Jahrhundertkomposition

Strawinskys Ballett «Le Sacre du printemps» wurde erstmals in der Reinschrift des Komponisten verlegt. Das Faksimile der Partitur war innert kürzester Zeit vergriffen. Trotzdem soll dieses bibliophile Ereignis gewürdigt werden.

Aus der Klavierfassung zu vier Händen. Bild: Schott/Paul-Sacher-Stiftung

Den hundertsten Geburtstag des am 8.März (23.Februar) 1913 in Clarens am Genfersee beendeten und am 29. Mai in Paris uraufgeführten Balletts würdigt die Paul-Sacher-Stiftung Basel mit einer wörtlich gewichtigen Jubiläumsausgabe in drei Bänden. Nebst den Faksimiles der Partiturreinschrift und der Klavierfassung zu vier Händen veröffentlichte sie einen Avatar of Modernity. The Rite of Spring Reconsidered betitelten Studienband mit 18 reich illustrierten Essays in englischer Sprache. In der von Hermann Danuser und Heidy Zimmermann herausgegebenen Textsammlung wechseln Untersuchungen zur Entstehung und Rezeptionsgeschichte mit solchen zu den mythischen und folkloristischen Quellen dieser «Jahrhundertkomposition» ab. Obschon auch das Bildmaterial mit Entdeckungen aufwartet, irritiert doch der Umstand, dass das Programm der Uraufführung zweimal zu sehen ist, Abbildungen der Erstausgaben der vierhändigen Klavierversion (1913) und der kriegsbedingt später erschienenen Partitur (1921) jedoch fehlen.

In seiner Einführung zur Reproduktion von Strawinskys Reinschrift der Partitur im Grossformat 45 x 34 cm geht Ulrich Mosch auch auf die verschiedenen Schichten nachträglicher Korrekturen, auf die späteren Metronomangaben und Tempobezeichnungen akribisch ein. Er informiert sogar über jene verschollene Kopistenabschrift, welche der Dirigent Pierre Monteux unter Berücksichtigung der vom Komponisten in den Proben eingetragenen Korrekturen für die Uraufführung benutzte. 1974 erwarb Paul Sacher die in schwarzer Tinte verfertigte Partiturreinschrift, die wichtigste Quelle zu dem revolutionären Meisterwerk, direkt von Strawinskys Witwe. Der Komponist hatte, bis er es 1967 nach langwierigem Revisionsprozess als Version letzter Hand veröffentlichte, seit den Proben zur Uraufführung zahlreiche Änderungen notiert. Erstaunlicherweise lieh er die zum unersetzlichen Handexemplar gewordene Reinschrift noch 1920/21 aus, als Vladimir Golschmann und Ernest Ansermet die nach der Uraufführung zweite Ballettproduktion dirigierten.

Selbst über blaue Eintragungen von Dirigenten und rote Bezeichnungen durch Mitarbeiter des Russischen Musikverlages (Berlin), über ein seitenverkehrt eingebundenes Blatt und über die beiden Restaurierungen, die das hochkarätige Manuskript über sich ergehen lassen musste, informiert der Herausgeber ebenso kenntnis- wie detailreich.

Strawinskys eigenhändige Bearbeitung für Klavier zu vier Händen war bereits wenige Tage vor der Uraufführung der Orchesterpartitur in Sergej Kussewitzkys Russischem Musikverlag im Druck erschienen. Das in ungewohnter Form überlieferte Manuskript, das sich nach wie vor im Besitz von Strawinskys Nachkommen befindet, setzt sich aus zwei kollaborativ entstandenen Teilen zusammen. Der erste liegt in einer Kopistenabschrift vor, der zweite in des Komponisten säuberlicher, gestochen scharfer Reinschrift mit dem Vermerk «Réduction pour piano à 4 mains par l’auteur». Der Herausgeber Felix Meyer, Direktor der Paul-Sacher-Stiftung, beschreibt nicht nur die «Vorpremieren» des Balletts am Klavier und die Vorgeschichte dieser mehrfach eingespielten Version, sondern auch die vielen nachträglichen Korrekturen ausführlich und spannend anschaulich.

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Igor Stravinsky, Le Sacre du printemps, Jubiläumsedition, Faksimile der Partiturreinschrift, hg. von Ulrich Mosch, 146 S., € 175.00, Verlag Paul Sacher Stiftung (Boosey & Hawkes), London 2013, ISBN 978-0-85162-813-4 (vergriffen)

id., Faksimile der Klavierfassung zu vier Händen, hg. von Felix Meyer, 118 S., € 99.00, ISBN 978-0-85162-822-6

Avator of Modernity. The Rite of Spring Reconsidered, hg. von Hermann Danuser und Heidy Zimmermann, 502 S., € 79.00, ISBN 978-0-85162-823-3

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