Zum Rücktritt von Marianne Doran als Präsidentin von SONART – Musikschaffende Schweiz

Inklusion im Musikschulalltag

«Fionas Lieblingslied ist ‹Sternschnuppe› und sie mag ihre Klavierlehrerin Sophie mega!» – So gelingt der Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit Handicap an Musikschulen.

Fiona-Olivia Plüss ist 17 Jahre alt. Seit mehr als fünf Jahren besucht sie an der Musikschule Konservatorium Zürich (MKZ) den Klavierunterricht, davon drei Jahre bei der Musikpädagogin Sophie Aeberli. Dass der Zugang zum Musikunterricht für sie trotz Downsyndrom so unkompliziert war, hat sicher auch mit dem pragmatischen Ansatz zu tun, den man an der MKZ lebt. Ein spezifisches Förder- oder Integrationsprogramm für Kinder mit Behinderung gibt es nicht. Der Unterricht ist «inklusiv» und – wie Sophie Aeberli es formuliert: «Ich ging angstfrei und mit ‹Gwunder› dran.»

Im Gespräch mit Fiona, ihren Eltern und Sophie Aeberli wird deutlich, wie gewinnbringend ein solcher Unterricht für alle sein kann. Dennoch bewegt sich die Zahl von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung, welche an den Musikschulen unterrichtet werden, noch immer im tiefen einstelligen Prozentbereich.

«Das will ich auch!»

Bei Fiona verlief der Einstieg ins Klavierspiel über die Melodica. Fiona lernte Notenlesen und mit einem Tasteninstrument umzugehen. Als die ältere Schwester Klavierunterricht nehmen wollte, meinte Fiona: «Das will ich auch!» Sowieso war Fiona immer überall dabei. Die Eltern engagierten sich stark für den inklusiven Weg. So besuchte Fiona denselben Regelkindergarten und danach die Primarschule wie ihre Schwester. Heute besucht sie mit den Kindern aus dem Quartier die zweite Sekundarschulklasse im Zürcher Schulhaus Letzi. «Das war der beste Entscheid», meint Fionas Vater.

Der Zugang zur städtischen Musikschule erfolgte problemlos, obwohl weder auf der Webseite noch in anderen Publikationen auf das Angebot zum inklusiven Musik-, Tanz- und Theaterunterricht hingewiesen wird. Eine Umfrage unter den Lehrpersonen an der MKZ hat kürzlich ergeben, dass deutlich mehr Schülerinnen und Schüler mit Behinderung unterrichtet werden, als bisher bekannt war.

Mit Begeisterung ist Fiona im Unterricht bei Sophie Aeberli dabei. Sie strahlt, wenn sie von ihrer Klavierlehrerin spricht. Nebst dem Klavierunterricht besucht sie mit einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern der MKZ den Theaterunterricht beim Theaterpädagogen Arniko Dross. Sie übt regelmässig, eigenständig und ist stolz darauf, etwas «für sich» zu haben. Grossen Spass hat sie auch am Vorspiel. Lampenfieber kennt Fiona eigentlich nicht, auf der Bühne ist sie in ihrem Element. Die Mutter bemerkt: «Die ältere Schwester wäre beim Vorspiel am liebsten davongelaufen, aber Fiona genoss den Auftritt.»

Ob die musische Ausbildung Einfluss auf Fionas Entwicklung habe, fragen wir die Mutter. Sie meint: «Ich denke schon. Weil sie aktuell auch in der Schule gut gefördert wird, ist es aber schwierig abzuschätzen, was welche Wirkung hat. Auch André Frank Zimpel, Professor mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung und Behindertenpädagogik der Universität Hamburg, ist der Ansicht, dass Klavierspiel etwas vom Besten ist, um die Koordination zu fördern. Das bewirkt im Gehirn etwas, wie auch das Singen und Tanzen.»

«Wir begegnen uns auf Augenhöhe»

Sophie Aeberli sieht in Fionas grossen Freude an der Musik den Schlüssel zum Erfolg: «Ich lasse sie oft spielen. Damit sie nicht das Gefühl hat, sie müsse jetzt dies oder jenes lernen. Der Punkt ist, wir verstehen uns menschlich einfach gut und begegnen uns auf Augenhöhe.» Für sie gebe es keine Trennung zwischen besonderer Förderung oder Didaktik und normalem Unterricht. Die Praxis liege wahrscheinlich in der Mitte.

Ob sie den Klavierunterricht speziell an Fiona angepasst habe? «Noten lesen wir weniger, es braucht zu viel Zeit. Von der Motorik her ist Fiona eher angespannt, aber kraftvoll in den Fingern. Geläufigkeit oder Geschwindigkeit sind daher nicht ihre Sache, deshalb fokussiere ich lieber auf andere Themen wie z. B. den Klang», verrät die Musikpädagogin. Zudem ist es wichtig, dass Fiona nicht in einen Stressmodus gerät. Sie habe begonnen, mit Fiona viel auswendig zu spielen, das funktioniere gut. Manchmal zeichnet sie das Gespielte in einer Art grafischen Notation auf. Auch das Zusammenspiel mit einer Freundin (ebenfalls mit Downsyndrom) fördert Aeberli. «Wir setzen uns bewusst kleinere Ziele, aber die erreichen wir.»

