Ein Schatzkästchen (nicht nur) für Pianisten

Hans Freys schrieb virtuose Ländlermusik für Klavier solo. Dabei orientierte er sich unter anderem am Ragtime.

Hans Frey. Ausschnitt aus dem Titelblatt

Solostücke für Klavier sind in der klassischen Literatur so wenig Mangelware wie im Jazz, in der Volksmusik aber eine ziemliche Rarität. Als unbestrittener Meister in diesem Fach wurde der Lachener Hans Frey (1913–1973) einst von Nischen-Liebhabern gefeiert und von Radio Beromünster gehätschelt. Selber ohne musikalische Ausbildung und Notenkenntnis, aber ausgestattet mit reichlich Talent und einem absoluten Gehör, hinterliess der Ausserschwyzer Klavierstimmer 43 Tänze für Klavier solo. Zum hundertsten Geburts- und vierzigsten Todesjahr hat der Wollerauer Musikhändler Mathias Knobel nun diese teilweise virtuosen Polken, Ländler, Mazurken, Märsche und Schottischen als vollständige Notensammlung herausgegeben.

Die Ländlermusik hat bekanntlich dem Klavier lediglich eine Nebenrolle als rhythmisches und harmonisches Begleitinstrument zugedacht, mancherorts ist es gar völlig verpönt. Mit einer solchen Sideman-Funktion mochte sich Frey, der offensichtlich auch Ragtime- und Stride-Pianisten zu hören bekam, nicht bescheiden. Schon in seinen Jugendjahren lud er gelegentlich Mitschüler zu «Konzert & Sirup» in den Bären ein, wo er mangels eines eigenen Klaviers auch üben durfte. Bei seiner ersten und einzigen Klavierstunde soll ihn der entnervte Lehrer umgehend weggeschickt haben, weil er ihm alles auf Anhieb nachspielte. Bald holten ihn dafür die Dorfnotablen jeweils aus der Schulstube, um das Wunderkind ihren Gästen vorzuführen.

Fredy Reichmuth, Knobels langjähriger Mitstreiter an Akkordeon und Klavier, hat die Noten ab Freys eigenen Einspielungen minutiös und in den Originaltonarten transkribiert. Dessen Faible für die schwarzen Tasten widerspiegeln schon die zwei ersten Nummern in Des-Dur. Während die linke Hand in Vierteln zwischen Oktavbässen und dreistimmigen Akkorden turnen kann, darf sich die Rechte an Achtelläufen in Terzen oder Sexten delektieren. Das ist also nicht gerade Literatur für Anfänger, schon gar nicht, wenn Frey sich auch mal eine Septole leistet, um einen chromatischen Durchgang zwischen zwei Taktstrichen unterzubringen.

Der schöne Notenband, der auch eine kompakte Biografie mit Fotos enthält, liegt für Amateur-Ländlerpianisten technisch wohl ausser Reichweite. Umso mehr bietet er sich für neugierige Outsider an, die ihre allfälligen Vorurteile betreffend «einfach gestrickter» Ländlermusik überprüfen möchten. Die 43 Tänze dürften vorab Pianisten ansprechen, die eine einheimisch-bodenständige Ergänzung zu Chopin-Walzern oder Fats Waller suchen. Da das Gros des Ländler-Repertoires lediglich in vereinfachter Notation (Melodie, eventuell zweite Stimme und Akkord-Chiffrierung) verfügbar ist, könnten die detailliert ausnotierten Frey-Noten aber auch als Studienobjekte für Analyse und stilgerechtes Arrangement interessieren. Ergänzend dazu – sprechend hinsichtlich Phrasierung, Dynamik oder Verzierungspraxis – liegen Freys Einspielungen auf zwei CDs vor: Erinnerungen an Hans Frey, Vol. 1 + 2

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Notenband: Hans Frey (1913–1973), Pianist und Komponist der Schweizer Volksmusik, Transkription: Fredy Reichmuth, Herausgeber: Mathias Knobel, Sämtliche 43 Kompositionen in Originalfassung, Format A4, 136 Seiten, Umschlag kartoniert, Fr. 56.00, Musikhaus Knobel, Wollerau 2013

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