Das Wirken und Schaffen von Benno Ammann in Aesch

Der vielseitige Komponist war auch als Chorleiter in der Region Basel tätig. Von 1951 bis 1959 dirigierte er den Cäcilienchor Aesch (BL) und schuf dort einige bedeutende Werke – trotz Höhen und Tiefen.

Nur wenige Schweizer Komponisten des 20. Jahrhunderts haben ein Œuvre mit derart breitem stilistischem Spektrum hinterlassen wie Benno Ammann. Der gebürtige Gersauer schuf über 500 Werke, zunächst tonal im Stile der Groupe des Six sowie weniger progressiv in klassisch-romantischer Tradition für die Laienmusik, später dann immer mehr der in Darmstadt kultivierten Avantgarde zugewandt, zuletzt fast ausschliesslich mit experimenteller und elektronischer Musik beschäftigt. Letztere Schaffensperiode wird in Fachkreisen der Neuen Musik seit einiger Zeit rege diskutiert und die Basler Madrigalisten rückten den Namen Benno Ammann 2021 wieder ins Rampenlicht – dank ihrer Ersteinspielung seiner bedeutendsten Vokalkomposition, der Missa Defensor Pacis, die 1947 anlässlich der Heiligsprechung von Bruder Klaus im Petersdom uraufgeführt worden war.

Frei nach der Redewendung Wo Licht, ist auch Schatten geht in einer traditionell höhepunktlastigen Musikerbiografie gerne vergessen, dass im Kontrast zu den bedeutsamen Momenten im Rampenlicht ein alltägliches Schattendasein gefristet wird – was überhaupt nicht so negativ gemeint ist, wie es tönen mag, denn in schattenspendender Frische wird nüchtern für den Lebensunterhalt gearbeitet. So wirkte Benno Ammann nicht nur als gefeierter Komponist und Orchesterdirigent zwischen Darmstadt und Rom, sondern auch als Leiter mehrerer Laienchöre in der Region Basel. Exemplarisch dafür steht sein Wirken im Dienst der römisch-katholischen Pfarrei St. Josef in Aesch (BL) von 1951 bis 1959 – besonders deshalb, weil Ammann in dieser Zeit neben kompositorischen Glanzpunkten auch zwischenmenschliche Konflikte erlebte, wie es sie überall gibt, wo Menschen mit- und manchmal leider auch gegeneinander arbeiten.

Bereits die Umstände in Aesch, die 1951 zu Ammanns Berufung dorthin führten, waren allzumenschlicher Natur: Am Weissen Sonntag verpasste ein Hilfsorganist im Gottesdienst das Anstimmen eines Lieds, woraus ein Streit zwischen Hauptorganist Hans Kirschner und Pfarrer Isidor Ottiger entbrannte, der das Pfarreileben bis in den Herbst belastete. In Solidarität mit dem Organisten demissionierte auch Dorflehrer Fritz Renz als Chorleiter, sodass Pfarrer Ottiger seinen Schulfreund Benno aus Einsiedler Tagen zur Nachfolge überzeugen konnte. Am 19. Oktober 1951 leitete Ammann die erste Probe des Cäcilienchors in der Aescher Kirche und genoss trotz halbjähriger Probezeit von Beginn weg bemerkenswerte Freiheiten. So wurde ihm bereits im Januar 1952 eine längere Stellvertretung von Mai bis September bewilligt, um Kompositionsarbeiten nachzukommen. Dies beinhaltete den Besuch der Darmstädter Ferienkurse, wo er u.a. Olivier Messiaen begegnete, aber vermutlich auch das Verfassen einer neuen Festmesse Missa Christus Dominus für die Aescher Pfarrei, die an Ostern 1953 uraufgeführt wurde. Das lässt aufhorchen, zumal es keine Hinweise gibt, wonach die Pfarrei die Honorarkosten für einen Kompositionsauftrag trug. Vielmehr erscheint es plausibel, dass Pfarrer Ottiger als Präsident der Schweizerischen St. Lukasgesellschaft für Kunst und Kirche dahinter steckte: Zur gleichen Zeit arbeitete Ammann an der Vertonung dreier Gedichte des Innerschweizer Dichters Walter Hauser (1902–1963) für Bariton-Solo und Orgel, die in der Orchesterfassung an der St. Lukastagung 1954 in Zürich erstmals erklangen. Denkbar also, dass Ottiger und Ammann ein Paket schnürten, denn Auszüge aus der Missa Christus Dominus wurden nochmals in einer kirchenmusikalischen Abendfeier im März 1954 zusammen mit der Uraufführung der Orgelfassung besagter Drei geistlichen Gesänge präsentiert.