Ausbildung und Arbeitsumfeld

Inklusion war während ihrer Ausbildung zur Klavierpädagogin in Luzern kein Thema oder wurde höchstens am Rande erwähnt. Aeberli ging Fionas Unterricht daher auch eher pragmatisch-intuitiv an. Sie habe nicht viel recherchiert, sondern Verschiedenes ausprobiert. Denn eigentlich seien im Einzelunterricht jede Schülerin und jeder Schüler etwas Spezielles, und sie gehe immer unterschiedlich auf Lernarten und -tempi ein. Nun hätte sie aber das Bedürfnis nach spezifischer Weiterbildung oder einem Austausch unter Lehrpersonen. Ein Thema, das sie beschäftigt, ist die Leistungsbeurteilung an Stufentests. Aeberli steht rein leistungsorientierten Bewertungen kritisch gegenüber, weil dabei die Unterschiede der Schülerinnen und Schüler als Schwäche und nicht als Gewinn angesehen werden. Wenn Konzerte und Stufentests dagegen als spielerische, motivierende Momente des gemeinsamen Musizierens und des Austauschs gestaltet werden, können wie an der MKZ auch alle teilnehmen.

Die MKZ ist mit rund 23 000 Fachbelegungen die grösste Musikschule der Schweiz und eine der grössten Europas. Ein Konzept zur Inklusion von Schülern und Schülerinnen mit Behinderung gibt es für die rund 600 diplomierten Musik-, Tanz- und Theaterlehrpersonen (noch) nicht. Punktuell finden Weiterbildungs- oder Austauschmöglichkeiten statt. Die Offenheit seitens Direktion und Lehrerschaft ist aber gross.

Den Lehrpersonen, die neu an eine solche Aufgabe herangehen, rät Sophie Aeberli, locker zu bleiben, den Austausch mit erfahrenen Kollegen und Kolleginnen zu suchen sowie einen konstruktiven Kontakt zu den Eltern aufzubauen.

Eine Vorreiterrolle hat die Musikschule Konservatorium Bern inne. Auf ihrer Webseite weist sie explizit auf ihren Musikunterricht für Menschen mit Behinderung hin. Die Lektionen werden individuell angepasst. Es gibt auch Bandunterricht für Menschen mit Handicap. Ein separates Konzept geht auf die verschiedenen Methoden ein. Unter anderem wird der Unterricht bei Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen von der Pädagogischen Hochschule Bern gecoacht und begleitet. Die Musikschule trägt das Label «Kultur inklusiv», eine Auszeichnung für kulturelle Institutionen, die sich speziell für das Thema Inklusion einsetzen.

Weiterführende Informationen

Spektrum Inklusion – wir sind dabei! Wege zur Entwicklung inklusiver Musikschulen, VdM, Verband deutscher Musikschulen (ein sehr umfassender Ratgeber mit konkreten Beispielen)

Musizieren mit Behinderung an der Musikschule Konservatorium Bern (Konzept für inklusiven Zugang und Unterricht)

Weil Behinderung kein Hindernis ist, Verband Musikschulen Thurgau in Zusammenarbeit mit Pro Infirmis und Insieme Thurgau

Autorin und Autor

Eva Meroni, Geschäftsführerin der Stiftung Profil Arbeit & Handicap, und
Patrick Vogel, Mitglied der Geschäftsleitung der Musikschule Konservatorium Zürich MKZ, absolvieren den Executive MBA der Hochschule Luzern – Wirtschaft.

Saal und Stuhl

Sitzgelegenheiten und Räumlichkeiten gehören zum Musikgenuss – ein unerschöpfliches Thema. Wir konzentrieren uns auf klassische Säle und ihre Bestuhlung – mit einer Ausnahme freilich.

Titelbild: neidhart-grafik.ch
Saal und Stuhl

Sitzgelegenheiten und Räumlichkeiten gehören zum Musikgenuss – ein unerschöpfliches Thema. Wir konzentrieren uns auf klassische Säle und ihre Bestuhlung – mit einer Ausnahme freilich.

Alle blau markierten Artikel können durch Anklicken direkt auf der Website gelesen werden. Alle andern Inhalte finden sich ausschliesslich in der gedruckten Ausgabe oder im e-Paper.

Focus

Laisser la solution venir à soi
Dans le monde de lʼacoustique des salles, André Lappert est en quelque sorte un magicien — entretien

Neue Säle in schwierigen Zeiten
Traditionsreiche Konzertgebäude werden renoviert, neue gebaut

Quand le prestige rejoint le populaire
Les salles de concert ou de théâtre – et leurs sièges – ont évolué à l’image des seigneurs ou des communautés qui les faisaient construire

Zwischen Stuhl und Tanz
Das bewegte Publikum bei Rockkonzerten

Stühle, Säle, Städte
Ein Bilderrätsel

 

… und ausserdem

RESONANCE

Les orchestres et ensembles s’adaptent pour la rentrée

Coronatauglich und experimentierfreudig — Davos Festival

«Man darf nicht inVergessenheit geraten» — Festspiele in Zeiten der Pandemie

Carte blanche à Yvonne Meyer, Jennifer Jans et Laurence Desarzens

 

FINALE


Rätsel
— Torsten Möller sucht


Reihe 9

Seit Januar 2017 setzt sich Michael Kube für uns immer am 9. des Monats in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb.

