Spohrs Harfenfantasie: lang erwartete Neuausgabe
Louis Spohr schrieb die Harfenfantasie in c-Moll, heute ein überaus beliebtes Repertoirestück, für seine Frau Dorette.
Wenn es ein Werk gibt, das alle Harfenistinnen und Harfenisten im Repertoire haben, manchmal geliebt, oft gefürchtet, ist es die Fantasie c-Moll von Louis Spohr. Im Jahre 1805 erlebte er seine zukünftige Frau Dorette Scheidler, Schülerin bei Johann Georg Heinrich Backofen, mit einem beeindruckenden Vortrag auf der Harfe. In seinen Lebenserinnerungen schreibt er, wie ergriffen und zu Tränen gerührt er nach diesem Konzert gewesen sei. Bald darauf hielt er um ihre Hand an. Das Paar heiratete 1806 und die Fantasie c-Moll komponierte er im darauffolgenden Jahr. Sie wurde schnell zu einer festen Grösse im Harfenrepertoire.
Harfentypen und Tonarten
Neben der strengen rhythmischen Einleitung und dem ebenso metrisch sehr genau notierten Allegretto-Teil gibt es freie Kadenzen ohne Taktstriche mit echoartigen Arpeggien und rezitativischem Charakter, die quasi improvisiert klingen sollen und frei zu gestalten sind. Es ist anzunehmen, dass Backofens Fantasie Spohr inspirierte. Dorette Scheidler führte beide Werke häufig in ihren Konzerten auf.
Sie spielte eine Einfachpedalharfe mit einem kleineren Saiten- und Tonartenumfang als unsere modernen Doppelpedalharfen. Obwohl Spohr 1820 noch in Erwägung zog, eines dieser neuen Instrumente für Dorette zu erwerben, ist dies letztlich nie geschehen. Die Einfachpedalharfe hat eine Grundstimmung in Es-Dur, somit ist die Paralleltonart c-Moll naheliegend. Trotz dieser harfentechnisch motivierten Tonartwahl passt das düstere und schwere c-Moll wunderbar zum Adagio-molto-Beginn mit grossen Akkorden, welche sich später in Melodien und Arpeggien fast bis zu geflüsterten Passagen wandeln.
Wissenschaftlich und praxisbezogen
Die Fantasie wurde 1816 bei Spohrs Verleger Simrock in Bonn erstmals herausgegeben– fast ein Jahrzehnt nach der Komposition, wohl um zu vermeiden, dass andere Harfenistinnen das Werk in der Öffentlichkeit aufführten. Zahlreiche Neuausgaben erschienen nach Spohrs Tod, wobei in vielen der originale Notentext modifiziert wurde. Leider sind die autografischen Quellen verschollen. Die heute am weitesten verbreitete Ausgabe wurde von Hans Joachim Zingel für die Doppelpedalharfe ediert (mit zugefügten Noten, veränderten Dynamikangaben u. v. m.) und erschien 1954 im Bärenreiter-Verlag.
Die Neuausgabe durch die Harfenistin und Musikwissenschaftlerin Masumi Nagasawa, ebenfalls bei Bärenreiter, besticht durch fundierte Recherchen, genaue Bezeichnungen und ein klares Notenbild. Schön ist, dass die Einleitung (en/dt) auf viele wichtige Fragen wie Spieltechniken und Harfenangaben eingeht und somit nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch sehr praktische Grundlage bietet. Die Ausgabe beinhaltet ebenso Fingersatz-Vorschläge und historisch informierte Ausführungsbezeichnungen. Angaben und Kommentare zu Stil, Tempo, Arpeggio, Fingersätzen, Staccato, Ornamenten und Bindebögen sind detailliert und informativ (nur auf Englisch). Auch die oft wiederkehrende Frage der Triller, bzw. wie diese umgesetzt werden sollen, wird angesprochen, ohne dogmatisch zu sein. Es ist eben auch der Freiheit des Interpreten überlassen, der dank den vielen Erläuterungen fundiert entscheiden kann. Begrüssenswert ist ebenfalls, dass keine Pedalangaben gedruckt wurden, denn jeder Harfenist hat eine individuelle Pedaltechnik und -bezeichnung.
Ein sehr schöner Bonus: Die Fantasie von Backofen ist vollumfänglich im Anhang enthalten: eine freie Einleitung, ein kleiner, metrisch notierter Teil und dann freie Arpeggien und Akkorde – ganz der freien Interpretation der Spielerin überlassen.
Louis Spohr: Fantasie in c-Moll für Harfe op. 35, Anhang: Fantasie von Johann Georg Heinrich Backofen, hg. von Masumi Nagasawa, BA 10954, € 19.95, Bärenreiter, Kassel