Pfarrer Ottiger wurde nicht müde, die Neuschöpfungen seines Intimus anzupreisen. Im Basler Volksblatt liess er verlauten, dass es «wohl das erste Mal [war], dass in einem Kirchenkonzert unseres Landes Zwölfton-Musik erklang». Als Präsident der St. Lukasgesellschaft dürfte er einen guten Überblick über das zeitgenössische geistliche Musikschaffen gehabt haben; ob es tatsächlich die erste Aufführung geistlicher Zwölftonmusik in der Schweiz war, bedürfte weiterer Recherche. Formal sind die drei Stücke mit separatem instrumentalem Vorspiel konservativ gehalten und erinnern lose an eine Suite. Die Harmonik ist eher in einer freien Tonalität des frühen 20. Jahrhunderts verankert als in einer dodekaphonen Regellosigkeit. Die ursprünglichen Orgelfassungen hat Ammann jeweils unterschiedlich orchestriert. Die Nr. 1 (Der Weihrauch) mit den immer wieder von Neuem sich auffächernden Liegetönen ist für Streichorchester ausgesetzt, die rezitativische Nr. 2 (Der Kelch) erfordert zusätzlich Holzbläser und zwei Hörner, die Nr. 3 (Aufstieg) nochmals zusätzlich Pauken und zwei Trompeten. Der Bariton als melodisch prägnanter Protagonist steht dabei fast durchgehend in responsorialer Zwiesprache mit der harmonisch sanft gestalteten Instrumentalbegleitung, was dem damaligen Anspruch an kirchlicher Musik und Ästhetik gerecht geworden zu sein schien und auch die an Gefälliges gewohnte Zuhörerschaft in Aesch nicht überforderte. Von der Nr. 1 gibt es eine Version mit Sopran-Solo, die Ammann spezifisch für die Uraufführung in Aesch schuf und in der endgültigen Gesamtfassung mit Bariton-Solo nicht berücksichtigt wurde.

Zwei kürzere Werke für Chor a cappella brachte Ammann an dieser Abendfeier ebenfalls zur Uraufführung. Zum einen ein schlichtes Ave Maria, komponiert 1949 und zwei Jahre darauf beim Pariser Verlag Éditions Schola Cantorum veröffentlicht, und zum anderen die Litanei Anima Christi für Chor und Bariton-Solo. Ammann schrieb diese 1952 in einer deutschen Frühfassung und sie wurde von Messiaen in Darmstadt als «œuvre sincère et émouvante» gelobt: «J’en ai hautement apprécié l’esprit modal, la variété rythmique et le caractère profondément réligieux.» Dass Ammann das periphere Aesch abseits der grossen kirchenmusikalischen Zentren für die Première dieser vielbeachteten Chorwerke wählte, darf durchaus als Zeichen der Anerkennung gegenüber dem Cäcilienchor und als Ausdruck der Verbundenheit mit Pfarrer Ottiger gewertet werden, denn die später veröffentlichte Fassung in Latein wurde unter diametral entgegengesetzten Gegebenheiten uraufgeführt: 1957 im Rahmen des weltrenommierten Congrès international de musique sacrée III in Paris.

