Auf dem fliegenden Teppich
Auf dem Album «Solo» zeigt Nicolas Stocker in völlig unterschiedlichen Stücken einen subtilen Umgang mit den melodischen Möglichkeiten von Perkussion.
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Nik Bärtsch, seit langer Zeit Fan, Förderer und Arbeitgeber von Nicolas Stocker, zitiert in seinem Umschlagtext den alten Witz, dass eine Band aus einer Reihe von Musikanten bestehe, dazu einem Schlagzeuger, und verkehrt die despektierliche Aussage ins Gegenteil: Ein Schlagzeuger sei tatsächlich etwas anderes als ein blosser Musiker. Denn einerseits obliege ihm die Pflicht, die urtümliche und mystische Kraft der Perkussion zu verkörpern, andererseits müsse er auch über ein Gefühl für Abstraktion, Raum und Struktur verfügen.
Der 31-jährige Komponist, Schlagzeuger, Perkussionist und Produzent Nicolas Stocker ist mit Haut und Haar ein Perkussionist in diesem Sinne. Seit seinem fünften Lebensjahr spielt er Klavier und seit dem elften Schlagzeug. Dazu ist er mit einer panoramahaften musikalischen Neugier ausgerüstet. So gehört er Nik Bärtschs akustischem Ensemble Mobile an, ist mit Gitarrist Urs Müller und Pianist Raphael Loher Teil des aufregend innovativen Trios Kali, hat aber auch die trip-hoppige Band Marylane mitbegründet. Mit dem Aufzählen seiner mannigfachen anderen Auftritte will man gar nicht erst anfangen.
Solo enthält fünf Stücke: ein kurzes Prelude, betitelt Bells for Pony, dann das viertelstündige Polyrub, zwei knapp zehnminütige Kompositionen und schliesslich eine als Postlude angesagte Reprise von Bells for Pony. Jedes Stück ist völlig anders als das vorangegangene. Alle legen sie einen subtilen Umgang mit den melodischen Möglichkeiten von Perkussion an den Tag. Polyrub beginnt mit knappen Woodblock-Schlägen, um sich in einer flotten Abfolge von lauten und weniger lauten, intensiven und weniger intensiven Passagen in beängstigende Tiefen polyrhythmischer Komplexität vorzukämpfen – ohne je Angst auszulösen, man verliere ob solcher Virtuosität den Halt auf dem fliegenden Teppich. Das faszinierende Bells for No One kombiniert den Rhythmus von lange herausgezogenen Gong-Schlägen mit Geräuschen, die an einen Sack voll rasselnder Nägel gemahnen, sowie allerhand anderen, sporadisch angeschlagenen, so weich wie melodisch klingenden Beats. Burst wiederum ergeht sich in einem druckvollen Trommelgalopp, der nichtsdestotrotz eine faszinierende Melodik freilegt. Fazit: ein rundum superbes Album.
Nicolas Stocker: Solo. Ronin Rhythm Records RON 021 (CD und Vinyl)