Schwimmkurs für lebenslanges gesundes Musizieren

Am «Nationalen Gesundheitstag Musik» von Swissmedmusica trafen sich am 9. November Fachleute aus Medizin und Musik im Luzerner Neubad. Ein Rapport, zum Teil in Stichworten, mit Links.

Wolfgang Böhler, Präsident von Swissmedmusica, begrüsst die Anwesenden.

Das Mallets-Ensemble der Musikschule Oberer Sempachersee (Leitung Martina Balz) führte stimmig in die Tagung ein: Kinder und Jugendliche brachten drei Musikstücke weitgehend selbstorganisiert und höchst überzeugend zu Gehör – erfülltes Tun, sei es beruflich oder in der Freizeit, so wie es sich alle Musizierenden bis ans Lebensende wünschen. An der Tagung ging es denn im weitesten Sinn um gesunde Leistungssteigerung und glücklich machendes Musizieren dank Prävention. Auch der Ort der Zusammenkunft passte: Das Publikum, darunter Opinionleader aus dem Musikbereich und Pia Bucher, die Gründerin von Swissmedmusica (SMM), sass auf blaugepolsterten Rängen im schon längst trockengelegten Pool des Luzerner Neubads. Im Hintergrund der Akteurinnen und Akteure prangten Überbleibsel aus dem aktiven Schwimmbadbetrieb, die man durchaus symbolisch verstehen konnte: der Sprungturm als Bild für die Selbstverantwortung, das bereits bestehende Beratungsangebote in Anspruch zu nehmen, und der Rettungsring für eine kluge Gesundheitsplanung, die zu lebenslanger Freude am Musizieren verhelfen kann.

Moderatorin Isabelle Freymond und das Mallets-Ensemble der Musikschule Oberer Sempachersee

Die laut den Organisatoren «überraschend zahlreich» erschienenen «Badegäste» konnten sich an der Tischmesse informieren. Neben vielen Flyern zu diversen Angeboten lagen frühere Tagungsberichte der SMM auf, die mit ihrem 20. Symposium dieses Jahr ein Jubiläum feierte. Isabelle Freymond, Schauspielerin, Regisseurin und Stimmkünstlerin, moderierte den von SMM-Präsident Wolfgang Böhler und seinem Team organisierten «Nationalen Gesundheitstag Musik». Professionell und charmant sorgte sie für fliessende Übergänge und rief die Gäste jeweils aus den Pausen zurück zum «Schwimmunterricht».

Lektion 1 mit Christoph Reich:
Ein gezieltes Selbstmanagement als Schlüsselfaktor für Prävention und Therapie

Der Spezialist für Sportmedizin, manuelle Medizin und Rheumatologie schloss sein Referat mit folgendem Fazit:

  • Eine Überlastungsproblematik ist zuallererst die Folge einer zu schnellen und/oder zu punktuellen Belastungssteigerung.
  • Mechanische und statische Faktoren beeinflussen die Toleranzreserve. Sie müssen eruiert und angepasst werden.
  • Ein strukturierter Belastungsaufbau ohne verzögerte Irritation am anderen Tag ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Behandlung – d. h. nach «Bankkonto-Modell».

Christoph Reich betreibt einen Praxis-Blog mit vielen Informationen zu diversen Schmerzproblemen: https://www.christophreich.ch

Lektion 2 mit Cinzia Cruder (auf Englisch):
In Tune, not in Pain! – Profiling, preventing, and managing playing-related musculoskeletal disorders among musicians

Die Musikerin und Gesundheitsforscherin stellte das erfolgreich eingeführte «Health Module» an der Scuola universitaria di Musica des Conservatorio della Svizzera italiana vor. Sie gab Einblicke in ihre Arbeit im Bereich Playing-Related Musculoskeletal Disorders (PRMDs) und in das Forschungsprojekt Rismus – Risk of music students.

Weitere Projekte:

  • MUST: Muscle Stiffness among musicians with and without playing-related musculoskeletal disorders (zusammen mit dem Departement «Gesundheit» an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften und dem Orchestra della Svizzera italiana)
  • Langzeitstudie mit allen Musikhochschulen der Schweiz zur Entwicklung chronischer, durch Musizieren verursachter Schmerzen (A longitudinal investigation of risk factors for PRMD chronicity)

Lektion 3 mit Dawn Rose (auf Englisch):
Empowering Musicians – ein Programm zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden im Musikstudium

Dawn Rose, Professorin an der Hochschule Luzern – Musik, gab einen Überblick über die seit fünf Jahren laufende Forschung zum Thema «Musician’s Health and Wellbeing» resp. «Empowering Musicians».