Das eigentliche Aescher Hauptwerk Ammanns bildet unbestritten die Missa Christus Dominus. Sie ist Pfarrer Ottiger und dem Cäcilienchor Aesch gewidmet und vertont das Messordinarium in den üblichen sechs Sätzen Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei. Formal ist das Werk einfach gehalten, Ammann wählte einen weitgehend homophonen Chorsatz mit vereinzelten Soli aus den Chorreihen ohne eigenständige Solopartien sowie eine anspruchsvolle, farbig registrierte Orgelbegleitung, die besonders im Gloria und Credo virtuose Passagen zu bestreiten hat. Sanctus und Benedictus zeichnen sich durch einstimmige Melodien mit einer transparenten, aufs Nötigste reduzierten Begleitung aus. Den Rahmen bilden Kyrie und Agnus Dei mit einem markanten Terzmotiv-Ostinato, das Ammann aus dem Proprium In festo S. Pauli a Cruce entlehnte. Der Musikkritiker Joachim Keller beschreibt in einer Werkbesprechung (veröffentlicht am 20. April 1953 im Basler Volksblatt) die Harmonik als «freischwebend, grösstenteils polytonal und stellenweise sogar atonal», wobei sich «diese verschiedenen Ausdrucksarten in fast unmerklichen Übergängen vermischen, auflösen, das Ohr nie verletzen». Wie so vielen Neuschöpfungen erging es auch der Missa Christus Dominus. Die ruhigen Sätze Sanctus und Benedictus waren nochmals Bestandteils der zuvor erwähnten Abendfeier im März 1954, danach verschwand das Werk unveröffentlicht in den Archiven. Der Autor dieses Textes, heutiger Leiter des Cäcilienchors Aesch, hat sich einer Wiederaufführung des Werk angenommen, die im Mai 2024 mit der Einladung des Chors an die jährliche Vereidigungsfeier der Schweizergarde im Petersdom zu Rom – den sogenannten Sacco di Roma – einen äusserst prominenten Rahmen erfahren hat. Die Messe ist auf gute Laienchöre und professionelle Vokalensembles ausgerichtet. Auf Basis des Orgelsatzes wurde eine optionale Zusatzbegleitung für Streichquintett hinzugefügt und mehrere Chorabschnitte für eine optionale solistische Ausführung gekennzeichnet. So gibt es für interessierte Chöre die Möglichkeit, die Missa Christus Dominus sowohl in originaler Gestalt als auch mit zusätzlichen Klangfarben aufzuführen, die den Chor mit ergänzendem Streichquintett stützen und dank Solopartien gleichzeitig entlasten.

So sehr die ersten Jahre von Kreativität und Erfolg geprägt waren, begann Ammanns Ansehen in Aesch Risse zu bekommen. Noch im Frühjahr 1954 litten die Vorbereitungen für die erwähnte Abendfeier unter vielen Absenzen der Chormitglieder und es herrschten zwischenzeitlich Spannungen mit dem jungen noch in Ausbildung befindlichen Organisten Othmar Lenherr, die dank Vermittlung von Pfarrer Ottiger ausgeräumt werden konnten. In Zusammenarbeit mit dem Innerschweizer Pater Bertwin Frey (1916–1999) entstand die Betsingmesse zu Ehren Pius X., auch einfach nur Deutsche Singmesse genannt. Form und Inhalt des siebensätzigen Werks für einstimmigen Chor und Orgelbegleitung orientieren sich stark an das Deutsche Hochamt von Michael Haydn oder die Deutsche Messe von Franz Schubert. Die Melodik ist ganz auf den Gemeindegesang ausgerichtet, ebenso die dezente Orgelbegleitung, die harmonisch schlicht bleibt und trotzdem Ammanns Stil wiedergibt. Sie wurde am 6. März 1955 durch den Cäcilienchor in Aesch uraufgeführt. Das Werk wird demnächst in einem mehrstimmigen Arrangement veröffentlicht, sodass neben der einstimmigen Originalfassung auch eine Variante für kleinere Laienchöre verfügbar sein wird.

