On the Way – Münchener Biennale mit Stabübergabe
Zwei Schweizer Koproduktionen gelangten bei der Münchener Biennale für Neues Musiktheater 2024 zur Uraufführung.
Seit 2016 prägten die Kuratoren Daniel Ott und Manos Tsangaris die Münchener Biennale durch eine explizit artikulierte Offenheit. Bis zur diesjährigen, ihrer letzten Ausgabe fokussierten beide das von Hans Werner Henze 1988 gegründete und weltweit grösste Uraufführungsfestival für Musiktheater als «Nachwuchsforum». Sie verkürzten die Dauer der Zyklen, erhöhten dabei aber die Premierenzahl und Aufführungsdichte. Das bedeutete regelmässige Überraschungen durch Schauplätze, Sujets und eine stetig veränderte Gewichtung der künstlerischen Mittel. Nur wenige der mit Theatern und lokalen Kultureinrichtungen entstandenen Koproduktionen erlebten allerdings eine zweite Inszenierung. Die Biennale-Ausbeute an Experimenten ohne konkrete Zielvorgabe erwies sich dagegen als gigantisch und sichert dem Festival noch immer Weltgeltung. Für die Biennale-Jahre ab 2026 treten Katrin Beck und Manuela Kerer als neues Leitungsteam an.
Gefragt nach den für sie persönlich gelungensten Projekten nannte Tsangaris Bernhard Ganders Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr nach einem Libretto des Ukrainers Serhij Zhadan (2022), Ott das Monodrama Ein Porträt des Künstlers als Toter von Franco Bridarolli und Davide Carnevali (2018). Beide favorisierten demzufolge Werk-Resultate mit politischen Themen. Die Biennale-Mottos meinten deshalb auch immer die Weite von Gegenwartstopografien und Zukunftsvisionen: Nach OmU – Original mit Untertiteln (2016), Privatsache / Private Matter (2018), Point of NEW Return (2020/21) und Good Friends (2022) wurde vom 31. Mai bis 10. Juni mit On the Way die mentale, virtuelle, historische und physische Mobilität zum Thema.
Der Schweizer Ott, Gründer des Festivals Rümlingen, und Tsangaris, der neue Präsident der Akademie der Künste in Berlin, beschliessen ihre Ära demzufolge nicht mit einem Rückblick, sondern einer Utopie. In kaltem Weiss prunkt die Anthologie Schnee von morgen mit «Statements zum Musiktheater der Zukunft». Besonders prägnant in einer Häufung von «ismen» und «iv»-en liefert Eloain Lovis Hübner darin eine inkommensurable Steilvorlage, welche sich diese Abschieds-Biennale offenbar gerne auf die Fahne schrieb.
Pessimismus, Glückssuche und Gemüsesuppe
Zwei Beiträge mit Schweizer Beteiligung zeigten unter elf Produktionen exemplarische Pole aktuellen Musiktheaters. Zur Trias Die neuen Linien gehörte Turn Turtle Turn des finnischen Musiktheater-Ensembles Oblivia mit dem Schweizer Ensemble ö! unter der musikalischen Leitung von Armando Merino in der Münchner Stadtbibliothek. Die Komposition der Chinesin Yiran Zhao erweckte pessimistische Assoziationen. Zum sonoren Ächzen aus Lautsprechern, die Turn Turtle Turn Installation, bewegte sich Oblivia mit dem Ensemble ö! zu den Teilen «Deep Time», «Dark Time» und «And All the Other Times» in die Mittelhalle. Yiran Zhao verbindet mahlersche Melodik mit an Sondheim gemahnender Sprödigkeit. Am Ende steht die Hoffnung auf neue Sinnhaftigkeit für die menschlichen Bewegungen durch Räume und Zeiten. Das Publikum feierte dieses Empathieprojekt mit Herzlichkeit.
Wie geht’s, wie steht’s von Andreas Eduardo Frank und Patrick Frank, eine Koproduktion mit dem Theater Basel, nabelt sich definitiv ab von der Trennung zwischen Performance und Publikum. Tatsächlich wurde das Publikum im Fat Cat, dem früheren Kulturzentrum am Gasteig, für vier Stunden als «Kollektivkörper» zum Hauptakteur einer Bespassung zwischen Kreuzfahrt und Streichelgehege. Gemessen am Zulauf hat dieses «Happening» als Veranstaltungsmodell mitsamt Glückssuche und viel temporärem Wohlsein eine grosse Zukunft.
Auf Tischen lagen Spiele wie Mikado und Mensch-ärgere-dich-nicht. Man konnte in Büchern über Anleitungen zum Glücklichsein schmökern. Liegesäcke und Matratzen luden zum Verweilen und fast alle Mitwirkenden – die Performer Angela Braun, Emily Dilewski, Kyu Choi, Lukas Tauber, Manfred Wildgruber sowie der via-nova-chor München – gehörten auch zum Serviceteam. Musik gab es immer wieder mal vom (Kammer-)Ensemble Lemniscate unter dem Dirigenten Daniel Moreira. Es erklangen melodische Strophen und Fragmente – mal instrumental, mal vokal, mal beides mit Solistinnen und Solisten auf Raumwanderschaft. Conférencier und Performer-Star Malte Scholz spielte im fleischfarbenen Latex-Overall und mit schlaffem Spitzhütchen einen Wurm. Frank & Frank geben nicht an, ob sie die reichlich verteilten Spassangebote tatsächlich für eine echte Glücksoption halten. Die feinen Spitzen gegen das eigene Event bleiben im atmosphärischen Wohlfühlnebel kaum spürbar.
Kräftige Gemüsesuppe, reichlich Käse und Brot an langer Tafel mit Bierbänken sind im Eintrittspreis inbegriffen. Da kommen die Gäste tatsächlich ins Gespräch miteinander. Der Schluss wurde angesagt, sonst hätte man ihn gar nicht bemerkt. Mit ungewöhnlichen Mitteln wurde Wie geht’s, wie steht’s also zum Manifest gegen Reizüberflutung und überzogene Erwartungen. Im November 2024 zieht das überlange Happening ins Theater Basel. Am letzten Tag der Biennale stand einmal mehr eine Bilanz mit allen Zwischenstufen von Gefälligkeit, Langeweile, übersteigerter Selbstreferenz und Verstörung.