Lexikon oder Handbuch der Neuen Musik?
Das Nachschlagewerk von Jörn Peter Hickel und Christian Utz bietet Orientierung in einem unübersichtlichen Gebiet eher in längeren Abhandlungen als in lexikalischer Kürze.
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Überblickt man die Publikationen der letzten Jahre, so wird man nur schwer den Eindruck los, es gebe in den traditionellen Branchen des Musikmarktes eine Art Götterdämmerung – zumindest aber das Gefühl eines «letzten Aufrufs». Auf dem CD-Markt sind es die Major-Label, die ihre gefüllten Archive in jeglicher Form unter immer wieder neuen Gesichtspunkten geradezu «entleeren» und an das Pub-likum bringen wollen. Kaum anders steht es um die Verlage, die schon seit Jahren die gute Idee von Lexika und Handbüchern gelegentlich ins Absurde führen. Be-gonnen hat dieser Drang zum Enzyklopädischen vor mehr als zwei Jahrzehnten. Seither sind nicht nur Komponisten und Gattungen, sondern auch einzelne Epochen oder Bereiche entsprechend bedacht worden – und man darf sich schon die Frage stellen, ob hie und da nicht der verlegerische Hang zum Ertrag Vater des Gedanken war.
Beim Lexikon Neue Musik drängt sich eine solche Vermutung erst einmal nicht auf. Und doch darf man sich bei der Lektüre der Einleitung wundern. Denn die beiden Herausgeber werden (klug genug!) nicht müde, das «Lexikon» ein «Handbuch» zu nennen, was es auch ist – honni soit qui mal y pense. So wird in die anhaltende Unübersichtlichkeit des Gegenstandes durch neun zusammenfassende Essays erst einmal eine Bresche geschlagen (Themen, S. 3–156), bevor es zu den eigentlichen Artikeln geht (Lexikon S. 157–635). Doch auch diese lesen sich teilweise wie weiter gefasste Abhandlungen auf kleinem (besser: grossem) Raum. Wer also lexikalische Informationen zu einzelnen Komponisten der Neuen Musik, exemplarischen Werken, Institutionen oder wirklich musikalischen Sachverhalten sucht, wird enttäuscht. Der fraglos gelungene Fokus liegt vielmehr auf der allgemeinen Orientierung. Überraschungen gibt es dennoch – im Detail wie auch im Ganzen: so einen übereilten Abgesang auf die universitäre Musikwissenschaft (S. 424), aber auch die ernste Reflexion über den Humor oder Überlegungen zur Kanonisierung des Neuen. Seltsam nur, wie sehr das alles geografisch – mit separaten Einträgen zu Afrika, Indien, Nordeuropa, Osteuropa, Südostasien etc. versehen – um das offenbar mitgedachte, aber unausgesprochene Zentrum kreist.
Lexikon Neue Musik, hg. von Jörn Peter Hickel und Christian Utz, XVII/686 S., € 128.00, Bärenreiter/Metzler, Kassel/Stuttgart 2016, ISBN 978-3-7618-2044-5