Link zur Reihe 9


52 x Beethoven


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Vielseitig recherchiertes Know-how des Klarinettenspiels

Das Projekt «Clarinet Didactics» stellt Werkzeuge zur Grundtechnik für Studium, Lehre und Performance online zur Verfügung. Heinrich Mätzener, Klarinettist und Professor an der Hochschule Luzern, erläutert es im Gespräch mit Robert Stempfle.

Ana-Maria Tegzes/stock.adobe.com
Vielseitig recherchiertes Know-how des Klarinettenspiels

Das Projekt «Clarinet Didactics» stellt Werkzeuge zur Grundtechnik für Studium, Lehre und Performance online zur Verfügung. Heinrich Mätzener, Klarinettist und Professor an der Hochschule Luzern, erläutert es im Gespräch mit Robert Stempfle.

Heini, Du hast mir kürzlich von einem Projekt erzählt, das Dich im Rahmen deiner Professur stark beschäftigt. Worum geht es?
«Clarinet Didactics»vermittelt auf einer Wikipedia-Plattform didaktisches Wissen zur Grundtechnik des Klarinettenspiels. Die Quellen, die ich dazu nutze, sind Interviews mit namhaften Professoren aus der Schweiz, Deutschland, Österreich, Frankreich und aus den USA, historische und aktuelle Unterrichtswerke sowie ausgewählte Beiträge aus dem Internet. Das Wiki ist online allen Interessierten zugänglich und möchte Lösungsansätze für Unterricht, Studium und Performance vermitteln. Den Auftrag dazu gab das Kompetenzzentrum Forschung Musikpädagogik der HSLU -Musik.

Die Seite ist bereits online. Die bearbeiteten Themenfelder sind umfangreich und komplex. Hast Du in der Auswahl eigene Schwerpunkte setzen können oder gab es bestimmte Vorgaben?
Die Themen im Wiki folgen den Parametern der Grundtechnik wie Ansatz, Artikulation, Atmung etc. Beim Zusammenstellen orientierte ich mich an der gängigen Unterrichtsliteratur, habe aber auch die «Méthodes» und «Anweisungen» des 18. und 19. Jahrhunderts einbezogen. Der historische Aspekt hat im Laufe der Arbeit an Bedeutung gewonnen. Am faszinierendsten waren der Austausch und die spontane Bereitschaft der Interviewpartner, an diesem Projekt mitzuwirken.

Wer waren diese Interviewpartner?
Es sind renommierte Musikerinnen und Musiker, die meist an Hochschulen oder französischen Conservatoires unterrichten. Sie arbeiten mit Studenten, aber auch mit Anfängern und Schülern der Mittelstufe. Insgesamt konnte ich26 Interviews durchführen bei ungefähr gleicher Berücksichtigung des deutschen, französischen und amerikanischen Sprachraums.

Der Umgang mit verschiedenen, sich vielleicht gar widersprechenden Lehrmeinungen erfordert sicher viel Differenzierungsvermögen. Wie bist Du damit umgegangen?
Viele didaktische Ansätze stehen einander sehr nahe, werden aber unterschiedlich formuliert. Darin sehe ich den Gewinn dieses Projektes: Es will ein möglichst weit gefasstes didaktisches und methodisches Vokabular für den Unterricht zur Verfügung stellen. Bei den Themen Artikulation und Atmung gab es während den Interviews immer wieder Momente, die sich bestens als Ausgangspunkt für Diskussionen geeignet hätten. Ich habe mich aber bewusst immer zurückgehalten, denn es ging darum, die Lehrmeinung meiner Interviewpartner aufzuzeichnen und weitergeben zu können.

Was hat Dich als Studenten in die USA zu Robert Marcellus geführt und fielen Dir damals schon Unterschiede in den Lehrmeinungen zu Europa auf?
Ich brauchte nach dem Studium weiteres Coaching für Probespiele. Die legendäre Aufnahme von Robert Marcellus mit dem Cleveland Orchestra unter George Szell mit dem Mozart Klarinettenkonzert hat mich dann an die North-Western Uni nach Evanston geführt. Nach diesem ergänzenden Unterricht war ich ein paar Wochen später erfolgreich am Probespiel für die Stelle an der Oper in Zürich. Besonders fasziniert hat mich in Marcellus’ Unterricht – er war damals schon erblindet –, dass er mir präzise Anweisungen geben konnte, wie ich mit bestimmten Veränderungen in der Ansatzformung und Ausformung der Mundhöhle klangliche Verbesserungen erreichen konnte.

