Im Wohnzimmer von Mahalia Jackson
Eins der wohl schönsten Jazzbücher wurde wiederaufgelegt: Mit Jazzlife kann der Leser ins Jahr 1960 zurückkehren und dem Genre bei einer Reise quer durch die USA auf die Spur kommen.
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1960 reiste der Fotograf William Claxton (1927–2008) zusammen mit dem deutschen Musikjournalisten und -produzenten Joachim Ernst Berendt (1922–2000) durch die USA, um Jazzmusiker und Strassenszenen an Orten wie New York, Kansas City oder Philadelphia festzuhalten. Das Buch mit dem Titel Jazzlife erschien in einer Grossauflage von zwei Millionen Exemplaren und war gleichwohl immer wieder vergriffen. 2003 veröffentlichte der Taschen-Verlag den um zahlreiche Farbfotos und Beiträge erweiterten Band erneut. Und jetzt erscheint erstmals eine Ausgabe des Buches, die sogar gebunden günstig ist. Es sind knapp 600 Seiten, auf denen der Jazz nicht mehr jung ist, aber auch noch keine grauen Haare hat.
Claxton, bekannt geworden durch stilbildende Fotos von Jazzikone Chet Baker und Schauspieler Steve McQueen, erinnert sich in seinem Vorwort, warum ihn Berendt für das Projekt gewinnen wollte: Seine Bilder hätten Seele. Und tatsächlich gelangen dem US-Amerikaner Aufnahmen, die zunehmend Cover-Art-Qualität hatten und gleichwohl nie an Wärme einbüssten. Man habe Tausende von Fotos gemacht und Hunderte von Interviews geführt, doch im Buch sei nur ein Bruchteil davon gelandet, was ihn schmerze, sagte Berendt. Aber: Was für ein faszinierender Bruchteil! Weil die beiden Herausgeber den Jazzbegriff weit fassten, bekommt der Leser zusätzlich Einblicke in die damalige Welt von Gospel, Blues und Dixieland. Man sieht, wie Mahalia Jackson den zwei Besuchern in ihrem Chicagoer Wohnzimmer eine Kostprobe ihres Könnens gibt, begegnet Duke Ellington am Monterey Jazz Festival und trifft Thelonious Monk in San Francisco mit Trenchcoat und vor einem Champagner-Cocktail sitzend. Auch viele unbekannte oder vergessene Gesichter sind zu entdecken, ebenso wie Geschichten, die von den Überbleibseln der Segregation oder dem Knast auf der anderen Seite von New Orleans erzählen.
Vor der Reise riet man Berendt davon ab – mit dem Argument, die ganze Jazzszene befinde sich doch in New York. Weit gefehlt, wie Jazzlife ebenso nach- wie eindrücklich beweist.
William Claxton, Joachim Ernst Berendt, Jazzlife – A Journey For Jazz Across America in 1960, Dt/En/Fr, 600 S., Hardcover im Schuber, € 49.99, Taschen-Verlag, Köln 2016, ISBN 978-3-8365-4293-7