Syrisch-schweizerischer Brückenschlag
Die CD «Alrozana» bietet Liedbearbeitungen, dargeboten von Interpreten und mit Instrumenten aus beiden Kulturkreisen.
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Der syrische Komponist, Oud-Spieler und Arrangeur Hassan Taha lebt nicht ganz freiwillig in unserem Land. Er hat sich als Flüchtling in Bern niedergelassen und seine Ohren der Musiktradition seiner neuen Heimat zugewandt – auf der Suche nach einem emotionalen Brückenschlag zwischen seinem Herkunftsland und der Schweiz. Der Name seines Ensembles «Brunnen & Brücken» stehe dabei, heisst es im Booklet, als «Metapher für eine lebendige und völkerverbindende Kommunikation, gleichsam getragen vom Urelement Wasser». Die Symbolik erschliesst sich nicht unmittelbar, wird aber nicht weiter erläutert. Die CD Alrozana vereint bernisches und syrisches Liedgut, instrumentiert mit einem Ensemble aus Streichern, Alphorn, Hackbrett, Schwyzerörgeli und der arabischen Laute Oud. Es singen die Schweizerin Barbara Berger und die Syrerin Najat Suleiman. Tahas Einrichtungen wirken originell, klangliche Details überraschen, das Ensemble aus vornehmlich Schweizer Volksmusik-Instrumentarium tönt dabei oft exotisch verwandelt. Da scheint offensichtlich, dass ein Bearbeiter am Werk war, der nicht in die Falle x-fach reproduzierter Klang- und Formklischees tappt, die Musiker hierzulande wohl hindern würden, neue Wege zu beschreiten. Geleitet wird das Ensemble von Hans Martin Stähli. Er verfügt als Musiklehrer an einem Berner Gymnasium und als Chorleiter über reiche Erfahrung im Bearbeiten von Volksliedern, aber auch mit interkulturellen Musikprojekten.
Die Nummern, auch die syrischen, haben alle einen ähnlichen Duktus, schnellere Titel fehlen, was die Zusammenstellung etwas einförmig macht. Vom Berner Liedgut sind die Ikonen versammelt: Simelibärg und Es isch kei sölige Stamme, der erste Kuhreihen, der – vor allem in der Freiburger Variante des Ranz des vaches – gerne auch als Blues der Alpen bezeichnet wird; Stets i Truure, ein tieftrauriges Lied (ausgerechnet in Dur!) und das elegische Lueget vo Bärge und Tal. Aus dem Raster fällt deutlich das ursprünglich mittelalterliche Senfl-Lied Es taget vor dem Walde. Das Original wird von einer lydischen Quarte geprägt, die ja auch die Alphornmusik charakterisiert. Die hier gesungene Vokallinie scheint demgegenüber romantisch weichgespült. Wahl und Funktion dieses als einziges Hochdeutsch vorgetragenen Liedes bleiben auch deshalb rätselhaft. Dank all der Tonarten-Eigentümlichkeiten hätte man möglicherweise noch etwas mehr Schnittstellen zu der differenzierten Skalenwelt der syrisch-arabischen Musik finden können.
Gerade das Dur von Stets i Truure offenbart die Doppelbödigkeit der bernischen Volkslied-Ästhetik, die Leid und Schmerz mit Schlichtheit und scheinbarer Harmlosigkeit kaschiert. In Hassan Tahas Arrangements erfahren die Lieder hingegen eine manchmal hart anmutende Kurzatmigkeit, die von der Aufnahmeästhetik eher unterstrichen wird. Der Raum wirkt kahl und die Instrumente nahe mikrofoniert. Ein weicheres Klangbild hätte diese Unerbittlichkeit vielleicht etwas abgedämpft. Im Grossen und Ganzen zeugt das Projekt aber von einer intensiven und anregenden Auseinandersetzung mit den Gemeinsamkeiten und Unvereinbarkeiten zentraleuropäischer und nahöstlicher Expressivität.
Alrozana. Hassan Taha; Ensemble Brunnen & Brücken, Leitung Hans Martin Stähli. Zytglogge ZYT 4649