Kannst Du ein Beispiel für einen didaktischen Ansatz nennen, den Du erforscht hast?
Die Ansatzformung. Dazu möchte ich etwas weiter ausholen: Im letzten Jahr habe ich bei der Arbeit an «Clarinet Didactics» den Fokus auf die alte Französische Schule gerichtet. Ihr typisches Merkmal war der Doppellippenansatz: Die Oberlippe, nicht die Zähne berühren das Mundstück. Der Widmungsträger der Debussy-Rhapsodie, Prosper Mimart, spielte und unterrichtete diese Technik, auch Gaston Hamelin, sein Schüler, spielte die erste Aufnahme 1931 noch mit Doppellippenansatz ein. Er war einer der Lehrer aus Frankreich, die in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts diese Technik unterrichteten. Diese Linie wollte ich weiterverfolgen. So konnte ich ein Interview mit John Moses führen, dessen Lehrer, Joe Allard, Schüler von Hamelin gewesen war. Die meisten der weiteren Interviewpartner hatten Unterricht bei Daniel Bonade. Auch er studierte in Paris bei Prosper Mimart. Bonade kam um 1916 nach Philadelphia. Er wechselte seine Ansatztechnik im Laufe seiner Karriere zum «normalen» Ansatz. Viele der renommierten Klarinettisten in den grossen Orchestern der USA waren Schüler von Bonade, so dass er als einer der Begründer der Amerikanischen Schule gilt. Anlässlich einer Reise nach Paris um 1950 war er über den dortigen Stil sehr erstaunt, konnte nicht glauben, dass sich die Französische Schule in Paris klanglich derart anders entwickelt hatte. Es gab dort einen klaren Bruch, einen Wechsel zum einfachen Ansatz, wahrscheinlich in den Vierzigerjahren. Die Méthode von Eugène Gay (1932) lässt noch offen, welche der beiden Ansatzarten zu verwenden sei.
Der Doppellippenansatz verändert die Innenform der Mundhöhle, der weiche Gaumen hebt sich und die Zunge rollt sich etwas nach oben, der Mundboden spannt sich nach unten. So ergibt sich für die Tonbildung eine vorteilhafte Konstellation.

Gibt es Erkenntnisse, die Dich verblüfft haben?
Es ist erstaunlich, dass in den USA die Auseinandersetzung mit dem Doppellippenansatz heute noch gepflegt wird, weniger in der Konzertpraxis, aber oft als Mittel der Tonbildung. Die Basis der Ansatzformung kann dadurch immer wieder kontrolliert und gestärkt werden. Diese Konstellationen auf den normalen Ansatz zu übertragen, ist eine Methode, die in den USA noch praktiziert wird. Ich kannte das auch von meinem Lehrer Hans-Rudolf Stalder, er war Schüler von Louis Cahuzac, der seinerseits noch bei Cyrille Rose studierte (Rose gehörte zur Generation vor Prosper Mimart).

Haben sich bei Deiner Recherche Unterschiede zwischen dem französischen und deutschen Klarinettensystem gezeigt?
Dieser Frage ist Stephanie Angloher, besonders was den Klang betrifft, in ihrer umfangreichen Studie (2007) nachgegangen. Es gab einige bemerkenswerte Parallelen in französischen, deutschen und amerikanischen Interviews, was die Atemtechnik oder auch die Vokalisierung, gemeint ist die Ausformung des Mundinnenraums, betrifft. Erstaunt hat mich, dass sich die «neue» und die «alte» Französische Schule klanglich deutlich unterscheiden, was zwei Aufnahmen aufzeigen: Prosper Mimart ca. 1920, Schubert, Der Hirt auf dem Felsen, und Ulysses Delécluse 1952, Louis Cahuzac, Fantaisie sur un vieil air champêtre. Dieser Unterschied ist eindeutig grösser als derjenige, der heute zwischen dem deutschen oder französischen System wahrnehmbar ist.

Hast Du eine Erklärung dafür, warum sich das Vibrato auf der Klarinette in der sogenannt «ernsten Musik» kaum hat durchsetzen können? Auf allen sonstigen Holzblasinstrumenten wird es eingesetzt, sogar auf dem Saxofon, das auch nur mit einem einfachen Rohrblatt gespielt wird.
Das ist eine gute Frage! Steve Hartman, Solo-Klarinettist im New York City Ballet Orchestra, meinte ironisch, dass sofort Interpol eingeschaltet würde, sollte er mit Vibrato spielen. Wie von Richard Mühlfeld überliefert ist, nutzte er dieses Ausdrucksmittel, und wie die oben erwähnten Aufnahmen belegen, war es bis zirka 1955 vielerorts selbstverständlich, mit Vibrato zu spielen. Ab etwa 1970 ist das Vibrato ausser Mode geraten; wie es scheint, parallel zum sich ändernden Klangideal vom hellen zum dunkleren, heute fast international einheitlichen Klangbild. Das ist aber kein Forschungsergebnis, nur eine subjektive Beobachtung. Viele der Interviewpartner spielen mit mehr oder weniger dezentem Vibrato, z. B. Richard Stoltzman oder John Moses. Letzterer ist stilistisch sehr versiert.

