Back on stage

Unter der Schirmherrschaft des Schweizer und des Deutschen Musikrates eröffnen die Festival Strings am Tag der Musik (21. Juni) im Konzertsaal des Kultur und Kongresszentrums Luzern die Konzertsaison mit Publikum nach dem Lockdown.

Konzertsaal im Kultur und Kongresszentrum Luzern (KKL). Foto: zVg,SMPV

Am Tag der Musik, der alljährlich am 21. Juni gefeiert wird, startet nach Monaten des Stillstands wieder der Konzertbetrieb. Das erste Konzert mit Publikum steht unter der Schirmherrschaft des Schweizer Musikrates und des Deutschen Musikrates, die auch die Träger des Aktionstages in der Schweiz und Deutschland sind. Das Konzert wird von Deutschlandfunk Kultur live übertragen, SRF 2 Kultur sendet es zeitversetzt.

 

Konzertprogramm

«Back on stage!» | Ein «Steinway Prizewinner Concert»

21.06.2020, 20:00 | Luzern (Schweiz), KKL Luzern, Konzertsaal

Claire Huangci, Klavier | Daniel Dodds, Leitung und Violine | Festival Strings Lucerne

Franz Schreker: Scherzo für Streichorchester (1900)
Frédéric Chopin: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 f-Moll op. 21, Fassung für
Streichorchester von Ilan Rogoff (2010)
Robert Schumann: Bilder aus Osten op. 66 (1849), Fassung für Streichorchester von Friedrich Hermann (1884)
Antonín Dvořák: Serenade für Streichorchester E-Dur op. 22 (1876)

 

Weiterführender Link

Diabelli-Variationen

Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf die Variationen in C-Dur über einen Walzer von Anton Diabelli für Klavier.

Ausschnitt aus dem Beethoven-Porträt von Joseph Karl Stieler, ca. 1820

«Variationen über einen Walzer für Klawier allein (es sind viele).» Fast scheinen diese Worte untertrieben, mit denen Beethoven in einem Brief vom 5. Juni 1822 an den Verlag Peters seine 33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli op. 120 erwähnt. Angeregt wurde er zu dieser wahrhaft monumentalen Komposition bereits Anfang 1819. Der Wiener Musikverleger und Komponist Anton Diabelli (1781–1858) hatte sich an eine ganze Reihe in Österreich wirkender Komponisten und Pianisten mit der Bitte gewandt, für ein Gemeinschaftswerk je eine Variation zu einem Walzer einzusenden, den er für diesen Zweck entworfenen hatte. Auch Beethoven muss diese Einladung erreicht haben – allerdings wurde seine schöpferische Fantasie, vermutlich auch sein kompositorischer Ehrgeiz, durch das vorgegebene Thema so angeregt, dass bereits nach wenigen Monaten eine grosse Anzahl von Variationen skizziert vorlag. Mit der Fertigstellung anderer Werke beschäftigt, liess sie Beethoven dann allerdings für nahezu vier Jahre liegen; erst im April 1823 schloss er das Autograf endlich ab. Trotzdem gelang es ihm, Diabelli und dessen ursprünglichen Plan zeitlich einzuholen: Die 33 Veränderungen op. 120 erschienen im Juni 1823 im Druck; das am Ende aus 50 Variationen bestehende Gemeinschaftswerk hingegen erst ein Jahr später unter dem Titel Vaterländischer Künstlerverein. Veränderungen für das Pianoforte über ein vorgelegtes Thema.

Im Gegensatz zu diesem singulären Sammeldruck, in dem die einzelnen Beiträge wie in einem Lexikon alphabetisch nach den Namen der Komponisten geordnet sind, legte Beethoven seiner Komposition eine wohlkalkulierte Gesamtanlage zugrunde und schuf damit nicht nur eine Folge von Variationen, sondern einen in sich abgeschlossenen Zyklus. Wie komplex dessen Struktur ist, zeigt die Vielfalt der Gliederungsmöglichkeiten. So erscheint der Zyklus von aussen betrachtet als eine nahezu symmetrisch geordnete Abfolge von Gruppen zu jeweils vier Variationen (die letzte, Nr. 33, ausgenommen). Je nach Parameter oder Aspekt sind aber auch andere Einteilungen möglich, die weit über die zu jener Zeit standardisierten Modelle hinausgehen. Schon mit der ersten Variation vollzieht Beethoven einen Bruch zum Thema: Überschrieben mit alla Marcia maestoso sorgt sie entschieden für gehörigen Abstand. Im weiteren Verlauf sind es vielfach nur einzelne Motive, harmonische Fortschreitungen oder rhythmische wie melodische Elemente, die den Rückbezug hörend nachvollziehbar machen. Die angestaute Energie entlädt sich schliesslich in einer gewichtigen Doppelfuge, mit der Beethoven nun auch erstmals den tonalen Rahmen von C-Dur (und der Variante c-Moll) verlässt. Mehr als nur einen Epilog stellt am Ende die Variation 33 dar mit ihrer eigentümlich gelassenen, fast schon transzendenten Heiterkeit.

Selbst Hans von Bülow (1830–1894), der sich als Interpret der über Jahrzehnte als «unspielbar» geltenden Diabelli-Variationen annahm, fand kaum Worte für dieses summum opus der Variationskunst: Es sei für ihn der «Mikrokosmos des Beethovenschen Genius überhaupt, ja sogar ein Abbild der ganzen Tonwelt im Auszuge.»

 


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Musik in Zeiten von Corona

Das Angebot an gestreamter Livemusik von zu Hause ist unüberschaubar geworden. Was gibt es im klassischen Bereich zu sehen und wer schaut sich das an? Versuch einer Einordnung anhand einzelner Beispiele.

Das Schlagzeugregister des Luzerner Sinfonieorchesters mit einer gelungenen Bolero-Version

Von einem Tag auf den anderen ohne Konzerte dazustehen, das ist hart. Hart für das Publikum, das gewohnt ist, aus einer Überfülle von Konzerten das passende auszuwählen, und hart für die Interpretierenden, die sich plötzlich daheim im stillen Kämmerlein wiederfinden. Alle Musikerinnen und Musiker brauchen Anerkennung, die Freischaffenden bangen um ihre Existenz, und alle müssen sich irgendwie in Form halten. Denn Musikmachen ist wie Hochleistungssport, der tägliches Training erfordert. Gerade letzteres ging im Trubel des Lockdowns in der Öffentlichkeit fast vergessen. Üben ohne Ziel ist aber auf Dauer kaum zu ertragen.

