Brahms total

Das gesamte Œuvre in Einzelartikeln interpretiert – fundiert und perspektivenreich zum Durchlesen und Nachschlagen.

Brahms’ Ankunft im Himmel aus «Dr. Otto Böhlers Schattenbilder» Lechner, Wien. wikimedia commons

Fünf solcher Herkules-Aufgaben hat der Laaber-Verlag hinter sich: Opulente Bände kamen schon heraus über das Gesamtwerk Beethovens, Schumanns, Mahlers und Schönbergs. Und jetzt also über Johannes Brahms, den viel zu lang Vernachlässigten, der im Fortschrittsdenken der Musikwissenschaft keinen Platz finden wollte und konnte. Den Nachholbedarf befriedigen nun 46 Autoren. Mit 160 Werken des Hamburger Meisters in einzelnen Artikeln. Nicht streng chronologisch, aber nach Opuszahlen und Werken ohne Opuszahlen aufgeführt, behandeln sie das gesamte (bekannte) Œuvre, zu dem auch die in den letzten Jahren aufgetauchten Jugendwerke Männerchor-Lieder in Es- und H-Dur gehören sowie ein Albumblatt für Klavier in a-Moll.

Der interpretatorische Zugang erfolgt, wie die Herausgeber Claus Bockmaier und Siegfried Mauser erwähnen, über ein ganzes «Spektrum methodischer Zugangsformen, die sich nach Herkunft des jeweiligen Autors, aber auch nach der gattungsspezifischen und entwicklungsgeschichtlichen Zugehörigkeit des betrachteten Werks durchaus unterscheiden». Mal umfassen einzelne Werkinterpretationen vier Seiten, mal, wie im Falle der Sinfonien, mehr als zehn Seiten. Fast jeder Eintrag bietet Informationen zum Entstehungshintergrund. Danach kann der Leser mit analytischen Betrachtungen rechnen, durchsetzt mit Kommentaren von Brahms’ Zeitgenossen, etwa von Clara Schumann oder von Freund und Biograf Max Kalbeck. Etwas schwach vertreten bleibt die neuere Rezeptionsgeschichte. Ein kurzer, dafür aber ergiebiger Essay von Giselher Schubert kompensiert diesen Mangel. Zugleich plädiert der Brahms-Fachmann Schubert für eine stärkere Akzentuierung inhaltsästhetischer Deutungen, die vor allem die Balladen Opus 10 für Klavier oder das erste Klavierkonzert Opus 15 nahe legen.

Stets fundiert, fernab grassierender Unterhaltungsmoden, erfüllen die zwei Bände an jeder Stelle wissenschaftliche Standards. Unbedingt gehören sie somit in jede Musikbibliothek, aber auch ins Bücherregal des Musikliebhabers. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis erleichtert tieferes Eindringen in Werke, die man im Falle Brahms nie erschöpfend behandeln kann; das Namensregister wiederum bietet Anhaltspunkte für ein schnelles Nachschlagen -das wohl öfter vorkommen wird als eine durchgehende Lektüre.

Demnächst erscheinen im Laaber-Verlag weitere Bände in dieser Reihe: über Felix Mendelssohn Bartholdy und Claudio Monteverdi. In «schwierigen Zeiten», wie sie die Herausgeber angesichts stagnierender Verlagsgeschäfte konstatieren, sind das riskante, aber in dieser Qualität umso lobenswertere Mammutprojekte.

Image

Johannes Brahms. Interpretationen seiner Werke, hg. von Claus Bockmaier und Siegfried Mauser, 136 Notenbeispielen und 11 Abb., 1094 Seiten, in zwei Bänden, gebunden, ca. € 178.00 (=Subskriptionspreis bis 31.3.2014, danach ca. € 198.00), Laaber-Verlag, Laaber 2013, ISBN 978–3–89007–445–0

Das könnte Sie auch interessieren