Wie weit ist das Projekt nun gediehen?
Die Interviews sind alle transkribiert und auf dem Wiki greifbar, ebenso wie Zusammenfassungen ausgewählter «Méthodes», «Anweisungen» und Unterrichtswerke. In der grossen Kategorie «Grundtechnik» wird das gesammelte Wissen gebündelt und aufgezeigt, wo sich Lehrmeinungen entsprechen, ergänzen oder auch widersprechen. Das ist die gegenwärtige Aufgabe, auch das Einarbeiten der Links, die zu den Quellen führen. Gleichzeitig werden die Texte mit passenden Bild-, Ton- und Videodateien ergänzt.
Diese Arbeit sollte bis Ende September abgeschlossen sein, das gesamte Projekt bis Ende 2020. Ursprünglich waren nur zwei Jahre geplant, danach wurde mir die Möglichkeit gegeben, das Projekt zweimal zu verlängern. Dafür bin ich dem Forschungsleiter, Marc-Antoine Camp, sehr dankbar. Ich wollte die Chance nutzen, die verborgenen Vorgänge näher zu beleuchten, die sich beim Klarinettenspiel wie bei jedem Blasinstrument im Innern abspielen. Themen also, die in der Unterrichtsliteratur eher wenig ausgeführt werden. Da vieles in Notenschrift notiert ist, bleiben ganz unterschiedliche Möglichkeiten der Umsetzung offen. Die Feinarbeit findet immer im Kontaktunterricht statt, und die Interviews scheinen mir ein geeignetes Format zu sein, nicht gerade eine Lücke zu schliessen, aber doch die bestehende Unterrichtsliteratur zu ergänzen.

Wenn man auf Wikipedia einen Eintrag machen möchte, muss man gewisse Regeln einhalten. Wie kann das Qualitätsniveau beibehalten werden?
Die frei verfügbare Wikimedia-Software ist auf dem Hochschul-Server installiert. Dort lege ich die Inhalte von «Clarinet Didactics» ab. Die wichtigste Regel, der lückenlose Quellennachweis, ist akademische Vorschrift. Sie bietet dem Leser Gelegenheit, sich in die Materie weiter zu vertiefen: Viele der Quellen sind online greifbar.
In der Wikimedia-Software können interne und externe Links und verschiedene Medien eingearbeitet werden. Es gleicht dem Vielschichtigen des Instrumentalspiels, wo auch das Know-how und die Fertigkeiten zwischen verschiedenen physischen und intellektuellen Ebenen zu koordinieren sind. Im Gegensatz zu einem Printmedium sind die Beträge auch laufend erneuerbar, man kann sie ergänzen, korrigieren oder neu ordnen. Deshalb haben wir uns für diese Publikationsform entschieden.
Nach meiner Pensionierung plane ich, das Wiki weiterzupflegen. Zugangsrechte stehen allen Interessierten offen, müssen aus Sicherheitsgründen aber beantragt werden. Kontakte siehe Impressum.

In welchen Sprachen wird es das Nachschlagewerk «Clarinet Didactics» geben?
Die Interviews bleiben in den Originalsprachen Deutsch, Französisch und Englisch, die Zusammenfassungen in der Kategorie «Grundtechnik» werden vorerst auf Deutsch verfasst. Es ist geplant, diese auf Französisch und Englisch zu übersetzen.
 

Heinrich Mätzener ist Solo Es-Klarinettist in der Philharmonia Zürich, spielt historische Klarinetten in «La Scintilla» und hat eine Professur an der Hochschule Luzern inne.

 

Robert Stempfle ist studierter Klarinettist und gelernter Holzblasinstrumentenmacher – er führt eine Fachwerkstatt für Holzblasinstrumente.
 

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Bach im Netz

Die St. Galler Bachstiftung lässt Interessierte online an ihren Kantatenaufführungen teilhaben. Jüngst gibt es auch eine Einführung in die barocke Improvisation zu entdecken. Ein verwandtes Format bietet die Bachakademie Stuttgart.

Videostill aus «Was Sie schon immer wissen wollten über Improvisation», Xoán Castiñeira, Rudolf Lutz

«Kantatenaufführungen unmöglich – aber wir streamen trotzdem!» So begrüsst die St. Galler Bachstiftung die Besucher auf ihrer Webseite bachipedia.org. Ihren Zeitplan, bis 2027 alle Bachkantaten in Gesprächskonzerten aufzuführen und die Liveaufzeichnungen weltweit zugänglich zu machen, hat die Coronakrise vorübergehend durcheinandergebracht. Zur Überbrückung hat sie nun ihr Webportal zum Schaufenster aktueller Streamingaktivitäten gemacht. Ähnlich die Internationale Bachakademie Stuttgart: Hier werden die Konzerte jetzt unter dem Titel Barock@home durch hochinteressante monatliche Web-Podcasts zu Schlüsselwerken der Barockmusik ersetzt. Sowohl Stuttgart als auch Sankt Gallen präsentieren sich mit qualitativ hochwertigen und technisch wie dramaturgisch absolut professionell gemachten Inhalten. Beide nutzen geschickt die Bildungsmöglichkeiten der neuen Medien und wenden sich ausdrücklich auch an die junge Generation. Die historische Disziplin Barockmusik hat sich im Internet fest etabliert.