Und so suchten die Musikmachenden nach Auswegen. Zuerst gab es anrührende Balkonkonzerte, die um die Welt gingen, dann feierten Wohnzimmerkonzerte Urständ. Verbreitet wurden sie als Streaming-Videos, die überall auftauchten und die sozialen Netzwerke überschwemmten. Im Schnellverfahren aus dem Boden gestampft, verbreiteten sie die Botschaft «Hallo, wir leben noch und schenken euch Musik». Doch wozu dient solche Hyperaktivität im Musikbereich letztlich; was nützt es, was schadet es, wenn täglich dreiminütige «Konzertli» angeboten werden?
 

Schauplatz Wohnzimmer

Das Luzerner Sinfonieorchester begann schon am 26. März mit seinem «Tagebuch eines verschollenen Orchesters» und legte mit fast 2000 Klicks einen fulminanten Start hin, andere Anbieter folgten. Es war im ersten Moment tröstlich, mit Musik «versorgt» zu werden und zu wissen, dass auch andere aktiv blieben. Der Wohnbereich wurde zum Musikschauplatz, doch fehlte meistens ein professionelles Equipment: Es gab Bildverzerrungen, ungenügende Synchronisationen von Bild und Ton, und zuweilen schepperte es gehörig aus dem Lautsprecher. Auch das «Vor-die-Kamera-Treten» geriet zum schwierigen Balanceakt. Viele stehen ungelenk da, versuchen ein «Grüezi» und spielen drauf los. Andere treten zusammen mit Kollegen im virtuellen Raum auf, auf dem Bildschirm sieht man je in einem «Fenster» zugeschaltete Personen mit Knopf im Ohr.

Als Zuschauerin werde ich damit nolens volens zur Voyeurin im privaten Raum: Wie wohnt die Person, ist Unordnung zu erkennen, gibt es ein schönes Sofa, wohnt sie in einem Haus oder in einer kleinen Mansarde usw. Natürlich kann es durchaus auch sympathische Züge tragen, wenn man «seine» Orchestermusiker, die im Konzertsaal weit weg in Frack oder schwarzem Kleid spielen, nun plötzlich privat erlebt. Doch das Interesse des Publikums nimmt schnell ab: Solche im Netz präsentierten Konzertreihen zeigen von Woche zu Woche sinkende Klickzahlen.

Bei mehrmaligem Anschauen von Wohnzimmer-Streams wird klar, dass oft mehr eine Verzweiflungstat dahintersteckt als gut geplante Überbrückung der konzertlosen Zeit. Die anfängliche Explosion der Besucherzahlen verkehrt sich schnell ins Gegenteil, und man wird erbarmungslos abgehalftert. Zu verwöhnt ist das Publikum durch die Qualität der eingespielten «Konserven». Aber auch die immer gleichen Bach-Partiten, kurzen Mozart-Stücke oder Hornquartette, die da geboten werden, verlieren ihren Reiz, wenn zu viele Musiker dasselbe tun.

Das Ziel ist natürlich, im Gespräch zu bleiben, das Publikum bei Laune zu halten, alle «machen es», dann muss ich auch. Die grossen Institutionen sind bei diesem Wettrennen gewaltig im Vorteil, sie können ihre Lagerbestände an Videos plündern und gratis hochladen, wie die Berliner Philharmoniker es vorgemacht haben und es auch das Opernhaus Zürich praktiziert. Die Aufmerksamkeit ist da und hilft über magere Zeiten hinweg, die Schere zwischen «Gross» und «Klein» öffnet sich.

Haben die Finanzschwächeren damit verloren? Nicht unbedingt, wie das Beispiel des Argovia philharmonic zeigt, das zweimal mit wenig Mitteln einen Livestream anbot: Einmal mit zwei Orchestermusikern am Hallwilersee, einmal als «Yoga-Konzert» zum Mitmachen. «Das Echo war positiv», erklärt Intendant Christian Weidmann, «es lässt sich dabei aber schon spüren, dass unser Publikum lieber ins Konzert kommt.» Die Musikwissenschaftlerin Susanne Rode-Breymann bringt es auf den Punkt: «Kunst auf der Bühne ist keine digitale Kunst.»

Das Livekonzert, so oft schon totgesagt, wird wohl auch in der Post-Coronazeit weiter blühen. Oder gerade umso mehr? Es hat den Vorteil, dass Interpreten und Publikum im Konzertsaal zu einer anderen Haltung gezwungen sind als beim Streamen, wie es die Pianistin Sophie Pacini frei heraus formuliert: «Ich weiss ja gar nicht, wo der Rezipient sitzt – sitzt der vielleicht gerade auf dem Klo?» Ein Gefühl wie im Konzertsaal aufzubauen sei unter solchen Umständen schwierig, berichtet sie weiter. Die unmittelbare Interaktion zwischen Podium und Zuhörerschaft ist also nach wie vor wertvoll.

Einen interessanten Ansatz, obwohl auch online, bieten die Reihen «at home» und «Salon Picasso», die das Sinfonieorchester Basel in regelmässigen Streams seit dem Lockdown anbietet. Hinter diesen Namen verbergen sich rund 30-minütige thematische Sendungen, zusammengehalten durch einen dramaturgischen Faden. Der künstlerische Direktor des Orchesters, Hans-Georg Hofmann, stellt im Gespräch mit Orchestermitgliedern einzelne Register vor, die anschliessend spielen – im Probesaal des Orchesters, oder mal auf witzige Weise zu Hause. Didaktisches verbindet sich mit Unterhaltendem. «Wir haben die Coronazeit genutzt, um ein digitales Archiv aufzubauen, die Beiträge bleiben für einen längeren Zeitraum abrufbar», erläutert Hofmann dazu.

Vorsichtig ins Freie

Die Sehnsucht nach Livemusik aber ist gross. Und so wagen sich nach der Lockerung der Coronaregeln viele Musikerinnen und Musiker wieder näher an den analogen Betrieb heran. Das Kammerorchester Basel veranstaltet «Coronaden»-Konzerte, kurze Auftritte im öffentlichen Raum, wie etwa in einem Buswartehäuschen. «Raus aus der Versenkung, hin zu den Menschen, das gibt eine tolle Energie», meint Konzertmeisterin Julia Schröder, die das Format auch nach Corona beibehalten möchte.

In ähnlicher Richtung tendiert das Musikkollegium Winterthur mit «Musik vor Ihrer Tür»: Abonnenten, Gönnerinnen und Vereinsmitglieder konnten gratis ein Kammerkonzert mit Musikerinnen und Musikern des Orchesters bestellen. Die Nachfrage war sehr gross, bis jetzt wurden 85 Konzerte gegeben, auch Nachbarn und Passanten waren unter den Zuhörenden. «Wir glauben, dass wir dadurch neues Publikum gewonnen und die Beziehung zum bestehenden Publikum gestärkt haben», lautet das Fazit.