Versöhnliche Töne nach langem Streit

Von November 1956 bis Juni 1958 übernahm Ammann ad interim auch die Leitung des Kirchenchors in Muttenz. In Aesch machte sich Unmut breit ob der oft zu kurzfristigen Programmplanung Ammanns. Im Sommer 1957 wurde ein Vize­dirigent als regelmässiger Stellvertreter beantragt und im Januar 1958 folgte die Forderung nach einer Musikkommission. Es kam erneut zu monatelangen Streitigkeiten, die von der Kündigung des Organisten Othmar Lenherr befeuert wurden und in einer ausserordentlichen Mitgliederversammlung des Cäcilienchors gipfelten, die vorsätzlich nicht protokolliert wurde. In einer dreistündigen Aussprache zwischen Kirchenrat und Chorvorstand wurden die Gründe für die starke Opposition genannt: «Der Chor [sei] ungenügend vorbereitet, […] es sei unmöglich, mit dem Dirigenten zu verhandeln, er handle immer eigenmächtig. Während den Gesangstunden trachte er immer die Proben frühzeitig abzubrechen, um rechtzeitig nach Hause zu kommen.» Ammann reagierte mit einem Dispensgesuch «wegen starker beruflicher Überbeanspruchung», um sich «vermehrt dem eigenen Schaffen und den Problemen der Neuen Musik widmen zu können». Noch im Herbst 1958 vermittelte Pfarrer Ottiger den in Aesch tätigen Lehrer Josef Hunkeler als neuen Organisten. Ammann reichte im Juni 1959 seine Kündigung ein und empfahl Hunkeler als seinen Nachfolger, der in der Folge 30 Jahre lang Leiter des Cäcilienchors Aesch blieb. Im Jahresbericht für 1959 stimmte Kuno Stöckli, neu gewählter Chorpräsident und zuletzt Ammanns Vizedirigent, versöhnliche Töne an: «Seine Künstlernatur machte es ihm schwer, bei uns erfolgreich zu wirken. Wir freuen uns deshalb umso mehr, dass ihn seine Künstlernatur auf dem Gebiete der Komposition in jüngster Zeit zu verschiedenen internationalen Erfolgen geführt hat. Wir danken ihm für seine Arbeit mit uns und wünschen ihm als Komponisten noch viele grosse Erfolge.»

Wer weiss, wie Benno Ammann in Aesch kompositorisch weitergewirkt hätte, wäre die Zusammenarbeit nicht durch beiderseitiges Unvermögen beeinträchtigt worden. Hinweise darauf geben die Skizze eines mehrstimmigen Satzes über das gregorianische Tantum ergo, datiert vom 29. Juni 1953, sowie ein weiteres Ave Maria für gemischten Chor, das Ammann am Weihnachtstag 1953 vollendete und damit mutmasslich für Aesch im Sinn hatte, aber erst 1957 mit einer nachträglichen Widmung für Abt Benno Gut des Klosters Einsiedeln versah. Ausserdem sind Fragmente für eine weitere Messvertonung erhalten, der Missa sopra AESCH, welche Ammann ebenfalls 1953 mit Motiven über die Tonfolge A-E-Es-C-H skizzierte. All diese Werke und Entwürfe scheint er mit dem Auftreten erster Probleme im Frühjahr 1954 nicht mehr weiterverfolgt zu haben. Dennoch dokumentieren auch sie die rege kompositorische Tätigkeit, der Ammann für das Aescher Kirchenmusikleben nachging und die er – abgesehen von einfachen Volksliedbearbeitungen – bei keinem der anderen Chöre, die er geleitet hatte, ausübte. Mit Sicherheit war es die langjährige Freundschaft mit Pfarrer Ottiger, die ihn wohl länger als zweckmässig in Aesch gehalten hatte, sich aber nach seinem Weggang verlor: Essenseinladungen von Ottiger zu sich nach Aesch, stets mit «Mein Lieber» eingeleitet, liess Ammann unbeantwortet.

Neue Edition beim Pizzicato Verlag Helvetia

Dem Interesse des Pizzicato Verlag Helvetia ist es zu verdanken, dass neben den elektronischen Werken von Benno Ammann auch sämtliche hier besprochenen Werke aus seiner Aescher Zeit in einer neuen Edition veröffentlicht werden: Die Missa Christus Dominus mit optionaler Streicherbegleitung; die Deutsche Singmesse mit optionalem mehrstimmigem Chorsatz; die Drei geistlichen Gesänge in allen erhaltenen Fassungen für Sopran, Bariton, Orgel und Orchester; die Litanei Anima Christi in allen erhaltenen Fassungen für Frauen- oder gemischten Chor sowie auf Deutsch und Lateinisch; zwei Ver­tonungen des Ave Maria und ein mehrstimmiger Satz zum gregorianischen Tantum ergo; und die Fragmente der Missa sopra AESCH mit optionaler Vervollständigung zu einer aufführbaren Fassung. Damit kann anhand einer in sich geschlossenen Schaffensperiode eine repräsentative, stilistisch breite Auswahl des künstlerisch bedeutenden wie praxisorientierten Œuvres von Benno Ammann für verschiedene Formationen im In- und Ausland zugänglich gemacht werden: Laien-, Kirchen- und Profichöre, Solistinnen und Solisten ebenso wie instrumentale Ensembles von der Orgel übers Streichquintett bis zum Orchester. Die Werke sind ab Herbst 2024 beim Verlag erhältlich.

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