«Was Sie schon immer wissen wollten über Improvisation» heisst ein jüngst auf bachipedia.org veröffentlichter Stream mit einem Musikgespräch zwischen dem musikalisch beschlagenen Geschäftsführer Xoán Castiñeira und Rudolf Lutz, künstlerischer Leiter und Mastermind des ganzen Unternehmens. In Englisch, Deutsch und Spanisch geben die beiden in der leeren Kirche von Stein/AR eine ebenso lockere wie fundierte Einführung in die barocke Improvisationspraxis. Gebannt verfolgt man, wie Lutz in cis-Moll eine Fuge über das d-Moll-Thema der „Kunst der Fuge“ improvisiert oder auf Zuruf unterschiedliche Affekte musikalisch darstellt. Aus der Not geborene Kreativität – ferne Vergangenheit wird auf fesselnde Weise verlebendigt. Es ist nicht der einzige Beitrag in diesem Webportal, der staunen macht. Bachipedia.org ist allgemein zugänglich, und wer hier einsteigt, findet sich in einer wahren Fundgrube an barocker Musikkultur wieder.

https://www.bachipedia.org
https://www.bachipedia.org/live_stream/improvisation-20200619/
https://mediathek.bachakademie.de/

Sicher musizieren in Zeiten von Corona

Die Bauhaus-Universität Weimar hat in Kooperation mit der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach und der Staatskapelle Weimar Hygieneschutzmassnahmen entwickelt, die bei Proben und Auftritten Coronainfektionen verhindern sollen.

Filter beim Spielen von Blechblasinstrumenten (Bild: Carolin Klemm),SMPV

Um sicher zu musizieren, können laut Forschern der Bauhaus-Universität Weimar spezielle Filter für Blechblasinstrumente sowie ein spezielles Gesichtsvisier namens «BauhausUniVisor» eingesetzt werden. Die Filter bestehen aus herkömmlichem Zellstoff, welcher in eine wabenartige Form geschnitten und mit Hilfe von Klebeband vor dem Schallbecher des jeweiligen Blasinstrumentes oder vor dem Mundstück der Querflöte locker angebracht wird. Informationen und Schnittmuster stehen kostenfrei als Download zur Verfügung.

Die Wirksamkeit der prototypischen Filter sowie des »BauhausUniVisor« wurde zuvor in einem mehrstufigen Experiment an der Professur Bauphysik belegt. Bis zu maximal etwa 1,1 Meter weit reichte die Atemluft beim Musizieren in den Raum. Besonders ausgeprägt waren der Atemausstoss beim Spielen von Querflöte (über das Mundstück geblasene Luft), Klarinette (am Mundstück entweichende Nebenluft), Oboe und Fagott (Abatmen zwischen den Phrasen) sowie beim Singen.

Originalpublikation: https://idw-online.de/de/news753255

 

Ausserrhodener Ausfallentschädigungen

Bis zum 20. September können Kulturschaffende und Kulturunternehmen des Kantons Ausserrhoden beim Amt für Kultur Gesuche für Ausfallentschädigung einreichen.

Trogen, Sitz des Ausserrhodener Amtes für Kultur. Foto: Michaela Bergsteiger/stock.adobe.com

Kulturschaffende des Kantons Ausserrhoden können laut der Mitteilung des Kantons für entgangene Engagements und Aufträge ab dem 1. Juli 2020 Ausfallentschädigung beantragen. Dabei handelt es sich um Engagements und Aufträge, die bei einem normalen Kulturbetrieb zu erwarten gewesen wäre und in die Zeitperiode vom 1. Juli bis zum 31. Oktober fallen.

Die so entstandenen finanziellen Schäden werden anhand des Budgets und der Vergleichszahlen beziehungsweise Rechnungen der beiden Vorjahre plausibilisiert. Im Zusammenhang mit entgangenen Einnahmen aufgrund weniger Publikums sei zu deklarieren, welches Schutzkonzept in welcher Zeitperiode angewendet wurde. Die Ausfallentschädigungen können für Anlässe und Engagements sowie Aufträge bis 31. Oktober 2020 geltend gemacht werden.

Wichtig zu beachten ist, dass die Eingabefrist für sämtliche Anträge der 20. September 2020 ist. Verspätete Anträge könnten nicht mehr berücksichtigt werden, gibt der Kanton zu bedenken. Das Amt für Kultur empfiehlt, Gesuche nahe an der letztmöglichen Eingabefrist vom 20. September 2020 einzugeben, da es kaum möglich ist, den fortlaufend entstehenden Schaden infolge von weniger Publikum, Zusatzaufwänden oder entgangener Engagements und Aufträge im Voraus zu berechnen.

Mehr Infos: www.ar.ch/kulturfoerderung
 

Kampus Südpol wird belebt

Südlich von Luzern sind auf dem «Kampus Südpol» nun auch das Luzerner Sinfonieorchester und die Hochschule Luzern – Musik angesiedelt.

«Kampus Südpol» (Foto: Emanuel Ammon)

Mit dem Südpol, dem Luzerner Theater, der Musikschule der Stadt Luzern und neu dem Luzerner Sinfonieorchester und der Hochschule Luzern – Musik sind nun fünf Institutionen auf einem Areal beheimatet. Ab September 2020 werden auf rund 8000 Quadratmetern in letzterer über 500 Bachelor- und Master-Studierende, knapp 500 Weiterbildungsteilnehmende (MAS, DAS, CAS, Kurse) sowie rund 200 Mitarbeitende lernen, lehren und forschen sowie ihr Schaffen der Öffentlichkeit präsentieren.