Den momentanen zwangsweisen Mainstream ausnutzen möchte die Initiative «Digital Concerts» des Tenors Sascha Emanuel Kramer und des Tonmeisters Marcel Babazadeh. Jeden Montag um 20.30 Uhr wird via Facebook und Youtube ein Konzert aus einer Fabrikhalle am Zürichsee gesendet.

Die Idee ist, die Intimität eines klassischen Hauskonzerts in digitaler Form zum Konsumenten zu bringen. Acht Konzerte haben bereits stattgefunden, und die Klicks sind zahlreich. Die Streams beweisen allerdings die Schwierigkeit, aus digitaler Distanz Nähe zum Publikum aufzubauen. Die Begrüssungen in betont legerer Manier wirken unprofessionell, die Moderationen zuweilen aufgesetzt. Das Equipment allerdings ist professionell, die Musikerinnen und Musiker spielen auf hohem Niveau. Nur bewahrheitet sich auch hier, dass Qualität teuer ist: «Wir sind auf finanzielle Unterstützung angewiesen, damit wir die Kosten bewältigen und den Künstlerinnen faire Gagen bezahlen können.» Der Slogan, «die Konzerte sind gratis aber nicht kostenlos», bringt im Lockdown mangels Konzertalternativen Gelder zum Fliessen, finanzielle Solidarität ist in diesen Tagen grossgeschrieben. Das bestätigen auch andere klassische Konzertveranstalter. Aber danach? Welche Spuren hinterlässt die Streaming-Euphorie dieser Tage?
 


Bildnachweis

Das Schlagzeugregister (Iwan Jenny, Ramon Kündig, Marco Kurmann) des Luzerner Sinfonieorchesters mit einer gelungenen Bolero-Version

Foto: Screenshot aus «Tagebuch eines verschollenen Orchesters», 13. Eintrag
 

Unterstützung für Basler Orchester

Der Regierungsrat von Basel-Stadt hat die Fachjury für die Programmförderung der Basler Orchester bestimmt. Die Abteilung Kultur schreibt die Programmförderung für den Zeitraum bis Mitte 2023 aus.

Symbolbild. Foto: Kael Bloom /unsplash.com (Link zum Bild unten)

Die 2016 eingeführte Programmförderung Orchester richtet sich an professionelle Basler Orchester und grössere Instrumentalensembles der Alten und Neuen Musik. Eine Fachjury beurteilt die eingereichten Konzertprogramme über drei Spielzeiten hinweg nach transparenten Kriterien.

Die Fachjury besteht aus Valerio Benz, Musikredaktor und Musikproduzent bei SRF2 Kultur, Basel, Roman Brotbeck, Publizist und Berater für Musik, Kulturpolitik und Forschungsentwicklung, Basel, Lydia Rilling, Chefdramaturgin der Philharmonie Luxemburg, Alexander Steinbeis, Orchesterdirektor beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin und Lena-Lisa Wüstendörfer, Music Director Swiss Orchestra und Musikwissenschaftlerin, Zürich.

Begonnen hat ausserdem die Ausschreibung für die nächste Finanzierungsperiode: Für die Programmförderung Orchester in den Jahren 2021, 2022 und im ersten Halbjahr 2023 stehen infolge des Grossratsbeschlusses vom 11. März 2020 rund 4,7 Millionen Franken zur Verfügung. Um die Förderung können sich professionelle Orchester und Ensembles bewerben, die im Kanton Basel-Stadt eine regelmässige Konzertreihe etabliert haben.

Detaillierte Informationen zu den Zulassungsbedingungen und zu den einzureichenden Unterlagen unter: https://www.kultur.bs.ch/kulturprojekte/musik.html
 


Silbermann-Handschriften digital verfügbar

Nach dem Erwerbung eines Reisetagebuchs von Johann Andreas Silbermann hat die SLUB Dresden weitere zentrale Handschriften des Strassburger Orgelbauers und Neffen von Gottfried Silbermann angekauft.

Notre Dame, Orgel von Thierry (1733) (Bild: SLUB Dresden, Ramona Ahlers-Bergner),SMPV

Das zwischen den 1720er und 1780er Jahren angelegte sogenannte Silbermann-Archiv ist eine Fundgrube für Kultur und Wissenschaft und dokumentiert das Familienwissen zum Orgelbau. Johann Andreas Silbermann legte eigenhändige Beschreibungen zu 35 Orgeln seines Vaters, des ursprünglich aus Sachsen stammenden Andreas Silbermann, an, beschrieb 31 Instrumente, die er selbst gebaut hatte, und trug Details zu knapp 250 Instrumenten aus ganz Europa zusammen.

Ein Silbermann-Tagebuch, ein mit Zeichnungen und Zeitungsausschnitten reich ausgestattetes Notizbuch, hatte die SLUB 2014 bereits bei Sothebys ersteigert. Darin schildert Johann Andreas Silbermann eine Rundreise im Jahr 1741, die ihn von Strassburg über Frankfurt durch die mitteldeutschen Residenzstädte bis nach Berlin und zurück führte.

Die Dokumente sind online zugänglich unter: www.slubdd.de/silbermannarchiv

Originalartikel:
https://www.slub-dresden.de/ueber-uns/presse/pressemitteilung/2020/6/15/weltbekannt-und-stilbildend-slub-dresden-erwirbt-wertvolle-handschriften-der-orgelbauerdynastie-sil/

Saalorgel-Zwillinge

Sowohl in Basel wie in Zürich werden derzeit neue Orgeln in die Konzertsäle eingebaut. Der Orgelspezialist Rudolf Meyer aus Winterthur nimmt dies zum Anlass, die Diskussion über Zweck und Charakter solcher Instrumente mit einigen Stichworten anzuregen.

Einbau der Metzler-Orgel im Musiksaal des Stadtcasions Basel. Foto: Jürg Erni

1956 wohnte ich einem Orgelabend von Helmuth Reichel in der Zürcher Tonhalle bei, es blieb wohl der einzige in neuerer Zeit. Seither beobachte ich das eher leidvolle Saalorgelkapitel aufmerksam. Und gerne trage ich dieses Votum bei, um Bewegung in die etwas zu ruhige Diskussion zu bringen im Hinblick auf die zwei im Bau begriffenen Instrumente. Es gilt, die sich eröffnenden, sagenhaften Chancen jetzt zu erkennen und zu nutzen! Wir sind einmal mehr gespannt auf den fairen Wettstreit zwischen «Basel und Zééri».

