Hin zur Partitur auf dem Bildschirm

Werden Tablets nach und nach die Notenblätter auf den Pulten der Musiker ersetzen? Laufende Versuche scheinen vielversprechend, aber es dürfte noch lange dauern, bis das Papier wirklich ausgedient hat. Die Musikhochschule Lausanne testet nun selbst.

Berge von Noten, die mitgeschleppt werden müssen, gehören zum Musikeralltag und bringen nicht nur Rückenschmerzen, sondern auch Platzprobleme im Notenschrank. Digitalisierte Noten, seien es eingelesene Papierpartituren oder am Computer erstellte Notensätze, können dagegen in schier unbegrenzter Menge heruntergeladen und aufbewahrt werden. Aber werden diese Noten im künstlerischen und pädagogischen Umfeld auch wirklich eingesetzt? Entsprechen die Lesegeräte und Hilfmittel wirklich den Bedürfnissen der Musikerinnen und Musiker?

Tablets und Smartphones haben einen Boom bei E-Books und allgemein bei der Lektüre digitalisierter Dokumente ausgelöst. Elektronische Partituren und entsprechende Lesegeräte werden dagegen noch wenig verwendet, vor allem in der klassischen Musik. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand: Die persönliche Notensammlung ist jederzeit und überall verfügbar, ebenso Noten, die aus dem Internet heruntergeladen werden können. Notizen und Anmerkungen können problemlos angefügt werden. Das Versenden der Noten an Mitmusiker oder Schüler ist per E-Mail überaus einfach. Hilfsmittel wie Stimmgabel oder Metronom sind oft integriert. Transpositionen sind einfach und schnell durchführbar. Die Lampe auf dem Notenpult ist überflüssig, und die Partituren können projiziert werden, was für Chor- oder Ensembleproben, aber auch für schulische Zwecke praktisch ist. Musikbibliotheken können dank elektronischen Partituren Werke bereitstellen, für die sie sonst keinen Platz hätten. Zudem ist es möglich, dass mehrere Personen gleichzeitig ein Werk konsultieren und aus der Ferne «ausleihen».

Das Experiment des Brussels Philharmonic
2012 spielte das Orchester Brussels Philharmonic ein Konzert ab digitalen Partituren. Auf dem Programm standen Ravels Bolero und Auszüge aus Werken Wagners. Die Stücke waren im Vorfeld der Aufführung digitalisiert worden. Die Musikerinnen und Musiker hatten nun mit einem nur 600 Gramm leichten Tablet alle Noten dabei. Ab der ersten Probe brauchten sie sich nichts mehr zu notieren, die Anmerkungen erschienen ausgehend vom Tablet des Dirigenten in ihren Noten. «Umgeblättert» wurde automatisch, abgestimmt auf das dirigierte Tempo. Und schliesslich konnte in einer Hochrechnung eine finanzielle Ersparnis von rund 25 000 Euro pro Jahr für das Brussels Philharmonic ermittelt werden, wenn immer mit Tablet gespielt würde.

Bei all diesen Vorteilen ist es erstaunlich, dass das Experiment nicht weiterverfolgt wurde. War es nur ein Marketing-Gag oder ist die Technologie noch nicht ausgereift? Tatsächlich muss man bei dieser Methode fürchten, dass zur falschen Zeit umgeblättert wird, die Augen können von der steten Helligkeit des Schirms oder von den allzu kleinen Noten ermüden.

Use_tab
Ausgehend von diesen Überlegungen hat die Bibliothek der Musikhochschule und des Konservatoriums Lausanne 2014 das Projekt «use_tab» lanciert. Schüler und Lehrer, Studenten und Professoren sollen im täglichen Gebrauch herausfinden, wie praktisch Tablets wirklich für sie sind. Mehrere Geräte (iPad air, ausgestattet mit einem Programm zum Notenlesen und Notizenschreiben, z. B. Forscore, sowie einem Pedal, um das Umblättern auszulösen) wurden verschiedenen Benutzergruppen zur Verfügung gestellt. Durch die Auswertung ihrer Erfahrungen erhofft man sich erste Ergebnisse, über Nutzen und Einsatzmöglichkeiten dieser Technologie (hardware und software), sei es beim individuellen Üben, im Ensemble oder im Unterricht.