Die offizielle Eröffnung des Neubaus findet vom 11. bis 13. September 2020 unter dem Titel «OuverTüren» statt. Besucherinnen und Besucher sind zu musikalischen Führungen durch das Haus eingeladen. Die Teilnehmendenzahl ist begrenzt und eine Anmeldung erforderlich.
Link zur Anmeldung

Yorckscher Marsch

Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf den Marsch für Militärmusik Nr. 1 F-Dur WoO 18 «Yorckscher».

Ausschnitt aus dem Beethoven-Porträt von Joseph Karl Stieler, ca. 1820

Gerne wird bei aller Musik aus Wien vergessen, dass Anfang des 19. Jahrhunderts in Europa Krieg herrschte. Nicht überall und nicht überall zur selben Zeit, dafür aber über Jahre. Unruhe stiftete Napoleon, der zunächst gegen Österreich kämpfte, dann gegen Preussen, gleichzeitig auf der iberischen Halbinsel, schliesslich gegen Russland und nochmals gegen die alliierten Truppen in Mitteldeutschland. Die Opferzahlen auf jeder Seite gingen in die Hunderttausende, insgesamt aber in die Millionen. Allein die Grande Armée schrumpfte binnen weniger Monate von ursprünglich 600 000 Soldaten auf einen schmalen Rest von 10 000 Mann. In die Musikgeschichte ging der Sieg der russischen Truppen erst Jahrzehnte später mit Tschaikowskys Ouverture solennelle 1812 ein, der Schlacht im spanischen Vitoria (1813) schuf Beethoven in Wellingtons Sieg op. 91 unmittelbar nach dem Geschehen ein lärmendes Denkmal. Hingegen sind die zahlreichen Kompositionen vieler Zeitgenossen zur entscheidenden Schlacht bei Leipzig (1813) heute längst vergessen.

Doch auch den Anforderungen an der Wiener «Heimatfront» konnte und wollte sich Beethoven nicht entziehen und unterstütze 1809/10 die Truppenmoral mit einigen Märschen. Der in F-Dur (WoO 18) wurde zunächst nur für kleine Harmoniemusik niedergeschrieben sowie dem Erzherzog Anton Viktor Joseph von Österreich und damit dem Hoch- und Deutschmeister-Regiment gewidmet. Dann entschied sich Beethoven allerdings neu und eignete im Manuskript die wenigen Takte der Böhmischen Landwehr zu (einem als letzte Reserve aufgestellten Infanterie-Regiment). Zwischenzeitlich kam der Marsch als «Carousselmusik» bei einer Reiterdressur im Schlossgarten von Laxenburg zum Einsatz, was Beethoven ironisch kommentierte: «Ich will sehen, ob dadurch die Reitenden einige geschikte Purzelbäume machen können.» Wirkliche Bekanntheit erlangte das Stück allerdings erst, als es 1817/18 in der Königlich Preußischen Armeemarschsammlung für «türkische Musik» erschien – und dort als Reverenz an eine von Ludwig Graf York von Wartenburg befehligte Einheit ohne Zutun des Komponisten als Marsch des Yorkschen Corps 1813 bezeichnet wurde.

Kompositorisch nobilitierte Beethoven freilich auch dieses Gelegenheitswerk. Motivische Keimzelle ist der auftaktige anapästische Rhythmus auf einem einzigen Ton. Es folgen Sequenzierungen, die den Tonraum im Vordersatz systematisch zunächst zur Sekunde erweitern, dann über die Terz zur Quarte, während der Nachsatz melodisch von der Quinte aus über die Sexte zur Dominante geführt wird. Im zweiten Teil folgt nach Verdichtung des Motivs gar dessen Auflösung – einige für den militärischen Gleichschritt höchst gefährliche Pausen eingeschlossen.

Dass Beethoven den Marsch übrigens 1822/23 nachträglich noch um ein Trio erweiterte, ist auch der zivilen Aufführungspraxis bis heute weitgehend verborgen geblieben.


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Corona-Gesetz verabschiedet

Der Bundesrat hat das Covid-19-Gesetz und die Botschaft zum Gesetz verabschiedet. Der Schweizer Musikrat freut sich darüber, dass die Unterstützungsmassnahmen im Kulturbereich im Gesetz festgehalten sind.

Foto: SMZ

Das Gesetz erteilt dem Bundesrat die Kompetenz, Kulturunternehmen, Kulturschaffende sowie Kulturvereine im Laienbereich weiterhin mit Finanzhilfen zu unterstützen. Es wird gegenwärtig in verschiedenen Kommissionen des National- sowie Ständerats vorbesprochen und kommt dann in der Herbstsession ins Parlament.

Der Musikrat stellt sich auf den Standpunkt, dass der Kultursektor die Annahme und eine zielgerichtete Umsetzung des Covid-19-Gesetzes braucht. Die im Gesetz vorgesehenen Mittel für die Kulturmassnahmen würden nur ausreichen, wenn die Kulturschaffenden und -unternehmen weiterhin auch von der Erwerbsausfall- und der Kurzarbeitsentschädigung mitgetragen werden.

Der Musikrat fordert überdies eine gute Versicherungslösung, damit «eine möglichst breite Wiederaufnahme des Veranstaltungsbetriebes begünstigt wird und neue Veranstaltungen mit kalkulierbarem Risiko geplant werden können». Wünschenswert sei überdies ein besserer und vor allem frühzeitiger Einbezug der Kulturverbände auf Verwaltungsebene.