Konzertsäle verfügen über eine Akustik, die der absoluten Durchhörbarkeit des schwingenden Orchesterklangs dienen soll. Bei der Orgel sind Kirchenräume idealer, weil durch ihre Hallverhältnisse die starren Klänge der Pfeifen miteinander sozialisiert werden. Viele der neueren, mir bekannten Saalorgeln leiden darunter, dass sie knallig, gläsern und gerne zu laut klingen neben dem Orchester. Und dann heisst es, dass sie eigentlich unbrauchbar seien. Ist es nicht bezeichnend, dass in England Saalorgeln füllig und warm klingen und sich mit Orchestern wie von selbst mischen? Eher weniger geeignet sind sie für alte Meister. Meine Erinnerung an die Tonhallen-Orgel von 1939 bis 1986 geht genau in diese Richtung, weshalb ich mich 1985 für deren Erhalt einsetzte: als Alternative zum damals gängigen neubarocken Klanggewand bei Kirchenorgeln.

Freuen wir uns von Herzen, dass in zwei bedeutenden Konzertsälen neue Orgeln installiert werden und unser einheimischer Orgelbau einmal mehr seinen hohen Qualitätsstand beweisen darf. An beiden Orten ist es nun das dritte Projekt, das auf zwei «Provisoires qui ne durent pas» folgt.
 

Stichworte zu den neuen Instrumenten in Basel und Zürich

Stadtcasino Basel: Metzler-Orgel

  • Beibehaltung des historischen Gehäuses bei 56 Registern
  • Saalakustik: weitgehend Neuland für das Haus Metzler
  • Elektrisch gesteuertes Instrument mit mechanischem Effektmanual mit zwei Spieltischen für Dirigenten-, Ensemble- und Publikumsnähe
  • Klug beschränkte Disposition in Bezug auf die Windladengrösse und die Raumverhältnisse

 

Tonhalle Zürich: Kuhn-Orgel

  • Bezug zur alten Tonhalle-Orgel nach 1939 bei geglückter Neuinterpretation des damaligen Gehäuses. «Wiedergutmachung» für dessen Exil ins Neumünster
  • Reiche Erfahrung des Hauses Kuhn mit Sälen (USA, Japan, Europa)
  • Disposition beträchtlich und ausladend, wohl dank dem Wegfall der gesamten Spielmechanik, somit unter Preisgabe des physischen Kontakts zum Pfeifenventil
  • Echte Klangbereicherung durch neue Registerkreationen wie Flauto turicensis oder Nasenflöte!
  • Ein mobiler Spieltisch, dank fliegender Windlade bloss drei Manuale und damit bessere Dirigenten-, Ensemble- und Publikumsnähe
  • Pragmatischer Verzicht auf mechanische Traktur angesichts des Schaubedürfnisses des Publikums

Wunschzettel zur Wertschätzung

An beiden Standorten eigentliche Szenen für Orgel- und Orgel-Orchester-Anlässe, also ein Ruck durch die städtischen Musikwelten überhaupt
Was machen wir mit einer grossen, tollen, millionenteuren Villa auf der grünen Wiese? Gehen wir daran, Wege zu schaffen, damit sie öfter Gastgeberin sein kann. Die aufwendigen Neubauten sollten eine überregionale Ausstrahlung bekommen.

Lebendige Synergien mit beiden Musikhochschulen und Bühnen
Allein noch in Genf verfügt eine Musikhochschule über eine eigene grosse Saalorgel. An allen andern Orten ist das Instrument ideell und materiell ausgelagert in Kirchen, und ein grosses Repertoire an sinfonischer Orgelmusik muss mit dafür eher ungeeigneten Emporen vorlieb nehmen – mit und ohne Orchester. Mit den neuen Instrumenten soll die Zusammenarbeit erwachen zwischen Konzertgesellschaften, Hochschulen und Bühnen. Speziell im Bereich der Choreografie eröffnen sich mit diesen Sälen sensationelle Chancen. Orgeltänze kennen wir seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich: Widor, Vierne, Messiaen, Alain, Litaize, Heiller, Bovet. Hinzu kommen sinfonische Transkriptionen.

Die Konzertgesellschaften selber oder delegierte aktive Körperschaften als Orgelkonzertveranstalter
Dermassen gewichtige und ausladend-repräsentative neue Orgeln rufen nach einer eigenen Szene. Nach den Millionenaufwänden sind angemessene Einrichtungen für Orgelveranstaltungen zu schaffen. Entweder sind diese in den Betrieb der beiden Konzertgesellschaften integriert oder an Vereine zu delegieren. Dies ist deshalb vordringlich, weil das von mir mitinitiierte Projekt KunstKlangKirche Zürich infolge einer schwachen Interessenlage nicht zustande kam. Bei Luzerns KKL-Orgel sorgte bis vor Kurzem die Erbauerin und ortsansässige Firma Orgelbau Goll für Konzerte.

Mittel für den Betrieb proportional zu den hohen Baukosten und den prominenten Stellungen dieser Instrumente
Es sind beträchtliche Mittel bereitzustellen für Solistenhonorare, Werbung und die räumliche Infrastruktur wie etwa den Orgelunterhalt. In Basel und Zürich hat man bis heute seine Mühe mit letzterem.

Organisatorische Integration von Orgelkonzerten in den jeweiligen Saalbetrieb
Dem Vernehmen nach gibt es immer wieder Probleme, wenn Konzertsäle für einzelne Organisten stundenlang reserviert werden müssen. Ausreichende Probezeiten sind aber erforderlich, weil jedes Instrument ein Unikum ist und stets spezielles «Orchestrieren» jeder Partitur erfordert.

Titularstellen für Konzerte, Choreografien und ggf. Meisterkurse
Aus dem Geschriebenen resultiert die Errichtung einer gut alimentierten Organisten-Konzertstelle, weit über das Orchesteramt hinaus. Entweder spielen die künftigen Stelleninhaber selber, werden auch beigezogen bei Oratorienaufführungen, oder sie ziehen Konzertzyklen auf, auch mit Gästen aus dem In- und Ausland. In Zusammenarbeit mit den Dozenten der Musikhochschulen sollen auch Meisterkurse und dergleichen stattfinden können. Vorbilder haben wir in den angelsächsischen Städten mit ihren Town-Halls oder Universitäten, wo sich z. B. Mittags-Recitals einer grossen Beliebtheit erfreuen. Ist das Organistenamt jedoch mit einem städtischen Kirchenamt eng verbunden, so wird die Saalorgel immer zurückstehen müssen – wie die Geschichte beider Säle lehrt. Verhindern wir also das Dasein als «Seitenwagen» der tief verwurzelten Kirchenszene.

