Persönliche Musikgeschichte
In seinem autobiografischen Essay stellt Frido Mann die Musik ins Zentrum.

Wenn Sie dank dieses Buches auf den langsamen Satz der zweitletzten Klaviersonate von Schubert aufmerksam würden (Seite 121) – allein deswegen hätte es sich schon gelohnt, es zu lesen! Man kann 75 Jahre alt werden und als nicht Klavier spielender Musikinteressierter erstmals diesem Satz begegnen: ein umwerfendes Erlebnis!
Dieses kleine Buch aber bietet noch weitere überraschende Einblicke, Hinweise auf weniger bekannte Ereignisse in der Musikgeschichte oder auch auf Werke, die wiederum aus manchmal zufälligen Begegnungen des Autors als bemerkenswert zu registrieren waren. Etwa die ganz persönlichen Bemerkungen zur Musik als Gemeinschaftserlebnis mit der kleinen Oper Brundibar von Hans Krása – im Durchgangslager Theresienstadt (heute Terezín) Dutzende Male aufgeführt, immer wieder in wechselnder Besetzung, wenn «viele der jugendlichen Darsteller in die Vernichtungslager deportiert wurden». Verblüffend auch die äusserst kurze Charakterisierung zur Unterscheidung von Debussy und Ravel.
Das Buch kann aber auch als musikgeschichtlicher Überblick von Gesualdo bis Ligeti und Henze gelesen werden, das nicht für ein Fachpublikum geschrieben wurde, sondern für eine an Musik interessierte Lesergruppe, die subjektive Urteile gerne akzeptiert. Fachbezeichnungen der Neuen Musik, etwa «Aleatorik» oder «Serielle Musik», werden fachgerecht und doch verständlich erklärt.
Dass er als Enkel von Thomas Mann auf dessen grossen Musikerroman Doktor Faustus verweist und ihm ein ganzes Kapitel widmet, hat mehrere Gründe: Auch sein Vater Michael, das jüngste Kind der Mann-Familie, habe bei den Vorarbeiten mitgewirkt (Seite 36), weiter thematisiere der Grossvater in seinem Roman einen für den Enkel existenziellen Gedanken, nämlich dass die Reduktion des Religiösen in der Musik der modernen Hoffnungslosigkeit Vorschub geleistet habe: «Der harmonisch kosmische Gottesbezug in der Barockzeit ist durch den Fokus auf die Welt des individuellen menschlichen Gefühls abgelöst worden» (Seite 249). In den wenigen Hinweisen auf seinen Vater ersteht ein knappes, aber doch gerechteres Bild von Michaels Musikerkarriere als in der neuesten Publikation zur Mann-Familie von Thilmann Lahme.
Man kann Frido Manns Ratschlägen im letzten Teil des Buches, wie die aktuelle Musik wieder näher an das interessierte Publikum herangebracht werden könnte, eine gewisse Skepsis entgegenbringen, unnötig sind aber solche Überlegungen gewiss nicht.
Frido Mann, An die Musik. Ein autobiographischer Essay. Fischer TB 03376, 332 Seiten, € 10.99, Fischer, München 2015, ISBN 978-3-596-03376-8