Welche nationale Förderung für Begabte?
Das Konzept für die Begabtenförderung durch eine Talentkarte Musik wurde Ende 2021 in die Vernehmlassung gegeben. Geplant ist die Vergabe der ersten Talentkarten im Frühjahr 2023.
Heinrich Baumgartner —2008, vor bald 15 Jahren, wurde beim Bund mit über 150 000 gültigen Unterschriften die Volksinitiative jugend + musik zur Stärkung der musikalischen Bildung in der Schweiz eingereicht. Hauptsächlich um ein Kompetenzgerangel zwischen Bund und Kantonen zu verhindern, erarbeitete der Bund einen Gegenvorschlag, der im September 2012 mit grossem Mehr in einer Volksabstimmung angenommen worden ist. Erstes Ergebnis dieser Volksabstimmung war der Artikel 67a der Bundesverfassung, der im Satz gipfelt: «Der Bund legt unter Mitwirkung der Kantone Grundsätze fest für den Zugang der Jugend zum Musizieren und die Förderung musikalisch Begabter» (Absatz 3).
Im Programm Jugend und Musik des Bundesamts für Kultur wurden seit 2016 für das Thema «Zugang der Jugend zum Musizieren» mehr als bloss Grundsätze festgelegt – 2016 bis 2018 wurden 710 J+M-Leitende zertifiziert und 593 J+M-Kurse und -Lager durchgeführt. So konnten über dieses Programm insgesamt rund 20 000 Kinder und Jugendliche erreicht werden. Nun soll auch der Verfassungsauftrag «Förderung musikalisch Begabter» durch das Programm Talentkarte Musik vorangebracht werden.
In den letzten zehn Jahren ist man bezüglich Begabtenförderung nicht untätig geblieben: Bereits 2013 veröffentlichte das Bundesamt für Kultur den umfassenden Bericht einer Arbeitsgruppe zur Umsetzung des Artikels 67a der Bundesverfassung. 2017 erarbeitete der Verband Musikschulen Schweiz ein knappes und kluges Leitbild zur Begabtenförderung, und 2018 führte er eine breit angelegte Umfrage zum Thema durch. Dies sind zwei wichtige Grundlagen für die Arbeitsgruppe, die 2021 das Konzept für die Talentkarte ausarbeitete. So können seit dem 1. Dezember 2021 Musikschulen, Hochschulen, Musikinstitutionen und weitere Interessierte bis zum 1. Februar 2022 ihre Meinung zu diesem Konzept abgeben. Sofern der Zeitplan eingehalten wird, kann im Frühjahr 2023 mit der Vergabe der ersten Talentkarten begonnen werden.
Das Funktionsmodell des Konzepts ist klar und übersichtlich:
Das Bundesamt für Kultur überweist den Kantonen einen jährlichen Beitrag und schliesst mit ihnen eine Leistungsvereinbarung ab.
Der Kanton bestimmt eine kantonale Koordinationsstelle und setzt eine Fachkommission ein.
Die kantonale Koordinationsstelle vergibt die Talentkarten an die von der Fachkommission anerkannten Talente und zahlt die entsprechenden Beiträge aus. Zudem anerkennt und koordiniert sie die Angebote der Begabtenförderung.
Die Fachkommission anerkennt die Talente nach Förderstufen und meldet der Koordinationsstelle die Namen und Stufen der Talente.
Die Anbieter von Förderange-boten stellen auf den verschiedenen Förderstufen und in den verschie-denen Stilrichtungen ein qualitativ hochstehendes Angebot sicher und vernetzen sich mit anderen kantonalen und regionalen Anbietern.
Die Talente schliesslich besuchen die Angebote der Begabtenförderung und setzen dafür den Beitrag der Talentkarte ein.
Erfahrungen im Sport mit ähnlichen Talentcards sind positiv. In der Kulturbotschaft 2021–2024 des Bundesamts für Kultur geht man vorerst von rund 1000 Musiktalenten aus, die auf diese Art jährlich gefördert werden könnten.
Institutionen wie das Jugend-sinfonieorchester oder der Jugendmusikwettbewerb gehören zu den wenigen Institutionen, die auf nationaler Ebene langjährige Erfahrun-gen mit der Begabtenförderung in der Musik haben. Auch wenn sie im Talentkarten-Konzept nur ganz am Rande erwähnt werden, ist zu hoffen, dass diese reichen Erfahrungen in die neue Form der Förderung einfliessen.