Orchester-Orgelkonzerte im Pflichtenheft von Haus- und Gastdirigenten
Warum kennen unsere Dirigenten die Eigenheiten eines jeden Orchesterinstrumentes, haben jedoch wenig Ahnung vom Wesen der Orgel? Noch immer wird an den Ausbildungsstätten die Orgel in die «ferne» Kirchenwelt wegbeordert. Kein Wunder, dass Dirigenten ohne konkreten Auftrag sich niemals an die zwei Dutzend wunderbare Orgelkonzerte mit Orchester heranwagen. Was habe ich dabei schon alles erleben müssen an absolut unbrauchbaren Anweisungen! Solche Konzerte gehören von jetzt an in die Pflichtenhefte von Chef- und Gastdirigenten. Wäre ein entsprechendes Interesse schon länger vorhanden, so hätte man die Saalorgeln in beiden Städten längst saniert und klanglich in Ordnung gebracht.
Freilich ist auch einzuräumen, dass der maschinelle Anteil an der Orgel viele Interpreten daran hindert, wirklich gestaltend zu spielen. Mit Apostel Paulus gesprochen: «… und könnte alle Noten tadellos hinbekommen, hätte aber der Musikliebe nicht …» Da verstehe ich gewisse Vorbehalte vonseiten der Dirigenten dann doch nur allzu gut!
 

Grundsätzliche Gedanken zum Orgelbau

Orgelbau als Balance zwischen Idealvorstellungen und Auftrag
Im Gegensatz etwa zum Geigenbau schwingt das nicht industrielle Handwerk der Orgelbauer hin und her zwischen eigenen Vorstellungen, die ganz aus dem Instrument selber herauswachsen, und den Wünschen der meist grösseren Gremien der Auftraggeber, der künstlerischen und materiellen Bauherrschaft.

Orgelkonzepte vom Instrument her denken
Es ist wichtig, dass instrumentenbezogenes Denken Vorrang hat vor den «Wünschbarkeiten» einer sehr zeitgebundenen Organistenschaft etwa in Bezug auf Finessen bei elektronischen Steuerungen. Solches heisst für mich Orgeldenken.

Das klassische Instrument ist wichtiger als Sensationseffekte
Es gibt Leute, die nach Sitzberg, Fribourg, Luzern oder Kufstein pilgern, nur um Zimbelsterne, Regenmaschine, Gewitter oder Flächensound zu bewundern. Im Orgelbau sollte die Grenze dort gezogen werden, wo die emanzipierte elektronische Klangbranche Tätigkeitsfelder besser beherrscht. Warum denn verfügen die Orchesterinstrumente nicht schon längst über elektronische Moderatoren an Geigenstegen, Bläserkörpern oder Schlagwerk?

Die wahre Kunst besteht aus dem fantasievollen Umgang mit der «starren» Tongebung
Gerade die gesteinsmässige Starrheit des Orgelklangs, sein Wesen von Klang oder Pause, ist so faszinierend wie herausfordernd. Oder wie es Marie-Claire Alain 1969 ausdrückte: «Le bon goût, c’est la connaissance du style.»
 

*

Zurzeit sind beide Orgelzwillinge in statu nascendi. Mit vielen Glückwünschen, aber auch hohen Erwartungen an die beiden Orgelbauhäuser freue ich mich auf die Resultate und die neu und bald erblühenden Aktivitäten.


Philharmonische Königinnen

Basel (Musiksaal des Stadtcasinos), Genf (Victoria Hall), Luzern (KKL), Zürich (Tonhalle); europaweit in Essen (Philharmonie), Dresden (Kulturpalast), Duisburg (Philharmonie Mercatorhalle), Hamburg (Elbphilharmonie), Kopenhagen (Koncerthuset), Neubrandenburg (Konzertkirche St. Marien), Paris (Auditorium Radio France und Philharmonie), Salzburg (Mozarteum), Wien (Musikvereinssaal).

Detail der neuen Orgel der Tonhalle am See in Zürich. Foto: Hans Syz,Foto: Rieger-Orgelbau,Foto: Martin Döring,Foto: Urs Wyss

Auf dem Lettner oder ebenerdig steht die Orgel in der Kirche. Im Konzertsaal thront sie über dem Orchesterpodium. Sie wird neuerdings vom fahrbaren Spieltisch aus mit elektrischer Traktur oder vom angebauten Spieltisch mit mechanischer Traktur gespielt, solistisch oder als Begleitinstrument für Chöre und Orchester. Die Konzertsaalorgel ist eine eigene Gattung. Ihre Disposition mit 70 und mehr Registern, auf drei bis vier Manuale und Pedal verteilt, ist multifunktional ausgelegt mit tragenden Grundstimmen, krönenden Mixturen, starken Zungenregistern. Die Spieltraktur ist digitalisiert mit einem modularen SPS-Bussystem, das per Touchscreen Display schier unbegrenzte Voreinstellungen ganzer Konzertprogramme ermöglicht.

Eine Saalakustik mit Nachhallzeiten von um die zwei Sekunden und damit einem wesentlich kürzeren Nachklang als etwa eine gotische Kathedrale fordert ein präsentes Klangbild. Die Konzertsaalorgel muss eine Hundertschaft an instrumentalen und vokalen Stimmen übertönen können. Von der Orgelbank auf dem Podium gesteuert, entfacht das Instrument Klangzaubereien vom Säuseln bis zum Sturm in Schalldruckgrössen von wenigen bis über hundert Dezibel.

Konzertsaalorgeln sind wieder in Mode gekommen, nachdem sie fast nur noch als zentral positionierte Prospekt-Attrappen die traditionellen Säle geschmückt hatten. Eigentliche Konzertsaalorgeln sind auch die Instrumente an den Konservatorien und Musikhochschulen. Oft sind Saalorgeln schlecht gewartet, selten gestimmt, ihre Trakturen ausgeleiert. So bekommt man die Orgeln im Amsterdamer Concertgebouw, dem Prager Smetana-Saal oder im Jugendstil-Palau de la Musica von Barcelona nur selten zu hören. Sie scheinen sich an ihr Dornröschendasein gewöhnt zu haben.
 

Von Neubrandenburg bis Kopenhagen

Erst bei Neu- oder Umbauten der Kulturhäuser besinnt man sich wieder auf die Funktion einer Konzertorgel. 2004 baute die Firma Kuhn Männedorf für die Philharmonie Essen eine Orgel mit 62 Registern und 4502 Pfeifen auf drei Manualen und Pedal. Horizontal aus dem Prospekt ragen die 61 Pfeifen des 8-Fuss-Hauptwerk-Registers «Tuba en chamade» heraus. Die Traktur des Spieltisches auf der kleinen Empore ist mechanisch, diejenige des fahrbaren Spieltischs auf dem Podium elektrisch.

