Mehr Quellen einbezogen

Die Neuausgabe von Johann Sebastian Bachs Clavier-Partiten BWV 825–830 ist breiter abgestützt und bietet Hinweise für die Aufführungspraxis.

Schluss der Gigue aus der Partita Nr. 6 BWV 830, Erstdruck von 1731. Quelle: wikimedia commons

Es war höchste Zeit, fünfzig Jahre nach der viel benutzten Henle-Edition von Rudolf Steglich Johann Sebastian Bachs Clavier-Partiten im selben Verlag erneut herauszubringen. Zu viel hat sich seit damals in Bach-Forschung und Editionspraxis getan. Während Steglich sich mehrheitlich auf ein Exemplar des Originaldrucks aller sechs Stücke von 1731 stützte und da und dort Änderungen ohne Quellenbezug vorschlug, bezog nun Ullrich Scheideler auch die handschriftliche Überlieferung und vor allem die aus Bachs Umkreis stammenden Ergänzungen in einigen Exemplaren des Originaldrucks ein. In diesen späten Quellen haben die Schreiber nicht nur offenkundige Versehen und Fehler des Drucks handschriftlich berichtigt, sondern musikalische Verbesserungen vorgeschlagen und aufführungspraktisch höchst interessante Verzierungen ergänzt. Leider nimmt Scheideler unter diesen Vorlagen keine Priorisierung vor, was in der Folge da und dort zu musikalisch fragwürdigen Entscheidungen führt. Kein Problem: Interessierte können sich heute im Internet den Zugang zu den hier ausgewählten und zu unzähligen weiteren Quellen leicht verschaffen, um eine eigene Wahl zu treffen.

Insgesamt sind die strittigen Stellen aber so marginal, dass man sich für die eine oder die andere dieser beiden Henle-Ausgaben entscheiden könnte. Was die spätere jedoch der älteren voraus hat, ist der Abdruck alternativer Fassungen, einerseits ausgezierter Versionen, andererseits aber vor allem endlich einer kontrapunktisch korrekten Motivumkehrung im zweiten Teil der Giga der a-Moll-Partita (Nr. 3). Insofern würde sich der Kauf der aktuellen Ausgabe lohnen, wären da nicht die ärgerlichen Fingersätze aus der Feder eines schulmeisterlichen Pianisten, der offensichtlich von Bachs «Applicaturen» und barocker Artikulation wenig versteht und lieber den fünften Finger der rechten Hand schont. Der Innentitel des Bandes verweist glücklicherweise auf eine Ausgabe ohne Fingersätze: HN 1518.

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Johann Sebastian Bach: Sechs Partiten BWV 825–830,
hg. von Ullrich Scheideler; mit Fingersätzen: HN 518; ohne Fingersätze: HN 1518; je € 22.00, G. Henle, München 2021

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