Etüdenzyklen von Camille Saint-Saëns

Letztlich gehören die Stücke aus Opus 52 und 111 wohl eher zur Übe- als zur Vortragsliteratur. Dort aber bieten sie wertvolle Möglichkeiten.

Das Wunderkind Camille Saint-Saëns mit 11 Jahren, als es vermutlich selber Etüden spielte. Anonyme Zeichnung, erstmals publiziert 1846 in «L’illustration». Wikimedia commons

Der Bärenreiter-Verlag hat sich in den letzten Jahren unter anderem auch sehr um das französische Klavierrepertoire gekümmert. So erschienen in rascher Folge zahlreiche Neuausgaben mit Werken von Debussy, Ravel, Satie, Fauré, Chabrier, Vierne und Camille Saint-Saëns. Von Letzterem jüngst nun auch die beiden Etüdensammlungen op. 52 und op. 111.

Jedes Heft umfasst dabei sechs ganz unterschiedliche Nummern, was vielleicht auf das Vorbild Bach verweist, der ja seine Suiten gerne in Sechsergruppen zusammenfasste. Mit der Gesamtzahl zwölf könnte sich Saint-Saëns aber auch an Chopins Etüden op. 10 oder op. 25 orientiert haben.

An Chopin erinnert jedenfalls manches in der pianistischen Aufgabenstellung. Da gibt es in Opus 111 gleich zwei Etüden, die sich umfassend mit Terzläufen beschäftigen (diatonisch und chromatisch/gross und klein/rechts und links). Auch Arpeggien, chromatische Skalen und Doppelgriffe unterschiedlichster Art sind omnipräsent.

Aber auch Bach kommt zu Ehren. Denn immerhin drei Nummern tragen den Titel «Prélude et fugue». Die Schulung des polyfonen Spiels war für den Klaviervirtuosen Saint-Saëns offenbar ebenfalls zentral.

Die abschliessende Etüde eines jeden Heftes ist etwas ausgedehnter und vereinigt verschiedene Spielformeln zu einem längeren Konzertstück. In Opus 52 ist das ein brillanter Walzer, während Opus 111 mit einer Toccata schliesst, die sich an das Finale des 5.Klavierkonzertes anlehnt (des sogenannt «ägyptischen»).

Auf den Konzertpodien erklingen die beiden Etüdensammlungen selten bis nie. Das hat wohl seine Gründe. Denn mit Ausnahme der beiden genannten Schlussnummern sind die Stücke auf die Länge nicht wirklich musikalisch fesselnd. Zu sehr liegt der Fokus auf dem rein Pianistischen. Und auch die Fugen überzeugen in ihrem akademischen Tonfall nicht wirklich. Als Übematerial für bestimmte technische Herausforderungen sind Saint-Saëns’ Etüden jedoch reichhaltige Fundgruben. Besonders Nr. 2 aus dem ersten Heft (Pour l’indépendance des doigts) bietet originelle und knifflige Aufgaben …

In diesem Zusammenhang sind auch seine Etüden op. 135 zu erwähnen, die sich ausschliesslich mit der linken Hand beschäftigen. Zu allen drei Sammlungen hat Herausgeberin Catherine Massip ausführliche und lesenswerte Einführungen geschrieben. Darin geht es um die Entstehungsgeschichte, die Widmungsträger, die Interpretation und die Rezeption der Werke.

Wer dem Komponisten Saint-Saëns musikalisch näherkommen möchte, sollte sich aber vielleicht eher mit seiner Kammermusik befassen.
Seine Violin- und Cellosonaten, vor allem aber auch seine beiden Klaviertrios op. 18 und op. 92 sind wirkliche Meisterwerke, die in unseren Breitengraden immer noch zu wenig gewürdigt werden.

Camille Saint-Saens: Six Etudes pour piano, Premier livre op. 52, hg. von Catherine Massip, BA 11854, € 21.95, Bärenreiter, Kassel

Id.: Deuxième livre op. 111, BA 11855

Das könnte Sie auch interessieren