Vom Trommelwirbel zum Tinnitus
Unwillkommene Ohrge-räusche können ganz unter-schiedliche Ursachen haben.
Daniela Gut — Aus der Geschichte sind viele Fälle von Musikern mit Tinnitus und auch Schwerhörigkeiten bekannt. Vermutlich ist Beethoven der bekannteste Fall. Schon im Alter von zwanzig Jahren begann sich sein Gehör zu verschlechtern, und damit einhergehend setzte auch ein sehr störender Tinnitus ein. Später kam es sogar zu einem völligen Gehörsverlust, der Tinnitus blieb aber bestehen. Die Ursache dieses Problems bei Beethoven ist bis heute nicht geklärt. Diskutiert wird eine Otosklerose, einer knöchernen fortschreitenden Fixierung des Steigbügels, oder eine Neurolues, Spätform einer Syphilis-Erkrankung. Man hat versucht, diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, indem man die Leiche exhumiert hat. Leider fehlten aber die Felsenbeine (Knochen, die den Gehörsapparat enthalten), so dass keine neuen Erkenntnisse zum Vorschein kamen.
Musiker sind während ihres ganzen Berufslebens starken Lärmbelastungen ausgesetzt. Sei es im Orchester, bei Proben oder beim Unterrichten. Die grösste Lärmbelastung wird dabei durch das eigene Instrument erzeugt.
Bei den Lärmschädigungen unterscheidet man zwischen akutem und chronischem Lärmtrauma. Beim akuten Lärmtrauma kommt es zu einer kurzen starken Lärmeinwirkung – wie bei einem Schuss. Die typische Frequenz dafür ist 6000 Hz. Das chronische Lärmtrauma ist definiert als längerdauernde Schalleinwirkungen mit über 85 dB Schalldruckpegel.
Beide Störungen können zur Entwicklung von Tinnitus führen. Letzterer ist definiert als jegliche Form von Ohrgeräusch. Es kann ein Ton sein, aber auch ein Rauschen, Brummen und so weiter.
«Tinnitus» ist folglich mehr ein Symptom als eine Diagnose. Die Ursachen sind sehr unterschiedlich, müssen nicht einmal vom Ohr ausgehen. Beispiele sind Kiefergelenksprobleme, Halswirbelsäulenprobleme, auch Gefässe: Sowohl Arterien als auch Venen können Flussgeräusche verursachen. Nicht zu vergessen sind Medikamente, allen voran Psychopharmaka, Schleifendiuretika und auch Aspirin in hohen Dosen. Bei letzterem ist der Tinnitus reversibel. Bei psychiatrischen Erkrankungen kann ebenfalls ein Tinnitus auftreten – beispielweise bei Depressionen oder Burn-out-Syndrom.
Tinnitus kann mit bestimmten Ohrerkrankungen einhergehen.
Selbst ein banaler Ohrpfropfen kann einen Tinnitus verursachen. Nach Entfernung ist das Geräusch aber verschwunden. Auch bei Entzündungen des Gehörgangs und des Mittelohrs tritt meistens ein Tinnitus auf. Dieser ist nach Abheilen der Entzündung ebenfalls in der Regel reversibel. Beim Tubenkatarrh, wo sich hinter dem Trommelfell Flüssigkeit bildet, die zu einer Gehörsverminderung ohne Schmerzen führt, tritt gewöhnlich auch ein Tinnitus dazu. Bei der Otosklerose tritt häufig als erstes Symptom ein Tinnitus auf. Diese Erkrankung ist familiär gehäuft. Die fortschreitende Schwerhörigkeit kann operativ deutlich verbessert werden.
Dann bleiben die Erkrankungen des Innenohrs, wie der Gehörsturz und der Morbus Ménière. Letzterer besteht aus einer Trias von Drehschwindel, Tinnitus und Gehörsverminderung. In diese letzte Kategorie gehören auch das akute und das chronische Lärmtrauma.
Nun stellt sich die Frage, ob zum Schutz des Gehörs etwas unternommen werden kann. Als sehr wesentlich hat sich nach den Untersuchungen der Freiburger Musikphysiologen Bernhard Richter und Claudia Spahn die emotionale Einstellung des Musikers zu einem Stück erwiesen. Und natürlich Gehörschutzmassnahmen. Diese reichen von Notlösungen wie Watte über Schaumstoffstöpsel (Oropax) bis zu vorgeformten Gehörschützen. Für Musiker am sichersten und besten geeignet sind Otoplasten (Elacin), die entsprechend dem Gehörgang angefertigt werden und verschieden starke Dämpfung des Klangs anbieten. Generell sind alle Gehörschutzmassnahmen bei Musikern nicht sonderlich beliebt, da einerseits der Schutz gegeben sein sollte und andererseits die künstlerische Klangproduktion damit verändert wird. Es wird angenommen, dass ungefähr nur ein Sechstel aller Musiker sich schützt.
Zum Schluss bleibt mir mein beliebtes Zitat von Wilhelm Busch: Musik wird oft nicht schön empfunden, ist sie doch stets mit Lärm verbunden.
Dr. med. Daniela Gut
… ist Fachärztin FMH für ORL mit Praxis in Zürich