Ein Briefuniversum im Verzug

Band 20, der auf 35 Bände ausgelegten Wagner-Briefedition bietet Lesegenuss und neue wissenschaftliche Erkenntnisse.

Haus Tribschen bei Luzern, Wagners Heim 1868. Foto: Josef Lehmkuhl /wikimedia commons

Lange hat man auf den Band mit den Briefen von Richard Wagner aus dem Jahr 1868 warten müssen. Fast 800 Seiten ist er stark und zeugt gleichermassen von Wagners Fleiss, den er beim Schreiben von Briefen an den Tag legte, wie von der umfassenden Editionsarbeit. Der Inhalt reicht vom einfachen Billett, um Wein oder Seidenstoffe zu bestellen, bis hin zu Schimpftiraden auf Konkurrenten oder Situationsberichten zu Fortschritten in seinen Kompositionen. Also alles, was die Leserschaft interessiert – oder auch nicht.

Die Besonderheit an der Veröffentlichung der Briefe von 1868 liegt darin, dass sie nach der Publikation der Jahrgänge 1869 bis 1872 erfolgt. Die Verzögerung zeigt auch eindrücklich, wie sensibel und aufwendig eine Briefausgabe – ob von Wagner, Mendelssohn oder wem auch immer – sein kann. Kommt die Herausgabe ins Stocken, so versickern Tausende von Informationen zu Leben und Werk von Komponisten und Komponistinnen.

Bei einer Briefedition geht es zudem nicht nur um die Zugänglichkeit der Schriftstücke, die oft auch mit der Transkription von schwierig zu lesenden Handschriften verbunden ist. Gerade im Fall der Wagner-Briefe von 1868 hat die Herausgeberin Margret Jestremski wissenschaftlich wahrhaft Grossartiges geleistet. Da findet sich im Anhang eine Fülle von Informationen mit Querverweisen zu anderen Briefen oder Details, die sich nur dank diesen Erklärungen erschliessen. Dass sich daraus neue Erkenntnisse ableiten lassen – selbst beim scheinbar abgegrasten Thema Wagner – ist ein weiterer Nebeneffekt solcher Editionen. Und dass auch noch bisher unbekannte Briefe auftauchen, steigert den Wert. Hier gibt es etwa einen Brief an den Münchner Intendanten Karl von Perfall vom 1. Februar, der Informationen zu Regisseur Reinhard Hallwachs enthält.

Und wie bei jedem Band kann man sich stundenlang mit Lesen verweilen, weil Brief an Brief gereiht ist und damit ein Mikrokosmos des Denkens und Handelns von Wagner und seinem Umfeld sich wie ein Puzzle zusammenfügt. Auf Jestremskis Arbeit zu warten hat sich sehr gelohnt, auch weil das Jahr 1868 durch die Uraufführung der «Meistersinger von Nürnberg», die grossenteils in Tribschen entstanden, für die Schweiz von besonderer Bedeutung ist.

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Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Band 20: Briefe des Jahres 1868, hg. von Margret Jestremski, 760 S., € 68.00, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2018, ISBN 978-3-7651-0420-6

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