Umfassende Werkeinführung
Christoph Flamm hat die Hintergründe zu Mussorgskys «Bilder einer Ausstellung» aufgearbeitet und seine eigene Notenausgabe relativiert.
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Es geschieht nicht alle Tage, dass ein Herausgeber seine eigene Edition nachträglich kritisch hinterfragt und Fehler offen zugibt. Als Christoph Flamm vor drei Jahren bei Bärenreiter Mussorgskys Bilder einer Ausstellung in einer neuen Ausgabe präsentierte, liess er darin aufgrund eines sowjetischen Faksimiles einige alte Lesarten korrigieren. Diese neuen Varianten waren aber schwer nachvollziehbar und die Kritik reagierte skeptisch, zumal das Faksimile zum Teil kaum lesbar war (siehe auch SMZ 3/2014, Seite 24).
In seiner Werkeinführung nimmt Christoph Flamm diese neuen Lesarten nun wieder zurück. Ein sympathischer Zug! Und nicht nur das ist zu loben: Das Büchlein bringt auf fast 180 Seiten so ziemlich alles Wissenswerte über Mussorgskys einzigartigen Klavierzyklus. Es geht darin zunächst um Viktor Hartmann, dessen Bilder an einer Gedächtnisausstellung ja der unmittelbare Anlass für das Werk waren. Nicht immer können sie ganz eindeutig den Sujets bei Mussorgsky zugeordnet werden. (So wurde das Porträt eines italienischen Bauern lange fälschlicherweise für den armen Juden «Schmuyle» gehalten.) Es geht um den einflussreichen Kunstkritiker Wladimir Stassow, dem Mussorgsky sein Werk widmete. Und natürlich geht es um die Musik selber.
Dabei kommt es zu interessanten Quervergleichen mit anderen russischen Kompositionen aus jener Zeit. Auch die sprachliche Mehrdeutigkeit mancher Überschriften (z. B. Bydło) wird thematisiert, und sogar alte Metronomzahlen wurden aufgestöbert. Diese stammen offenbar von Stassow und sind zumindest teilweise erstaunlich (120 für die Viertel in Baba-Jaga?). Darüber hinaus gibt es Hinweise zur Rezeption und damit natürlich auch zu den zahlreichen Transkriptionen, von denen Ravels Orchesterfassung immer noch die dominierende bleibt. All diese wissenswerten Fakten lesen sich bei Flamm spannend wie ein Krimi, und die vorzügliche Bebilderung tut das ihrige dazu.
Kurz: Dieses Taschenbuch ist ein Muss für alle, die sich mit Mussorgskys unsterblichem Klavierzyklus eingehender befassen möchten!
Christoph Flamm: Modest Mussorgsky. Bilder einer Ausstellung – Erinnerungen an Viktor Hartmann, Bärenreiter Werkeinführungen, 178 S., € 14.95, Bärenreiter, Kassel 2016, ISBN 978-3-7618-2221-0