Aus Finnlands Seen und Wäldern

Zum 150. Geburtstag von Jean Sibelius sind einige Neuausgaben zu verzeichnen. Die Herausgeber übereilen aber nichts. – Zum Glück!

Winterliches Sibelius-Denkmal in Helsinki. Foto: Sami Uskela, flickr commons

Heute kennt man Jean Sibelius (1865–1957) nahezu ausschliesslich als den grossen Sinfoniker, der einen ebenso kräftigen wie langen Schatten auf die Musikgeschichte seiner finnischen Heimat geworfen hat. Dabei ist sein Schaffen weitaus vielfältiger. Denn es finden sich darin gleichermassen Lieder, Chöre und Klaviermusik. Zu letzterer glaubt man gemeinhin auch die bekannte Valse Triste op. 44 (1904) zählen zu können – doch handelt es sich um das Arrangement einer Nummer, die ein Jahr zuvor als Bühnenmusik zum Schauspiel Kuolema entstanden ist.

Diese eigenartig verquere Rezeption durchzieht fast das gesamte Œuvre. Umso dankbarer ist man daher für die in Helsinki von einem kompetenten wissenschaftlichen Herausgeberteam betreute Ausgabe sämtlicher Werke, die seit einigen Jahren Schritt für Schritt bei Breitkopf & Härtel erscheint (übrigens ein schon von Sibelius selbst bevorzugter Verlag). Notwendig wurde dieses Grossprojekt aus gleich mehreren Gründen: Nicht alle Werke liegen gedruckt vor, viele Ausgaben sind längst vergriffen, und zahllose Druckfehler werden bis heute hartnäckig tradiert. Ganz nebenbei rückt aber auch Unbekanntes wieder in den Fokus.

Dies gilt zumal für die Klaviermusik – eine überraschende Seite in Sibelius’ Œuvre, ist sie doch ganz von kurzen und kurzweiligen Charakterstücken geprägt. Man ahnt es vielleicht schon: Sie entstanden vor allem aufgrund finanzieller Interessen, wurden dem Komponisten dann aber auch bald sauer. So wich in Bezug auf die Zehn Klavierstücke op. 58 (1909) eine anfängliche schöpferische Euphorie zunächst einem starken Zweifel («weil diese Klaviertechnik mir nicht geläufig ist») und dieser dann dem Zwang des Portemonnaies: «Die Finanzen zwingen mich, Klavierstücke zu komponieren.» Erstaunlich nur, welch hohe kompositorische Qualität all diese in verschiedenen Opera erschienenen Brot-Werke haben. Die mit ihnen verbundene Last ist an keiner Stelle zu spüren – dies gilt insbesondere für die aktuell in einem handlichen Heft zusammengestellte wohlfeile Auswahl von 18 Stücken aus den Jahren 1887 bis 1920. Die Wiederentdeckung dieser Kleinode lohnt auf jeden Fall.

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Wohl mehr für den auch mit den Augen hörenden Musikliebhaber ist das Faksimile von Luonnotar op. 70 (1913) bestimmt, einer in ihrer musikalischen Bedeutung unterschätzten Tondichtung für Sopran und Orchester. Die drucktechnisch auf höchstem Niveau besorgte Edition umfasst die reinschriftliche autografe Partitur und den von Sibelius selbst angefertigten Klavierauszug, ergänzt durch ein instruktives Vorwort von Timo Virtanen. Als Sonderband der Gesamtausgabe erschienen, stellt sie nicht nur eine willkommene Gabe zu dem an manchen Orten kaum bemerkten Jubeljahr dar.

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Die Gesamtausgabe selbst liess sich aus diesem Anlass glücklicherweise nicht zu einem hemdsärmeligen Output verführen – in Vorbereitung sind erst die Männerchöre a cappella und die beiden Scènes historiques. Da passt es gut ins Bild, dass der Verlag für wenig Geld eine Studienpartitur der erstmals 2006 gedruckten Tondichtung Skogsrået (Die Waldnymphe) anbietet; eine frühe Schöpfung von 1893/95 und vielleicht gerade deshalb von gewissem Reiz.

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Jean Sibelius, Piano Pieces. 18 ausgewählte Stücke, EB 8855, € 15.90, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2015

id., Sämtliche Werke (JSW), hg. von der National Library of Finland und der Sibelius Society of Finland, Sonderband Faksimile-Ausgabe von Luonnotar op. 70. SON 626, € 79.00

id., Skogsrået. Tondichtung für Orchester, hg. von Tuija Wicklund, Studienpartitur, PB 5564-07, € 13.90

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