2009 baute die Firma Eule aus dem ostdeutschen Bautzen die Orgel in der Philharmonie Mercatorhalle Duisburg im Stil einer englischen Townhall-Orgel. Im Vereinigten Königreich des 19. Jahrhunderts wurde die Tradition populärer Saal-Orgelkonzerte gepflegt. So gab William Thomas Best, der 1871 die Orgel im Crystal Palace eingeweiht hatte, in der St. George’s Hall zu Liverpool virtuose Orgelpiecen zum Besten. Noch heute wird die Orgel der Londoner Royal Albert Hall bei den spektakulären Proms Concerts gefeiert. Als Vorbild der Duisburger Konzertorgel dienten die Orgeln der Kinnaird Hall im schottischen Dundee (Harrison&Harrison 1923) und der Usher Hall zu Edinburgh (Norman&Beard 1913). Klanglich aufgefächert und breitbandig voluminös klingt die Mercatorhallenorgel mit ihren 72 auf vier Manuale und Pedal verteilten Stops.

2010 baute die Vorarlberger Firma Rieger im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins eine Orgel mit 6138 Pfeifen und 81 Registern im historischen Prospekt der ersten Orgel, 1872 gestaltet vom Weissenfelser Friedrich Ladegast. Und im gleichen Jahr baute Eule Bautzen im Saal des Mozarteums Salzburg eine dreimanualige Orgel mit 51 Registern und mechanischer Traktur.
 

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Die Rieger-Orgel in der von Jean Nouvel erbauten Philharmonie de Paris

91 Register, auf vier Manuale und Pedal verteilt, hat die 2009 von Orgelbouw Van den Heuvel (Dordrecht) französisch disponierte Orgel im 2000 Plätze fassenden Koncerthuset Kopenhagen. Die drei Werke Positif, Récit und Solo expressif sind in Schwellkästen eingebaut, um ihre Klänge abgestuft zu mischen. Im Positif als eine Art spanische Trompete herausragend ist das Cor Harmonique, während Tuba Mirabilis und Tuba Magna nach englischem Vorbild intoniert sind.

Gleich zwei neue Konzertsaalorgeln entstanden in Paris: die 2014 von Gerard Grenzing mit Sitz in El Papiol bei Barcelona erbaute Orgel im Auditorium Radio France mit 86 Registern und 5320 Pfeifen sowie in der 2500 Plätze fassenden Philharmonie die 2015 von der Vorarlberger Firma Rieger erbaute, von Michel Garnier intonierte Orgel mit 6055 Pfeifen und 91 auf 4 Manuale und Pedal verteilten Registern.

Die Orgel in Hamburgs Elbphilharmonie hat 2017 die Bonner Orgelbauwerkstatt Johannes Klais errichtet. Die Pfeifenreihen des offenen, quadratischen Prospekts (15 x 15 Meter) sind über drei Etagen angeordnet. Zum Anfassen sind die Prospektpfeifen speziell beschichtet. Die 4765 Pfeifen und die 69 Register sind vier Manualen (Chorwerk, Hauptwerk, Schwellwerk, Solowerk) und Pedal zugeordnet. Aus der Höhe des Akustik-Reflektors strahlt das Fernwerk mit vier kräftigen Zungenregistern über die Weingärten des Rundherum-Konzertsaals. Die Klais-Orgel kann am angebauten Spieltisch in der Höhe mit mechanischer Traktur oder vom fahrbaren Spieltisch auf dem Podium mit elektrischer Traktur gespielt werden.

Dresden hat seinen Kulturpalast aus DDR-Zeiten mit einem neuen, 1800 Plätze fassenden Konzertsaal und einer 2017 von Hermann Eule Bautzen ebenfalls nach dem Prinzip der englischen Town Halls konzipierten Orgel ausgestattet. Die 4109 Pfeifen der 67 Register sind auf vier Manuale und Pedal verteilt und mit elektrischer Traktur am mobilen Spieltisch zugeordnet.
 

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Die Orgel von Schuke, Berlin und Klais, Bonn in der Konzertkirche Neubrandenburg

Zur 800-plätzigen Konzertkirche ist die backsteinerne Marienkirche in Neubrandenburg umgebaut worden. Hinter einem bis 12 Meter hochragenden Holzprospekt haben die Firmen Karl Schuke, Berlin, und Johannes Klais, Bonn, gemeinsam die im Juli 2017 eingeweihte Orgel gebaut. Ihre 2852 Pfeifen sind auf 70 Register, vier Manuale und Pedal verteilt und an zwei Spieltischen spielbar.

Von Genf bis Zürich

Nach dem Brand der 1894 erbauten Victoria Hall Genf im September 1984 musste auch die Orgel neu gebaut werden. Die holländische Firma Van den Heuvel baute ein Instrument mit 71 Registern auf vier Manualen und Pedal im Stile eines Aristide Cavaillé-Coll. Die 1992 über der Konzertbühne thronende Orgel hat eine mechanische Traktur, die mit einer pneumatischen Spielhilfe (Barker-Hebel) ausgestattet ist.

In der vom Architekten Jean Nouvel und dem Akustiker Russell Johnson entworfenen Salle blanche des KKL Luzern hat die Firma Goll, Luzern, im Sommer 2000 eine Orgel mit 66 Registern auf vier Manualen und Pedal eingebaut. Seit Herbst 2017 kann sie auch am Spieltisch auf dem Podium gespielt werden.

Open Air im Livestream

Der Verein Summair bringt ein Open Air nach Hause, auf die Wiese, an den Strand oder wohin auch immer.

Foto: Fausto Garcia / unsplash.com (Link siehe unten),SMPV

Das Open Air findet in Hochdorf (LU) statt am Donnerstag, 18. Juni, 18 bis 23 Uhr.

Line Up:
Josua Romano, The B-Shakers, Veronica Fusaro, ZiBBZ, Marc Amacher & Band

Moderation:
Linda Fäh

Gestreamt wird von der grossen Bühne in Hochdorf. Dort können maximal 224 Personen das Konzert live miterleben. Tickets sind ausschliesslich über den Vorverkauf erhältlich.

Der Livestream ist hier unten oder über die Website des Veranstalters kostenlos zu verfolgen, Spenden sind willkommen.

 

Organisator: Verein Summair


Online-Enzyklopädie der Musicals

Das Zentrum für Populäre Kultur und Musik (ZPKM) der Universität Freiburg hat eine Online-Enzyklopädie veröffentlicht. Sie beschreibt alle Werke des populären Musiktheaters, die im deutschsprachigen Raum zwischen 1945 und der Gegenwart zum ersten Mal auf die Bühne gebracht wurden.