Fünf Schlussfolgerungen aus dem Referat:

  • Die Studierenden haben zusammen mit ihrer Institution eine gemeinsame Verantwortung für ihr Wohlergehen.
  • Wichtig ist ein ganzheitlicher Ansatz unter Berücksichtigung von Umwelt- und sozialen Aspekten.
  • Der Begriff «Erfolg» muss neu definiert werden: Musikerinnen und Musiker sind als «Multiprofessionelle» vorzubereiten und als «Akteure des Wandels» anzuerkennen.
  • «Glaubenssysteme» sind in Frage zu stellen, insbesondere Vorstellungen über «Spielen durch Schmerz», Talent und Inanspruchnahme von Hilfe.
  • Es braucht einen kulturellen Wandel, um die Studierenden zu fördern, und einen ganzheitlichen Ansatz, um eine Kultur der Fürsorge für zukünftige Musikerinnen und Musiker zu entwickeln.

Lektion 4 mit Gerhard Wolters:
Gesundheitsbewusstsein im Musikunterricht

Der Musiker und Musikschulleiter präsentierte seine selbst entwickelte MDU-Methode als Modell für gesundes, entspanntes, schülerorientiertes Musiklernen.

12 Dimensionen siehe https://www.mdu.ch/beratung-coaching/gesunder-unterricht (Kachel MDU&Gesundheit)

Lektion 5:
Workshops mit Pascal Widmer (Feldenkrais) oder Marjan Steenbeek und Véronique Putzi (Physiotherapie und Ergotherapie)

 

Rettungsring und Sprungturm: Die Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen. Pascal Widmer, Marjan Steenbeek und Véronique Putzi stellen ihre Workshops vor.


Lektion 6
Kammermusik aus dem Amazonas mit Jessica Sicsu, Flöte, Michell Pereira, Percussion, und André von Steiger Paiva de Figueiredo, Gitarre

Das Ensemble war im Herbst in der Schweiz auf Tournee.

Lektion 7 mit :
Prevention and Musical Excellence – Impulse aus der Neurowissenschaft

Der Sänger, Trompeter sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie gab einen Überblick über wichtige Beiträge verschiedener Experten zur Hirnforschung und formulierte folgendes «Zwischenfazit zu gutem Musikunterricht»:

Guter Unterricht

  • … befähigt nicht automatisch zur musikalischen Exzellenz.
  • … erfordert Lehrpersonen mit Kompetenz, Glaubwürdigkeit, Einfühlungsvermögen und Zugewandtheit.
  • … ist das Resultat einer gelingenden Beziehung zwischen Lehrperson und Schülerinnen und Schülern.
  • … spricht den Lernenden die Expertise für das Lernen zu. Das stärkt Intrinsität.
  • … berücksichtigt die individuelle Motivationslage zum individuellen Zeitpunkt.
  • … integriert die Grundbedürfnisse von Autonomie und Zugehörigkeit.
  • Lernen braucht Zeit und Wiederholung.
  • Wenn musikalische Exzellenz das Ziel ist, ist es anstrengend.

Lektion 8:
Podiumsgespräch mit Wolfgang Böhler, Nicole Freymond, Philippe Krüttli, Christian Braun, Peer Abilgaard, Gerhard Wolters
Musikpädagogik im Wandel – eine grosse Herausforderung für das Gesundheitsmanagement

Zum Schluss blieb nicht mehr viel Zeit. Die Frage, wie die Gesundheit von Musikschülerinnen und -schülern in Zeiten des Online-Unterrichts und des selbständigen Lernens zu fördern ist, konnte nicht vertieft diskutiert werden. Sie steht jedoch im Raum und sollte zu weiteren Diskussionen führen, die allen Akteurinnen und Akteuren offenstehen.

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Mitglieder von Swissmedmusica finden Unterlagen zum Gesundheitstag im geschützten Bereich auf https://swissmedmusica.ch. Neue Mitglieder sind herzlich willkommen. Kontakt: sekretariat@swissmedmusica.ch

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