Erlebtes und Erträumtes
Der farbige und ausdrucksstarke Klavierzyklus von Josef Suk hätte es verdient, öfter gespielt zu werden.
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Životem a snem (zu Deutsch etwa: Erlebtes und Erträumtes) nennt sich Josef Suks wohl bedeutendster Klavierzyklus. Die zehn Stücke entstanden im Frühjahr 1909 in erstaunlich kurzer Zeit. Suk war damals als zweiter Geiger des Böhmischen Quartetts mit Auftritten in ganz Europa unterwegs und kam so nur während der Tourneepausen zum Komponieren.
Wenige Jahre zuvor hatte Suk den überraschenden Tod seines Schwiegervaters Antonín Dvořák und kurz darauf vor allem jenen seiner jungen Frau Otilie zu verkraften. Diese seelischen Erschütterungen mag man aus einigen eher düsteren und kontemplativen Passagen dieses Opus 30 heraushören, dies besonders eindrucksvoll und ergreifend in Nummer 10 mit der Überschrift: Den vergessenen Grabhügeln auf unserem Dorffriedhofe. Im Allgemeinen herrschen aber eine bunte Welt der Klänge und Charaktere von oft tänzerischem, manchmal gar spukhaftem Reiz vor. Und war in früheren Werken der Einfluss Dvořáks unüberhörbar, so scheint Suk hier seine ganz eigene harmonische Sprache gefunden zu haben.
Die einzelnen Sätze sind nicht nur mit Tempoangaben, sondern auch mit zusätzlichen Spielanweisungen versehen, die den spezifischen Charakter präzisieren. Gerade etwa bei Nummer 2 (Unruhig, schüchtern, nicht allzu ausdrucksvoll) oder Nummer 4 (In sich versunken, später mit allmählich gesteigerter Energie) sind diese Hinweise für den Interpreten doch sehr aufschlussreich.
Ganz offensichtlich hatte Suk auch eine pianistische Begabung: Seine Klaviermusik – selten virtuos – liegt sehr angenehm in den Händen und bringt das Instrument wunderbar zum Klingen.
Jarmila Gabrielová hat Životem a snem bei Bärenreiter neu herausgegeben und mit einem Vorwort versehen, das viel Interessantes zur Entstehungsgeschichte und Querbezüge zu anderen Werken dieses unterschätzten Komponisten vermittelt.
Josef Suk, Erlebtes und Erträumtes op. 30 für Klavier, Urtext hg. von Jarmila Gabrielová
BA 9561, € 17.95, Bärenreiter, Prag 2015