(Bild: Screenshot Musicalllexikon),SMPV

Das Musical ist seit den 1980er Jahren die erfolgreichste Gattung des populären Musiktheaters – was die Zuschauerzahlen ebenso wie den Umsatz und die öffentliche Resonanz betrifft. Die Gattung ist aber nicht nur als Teil der internationalen Unterhaltungsbranche von Bedeutung, sondern hat sich auch künstlerisch zu einer Form des Musiktheaters entwickelt, die neben der traditionellen Oper oder der Operette ästhetisch bestehen kann und zudem aktuelle gesellschaftliche Konflikte verhandelt.

Das neue Online-Angebot richtet sich an alle Interessierten: von Fans und Theaterbesucherinnen und -besuchern über Journalistinnen und Journalisten bis hin zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Fächer.

Das Online-Angebot beruht auf den Beständen des Deutschen Musicalarchivs, das am ZPKM angesiedelt ist. Alle Interessierten können das Lexikon kostenlos und ohne Anmeldung nutzen. Das Archiv wurde im Jahr 2010 gegründet und steht seit 2013 unter staatlichem Denkmalschutz.

Mehr Infos: www.musicallexikon.eu

Musik hilft, Emotionen besser zu erkennen

Ein Team der University of Bath um die Psychologin Karin Petrini hat Hinweise gesammelt, dass Musik hilft, akustisch wahrgenommene Emotionen besser zu erkennen. Die Beobachtenden erleben die wahrgenommenen Emotionen dabei nicht selber.

Foto: Johnny Cohen / Unsplash (s.unten),SMPV

Musikkompetenz kann laut der Studie die Erkennung von Emotionen von Sprechenden verbessern. Ob sie die Erkennung von Emotionen durch andere Kommunikationsformen wie das Sehen verbessert, ist jedoch unklar. Das Bather Psychologenteam präsentierte Musikern und Nichtmusikern visuelle, auditive und audiovisuelle Clips von Kommunikationen zweier Personen. Die Teilnehmer beurteilten so schnell wie möglich, ob die zum Ausdruck gebrachte Emotion Glück oder Wut war, und gaben anschliessend an, ob sie auch die Emotion fühlten, die sie wahrgenommen hatten.

Musiker erwiesen sich dabei genauer als Nichtmusiker darin, Emotionen nur aufgrund akustischer Information zu erkennen. Obwohl das Musiktraining die Erkennung von Emotionen durch Klang verbessert, beinflusst es die selber gefühlten Emotionen allerdings nicht. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die emotionale Verarbeitung in Musik und Sprache überlappende, aber auch unterschiedliche Ressourcen verwenden kann oder dass einige Aspekte der emotionalen Verarbeitung weniger auf Musiktraining reagieren als andere.   

Originalartikel:
https://online.ucpress.edu/mp/article/37/4/323/106221/Musicianship-Enhances-Perception-But-Not-Feeling

Link zum Bild: Johnny Cohen / Unsplash

Streichquartett Nr. 14

Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf das Streichquartett Nr. 14 in cis-Moll.

Ausschnitt aus dem Beethoven-Porträt von Joseph Karl Stieler, ca. 1820

Ob das Quartett auch keine Bearbeitung sei, wollte 1826 der Schott-Verlag vor Abschluss des Vertrages über die Drucklegung wissen. Beethoven, darüber ein wenig verärgert, notierte auf die Stichvorlage: «zusammengestohlen aus verschiedenem diesem u. jenem.» Aus Sorge, man könnte ihn am Ende beim Wort nehmen, folgte nur wenig später in einem Brief aufklärend: «sie schrieben, daß es ja ein original quartett seyn sollte, es war mir empfindlich, aus Scherz schrieb ich daher bey der Aufschrift, daß es zusammen getragen. Es ist unterdeßen Funkel nagelneu.»

Abgesehen von dem Sprachwitz und der hintersinnigen Wortwahl dieser Bemerkung verweist sie auf ein Werk, das gleich in mehrerlei Hinsicht neu ist: Mit insgesamt sieben Sätzen (Beethoven sprach indes von «Stücken»), von denen sich vier zu zwei Paaren zusammenziehen lassen, stösst die Komposition schon rein äusserlich in neue Dimensionen vor. Doch auch die einzelnen Satzcharaktere weisen weit über den zeitgenössischen Horizont hinaus und bis in das 20. Jahrhundert hinein: das schwermütige Fugato des ersten Satzes, der auf feine Art in sich kreisende zweite, der rezitativische dritte, der zu den zentralen Variationen überleitet, das vorwitzige Presto sowie der kurze, elegische sechste Satz, der dem kantig-subjektiven Finale vorangeht. Auch wenn Beethoven keine öffentliche Darbietung des Werkes mehr erlebte, verlangte er doch eine Aufführung nahezu ohne Pausen. So fragte Karl Holz, der Cellist des Schuppanzigh-Quartetts, bereits Ende August 1826 in einem Konversationsheft: «Muß es ohne aufzuhören durchgespielt werden? – Aber dann können wir nichts wiederholen! – Wann sollen wir Stimmen?Wir werden uns verlässliche Saiten bestellen.» Die entsprechenden Antworten kann man sich mühelos vorstellen.

Vertraut man den später von dritter Hand aufgezeichneten Erinnerungen von Holz, so war es auch dieses Streichquartett, das zur letzten Musik wurde, die Franz Schubert hörte. Ein paar Tage vor dessen Tod soll es zu einer privaten Aufführung gekommen sein; möglicherweise übernahm Schubert gar selbst den Viola-Part. Ludwig Nohl berichtet darüber: «Die Herren Holz, Karl Groß, Baron König spielten es ihm zu liebe, es war nur noch Doleschalek, Clavierlehrer, zugegen. Schubert kam in solche Entzückung, Begeisterung und ward so angegriffen, daß alle für ihn fürchteten. Ein kleines Uebelbefinden, das vorhergegangen und noch nicht gründlich gehoben war, steigerte sich riesig, ging in Typhus über, und Schubert war nach fünf Tagen todt.» (Beethoven, Liszt, Wagner. Ein Bild der Kunstbewegung unseres Jahrhunderts, Wien 1874, S. 111 f.)

 


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Afroamerikanischer Cellist in den USA ermordet

Mouhamed Cisse, ein afroamerikanischer Cellist, ist laut einer Meldung von France Musique in Philadelphia auf dem Rückweg von einer Black-Lives-Matter-Demo erschossen worden.

