterschiedlicher Prägung warten mit neuen Alben auf: Während Nicole Johänntgen auf «Henry» entschlackten Grooves aus New Orleans huldigt, zieht es das Sarah Chaksad Orchestra mit «Windmond» zu satten Sounds und zum Ausloten von Kontrasten hin.

Nicole Johänntgen in New Orleans. Foto: zvg

Nicole Johänntgen, aufgewachsen im saarländischen Fischbach, entstammt einem stark musikalischen Umfeld: Ihr Vater, ein Allroundmusiker und mitunter im Dixieland-Jazz unterwegs, liebte es, die Familie per Posaune zu wecken. Als Kind versuchte sich Nicole Johänntgen zunächst am Klavier, doch des vielen Übens überdrüssig, wandte sie sich Dreizehnjährig dem Saxofon zu. Es war Liebe auf den ersten Versuch. Angetan war der Teenager insbesondere von den freien und Groove-betonten Spielmöglichkeiten. Sie begann Funk-Saxofonisten wie Maceo Parker und Candy Dulfer nachzueifern, studierte später an der Staatlichen Hochschule für Musik in Mannheim und zog 2005 nach Zürich. Bereits sechs Jahre zuvor zeichnete sie – gemeinsam mit ihrem Bruder Stefan – unter dem Bandnamen Nicole Jo ein erstes Album auf. Seither hat Johänntgen zahlreiche weitere Platten folgen lassen, darunter auch eine Zusammenarbeit mit Jazzerinnen wie Ellen Pettersson oder Izabella Effenberg; dies unter dem Titel Sisters in Jazz.

Für ihr neustes Projekt ist Johänntgen nach New Orleans gereist, wo sie im Studio sieben Stücke einspielte, die sie während einem sechsmonatigen Aufenthalt in New York komponiert hatte. Ihre Mitmusiker, allesamt aus New Orleans, hat sie über gemeinsame Bekannte aufgespürt. Der Kollaboration entsprungen ist nun Henry, eine Hommage an die Familie der 35-Jährigen. Tuba, Posaune, Schlagzeug und Saxofon nehmen dabei die Traditionen der Musikstadt am Mississippi auf, beharren jedoch nicht auf diesen und zeigen grosse Lust auf Improvisatorisches. Innert nur fünf Stunden sollen die Aufnahmen im Kasten gewesen sein. Und Zufall oder nicht: Die Tracks klingen spontan, ungeschönt und haben einen feinen Groove. Nola – so bezeichnen die Einwohner von New Orleans ihre Stadt – wartet mit einer lockeren Konversation zwischen Posaune und Saxofon auf, die mal neckisch, mal erhitzt anmutet. Das anschliessende Slowly hingegen entpuppt sich zunächst als besinnlich und betont langsam dahinschreitend, nur um alsbald den Aufbruch zu suchen – und die Erfüllung in einer intensiven Expressivität zu finden. Ein Werk, das mit seiner Musikalität und seinem Mix aus flirrenden, rumpelnden und gar gurgelnden Momenten nicht bloss zu überzeugen, sondern gar zu bezirzen weiss.

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Nicole Johänntgen: Henry.  www.nicolejohaenntgen.com

Sarah Chaksad und ihr Orchester. Foto: Fabian von Unwerth

Ganz ähnlich wie Johänntgen fand auch Sarah Chaksad (*1983) zur Musik. Sie begann ebenfalls mit dem Klavier und wechselte dann allerdings bereits als Neunjährige zum Saxofon. Im Rahmen des Schwerpunktfaches Musik am Gymnasium in Wohlen entdeckte sie zudem ihre Leidenschaft fürs Komponieren. Nach einem Studium an der Pädagogischen Hochschule Bern schrieb sie sich an der Hochschule für Musik Basel ein. «Während meinem Saxofonstudium begann ich mich intensiv mit Arrangement und Komposition auseinanderzusetzen», schreibt die Künstlerin auf ihrer Website. Und will damit verdeutlichen, warum sie bei Lars Lindvall Big-Band-Arrangement- und bei Guillermo Klein Kompositionsunterricht belegte. 2012 gründete sie das 15-köpfige Sarah Chaksad Orchestra, das auf der Tradition von Big Bands fusst, aber auf zeitgenössische Sounds fokussiert und für satte Dynamik und individuellen Ausdruck steht. Das CD-Cover mit gemaltem Nachthimmel und Songtitel wie Waterfall oder der Titeltrack Windmond lassen Esoterisches erwarten, doch nichts dergleichen. Das erste Stück, Halo, beginnt sinfonisch und erhaben, ändert seine Farben jedoch rasch und neigt alsbald zu Latin-Rhythmen und weiss, mit Scat-Einwürfen von Julien Fahrer aufzuwarten.

Bandleaderin Sarah Chaksad, die auch der Pop-Soul-Formation Neighborship vorsteht, bevorzugt ein dichtes Klangbild, bei dem die Bläser, von Saxofon bis Flügelhorn, das Zepter übernehmen. Während Today We Got A New Angel sich dunkel und versonnen gibt, gebärdet sich Look Back And Laugh launisch und verspielt. Dem Sarah Chaksad Orchestra gelingt es, immer wieder Kontraste zu schaffen und dabei Nuancen nie aus dem Blick zu verlieren. Das swingt, das ist balladesk, das knallt – und reisst durchwegs mit.

Sarah Chaksad Orchestra: Windmond. Neuklang Records NCD4158. www.sarahchaksad.com

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