Mouhamed Cisse (Bild: FB Friends of Mouhamed Cisse 2020)

Cisse ist laut der France-Musique-Meldung auf einer Strasse in Philadelphia in der Nähe seines Hauses erschossen worden. Er sei von einem 17-jährigen Jungen mit einer Handverletzung begleitet worden. Ob sein Tod mit der Demonstration zusammenhängt, ist offenbar noch nicht geklärt. In der Zeit von Cisses Ermordung habe es in Philadelphia  16 Opfer von Waffengewalt gegeben.

Cisse war Schüler eines Instrumentalprogramms der Philadelphia District School und Teil eines Musik- und Sozialprogramms namens Musicopia String Orchestra. Sein Tod hat in der Stadt grosse Bestürzung ausgelöst. Eine Spendenaktion wurde organisiert, um seiner Familie zu helfen.

 

 

Nicholas Carter wird Berner Operndirektor

Der australische Dirigent Nicholas Carter wird laut Konzert Theater Bern ab Herbst 2021 Operndirektor und Chefdirigent der Oper in Bern.

Nicholas Carter. Foto: © Annette Kroll

Nicholas Carter gründete 2010 in Sydneyn ein Projektorchester, das sich auf Musik, Instrumente und historische Aufführungspraxis des frühen 19. Jahrhunderts spezialisierte. Er war Chefdirigent des südaustralischen Adelaide Symphony Orchestra und von 2014 bis 2016 Kapellmeister und musikalischer Assistent von Donald Runnicles an der Deutschen Oper Berlin.

Auf Einladung von Donald Runnicles wirkte er von 2010 bis 2013 als fester Gastdirigent beim Grand Teton Music Festival in Wyoming. Ab 2018 leitet er das Staatstheater Klagenfurt und das Kärntner Sinfonieorchester.

 

Variationen über «Ich bin der Schneider Kakadu»

Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf die Variationen über «Ich bin der Schneider Kakadu» von Wenzel Müller für Klavier, Violine und Violoncello.

Ausschnitt aus dem Beethoven-Porträt von Joseph Karl Stieler, ca. 1820

Sie sind noch immer ein Geheimtipp unter den Werken Beethovens und alles andere als gefällig: die Variationen über das Lied «Ich bin der Schneider Kakadu». Bis heute ist unklar, wann das Werk komponiert wurde – mit Sicherheit aber wohl geraume Zeit, womöglich Jahre, bevor Beethoven es erstmals am 19. Juli 1816 in einem Brief an den Verleger Gottfried Härtel erwähnt. Trotz der zeitlichen Distanz sah der Musikkritiker Paul Bekker in ihm gar ein «verkleinertes Gegenstück» zu den 1823 abgeschlossenen und ins Kolossale getriebenen Diabelli-Variationen op. 120.

Bekkers Kommentar bezieht sich dabei sowohl auf die Variationsfolge selbst als auch auf die umfangreiche langsame Einleitung und den von Beethoven auch so bezeichneten «Anhang» an die letzte, zehnte Variation. Während dort mit einem Fugato das Thema allmählich aufgelöst wird und es nur noch einmal als Reminiszenz erscheint, entspringt die Einleitung der geradezu paradoxen Idee, ein eigentlich schon vorhandenes, noch dazu sehr populäres Thema aus einzelnen Motiven zu entwickeln: Beethoven erschafft das den folgenden Variationen zugrunde liegende und Anfang des 19. Jahrhunderts in Wien gängige Lied Ich bin der Scheider Wetz und Wetz quasi neu. (Der Text wurde schon von den Zeitgenossen zu «Schneider Kakadu» verändert.) Die Melodie findet sich ursprünglich in dem 1794 uraufgeführten Singspiel Die Schwestern von Prag von Wenzel Müller (1767–1835). Aus der Feder dieses einstmals sehr beliebten Wiener Komponisten stammt auch das Singspiel Kaspar, der Fagottist, oder: Die Zauberzither (1791), dessen Libretto wie das von Mozarts Zauberflöte auf Wielands exotische Märchensammlung Dschinnistan zurückgeht.

Dass es sich bei den sogenannten Kakadu-Variationen nicht primär um Musik zur gefälligen Unterhaltung handelt, wurde bereits von Beethovens Zeitgenossen beobachtet. So ist im Allgemeinen musikalischen Anzeiger von 1830 zu lesen: «Das alte Lied des Schneider Crispinus, alias: Wetz, Wetz, Wetz, ist auf eine Art und Weise, mit solchem Geiste und kühner Phantasie variirt, wie ein Meister nur immer variiren kann. Leicht ist die Geschichte freylich nicht; soll’s aber auch nicht seyn, denn zum eitlen Getändel ist’s wahrlich keineswegs bestimmt.»
 


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Eine Milliarde Euro für Neustart Kultur

Für eine Stützung der Kultur wird in Deutschland aus dem Kulturetat für dieses und das nächste Jahr insgesamt rund eine Milliarde Euro mehr für den Kulturbereich zur Verfügung gestellt.

Foto: Sven Przepiorka / Unsplash (Link s. unten)

Das Programm gliedert sich im Wesentlichen in vier Teile: pandemiebedingte Investitionen in Kultureinrichtungen, Erhaltung und Stärkung der Kulturinfrastruktur und Nothilfen, Förderung alternativer, auch digitaler Angebote sowie pandemiebedingte Mehrbedarfe regelmässig durch den Bund geförderter Kultureinrichtungen und -projekte.

Zusammen mit den anderen Hilfspaketen der Bundesregierung ergibt sich eine Unterstützung für Kreative und den Kulturbereich in Höhe mehrerer Milliarden Euro. So wurde zur Absicherung individueller Lebensumstände der Zugang zur Grundsicherung erweitert. Das 50-Milliarden-Programm des Wirtschaftsministers für Soloselbständige habe tausenden Betroffenen geholfen, die Mieten für ihr Kino, ihren Musikclub, ihre Buchhandlung, ihr Atelier oder ihre Galerie zahlen zu können. Auch eine Gutscheinlösung für Kulturveranstalter bilde eine Brücke.

Zusammen mit den zahlreichen weiteren bereits aus dem Kultur-Haushalt in die Wege geleiteten Massnahmen wird damit mehr als eine Milliarde Euro für die Milderung der Pandemiefolgen für die Kultur eingesetzt. So wurden unter anderem inzwischen 20 Millionen Euro für ein Umbauprogramm, 15 Millionen Euro für ein Zukunftsprogramm Kino, 15 Millionen Euro für Investitionen in nationale Kultureinrichtungen in Deutschland und 5,4 Millionen Euro für die deutsche Orchesterlandschaft zur Verfügung gestellt.

Mehr Infos:
https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/aktuelles/eine-milliarde-euro-fuer-neustart-kultur-gruetters-hilfspakete-der-regierung-stellen-die-weichen-auf-zukunft–1757804

 

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