 

Zusätzliche Mittel für die Baselbieter Kultur

Der Baselbieter Regierungsrat hat weitere Beschlüsse zur Umsetzung der COVID-Verordnung Kultur gefasst. Er hat dabei insbesondere zusätzliche Mittel für Ausfallentschädigungen bewilligt.

Kulturhaus in Liestal. Foto: I, Parpan05 – Nachweis siehe unten

Ab sofort können Kulturschaffende und Kulturunternehmen beim Kanton Gesuche um Ausfallentschädigung für Schäden in den Monaten September und Oktober 2020 stellen.

Der Regierungsrat hat zusätzliche Mittel für Ausfallentschädigungen im Kulturbereich von 1,396 Millionen Franken bewilligt, die vom Bund verdoppelt werden. Neu steht damit insgesamt ein Betrag von 10,894 Millionen Franken für Ausfallentschädigungen an Baselbieter Kulturschaffende und Kulturunternehmen zur Verfügung.

Ab sofort und bis zum 20. September 2020 können Kulturschaffende und Kulturunternehmen wieder Gesuche um Ausfallentschädigungen einreichen. Sie können dabei finanzielle Schäden geltend machen, welche mit der Absage oder der Verschiebung von Veranstaltungen und Projekten oder mit Betriebsschliessungen verbunden sind und durch staatliche Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus im Zeitraum vom 1. September bis zum 31. Oktober 2020 verursacht wurden.

Anspruchsberechtigt sind ausschliesslich Personen und Unternehmen, die zu mindestens 50 Prozent im Kulturbereich tätig sind. Dabei gilt die Definition gemäss COVID-Verordnung Kultur des Bundesrats. Deren Auslegung und Geltungsbereich werden vom Bund detailliert vorgegeben.

Gewinnorientierte Unternehmen werden vom Regierungsrat als Härtefälle behandelt, wenn sie vom Geltungsbereich der Verordnung erfasst sind und ein besonderes kulturpolitisches Interesse besteht. Der Regierungsrat hat für diese Fälle eine Obergrenze für Ausfallentschädigungen von 500’000 Franken pro gewinnorientiertem Unternehmen festgelegt. Er trägt damit der Bedeutung dieser Unternehmen für den Kulturbereich Rechnung. Gleichzeitig ist es ihm wichtig, die Verhältnismässigkeit im Rahmen der COVID-Massnahmen für die Wirtschaft zu wahren. Der Regierungsrat behandelte erste Gesuche um Ausfallentschädigungen von gewinnorientierten Unternehmen und hat Mittel für Härtefälle in der Höhe von insgesamt 38’355 Franken beschlossen.
 

St. Galler Werkbeiträge 2020

Kunstschaffende haben vom Kanton St. Gallen 14 Werkbeiträge und zwei dreimonatige Atelieraufenthalte in Rom erhalten. Darunter die Musiker Basil Kehl, Ramon Landolt und Raphael Loher.

Raphael Loher. Foto: Marcel Meier

Basil Kehl ist nebst dem Elektro-Mundart-Duo «Dachs» auch als Solokünstler «Wassily» unterwegs. Das Problem seiner Live-Sets ist aber, dass er meist hinter einer Wand von Synthesizern, elektronischen Tools und Reglern verschwindet. Nun möchte er künftig mehr «direkten Draht» zum Publikum haben. Um diese Live-Momente zu erschaffen, möchte er die elektronischen Geräte reduzieren und Instrumente wie Bass, Gitarre oder Perkussion einsetzen.

Ganz anders das Projekt des Flawiler Musiker Ramon Landolt: Wenn Eis zu Wasser schmilzt, entsteht eine Vielzahl aussergewöhnlicher Geräusche, Klänge und Töne. Es sind diese «Iced Sounds», die ihn interessieren und unter anderem das Tonmaterial für sein neuestes musikalisches Vorhaben liefern. Auf persönliche und emotionale Weise setzt sich der junge Musiker darin mit den Klimaveränderungen und ihren Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschen auseinander.

Und wieder anders der vom Jazz kommende Musiker Raphael Loher: Er arbeitet an Werken für Klavier solo. Dafür präpariert er die Saiten mit Magneten, Klebeband und Knetmasse, erschafft sich so einen abenteuerlichen Raum und experimentiert mit verfremdeten Klängen. Die Technik des Klavierpräparierens stammt vom Komponisten John Cage und bietet heute noch viele unerforschte Möglichkeiten.
 

Violinkonzert

Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf das Konzert für Violine und Orchester in D-Dur.

Ausschnitt aus dem Beethoven-Porträt von Joseph Karl Stieler, ca. 1820

Nicht nur Bartók, Berg und Brahms schrieben ihre Violinkonzerte für einen bestimmten Solisten; auch Ludwig van Beethoven hatte bei der Konzeption seines Werkes die Kunstfertigkeit eines ihm verbundenen Instrumentalisten vor Augen: Es handelt sich um Franz Clement (1780–1842), der ab 1802 als Direktor dem Orchester im Theater an der Wien vorstand und später von Carl Maria von Weber in gleicher Funktion nach Prag an das Ständetheater berufen wurde. Bereits 1794 hatte Beethoven den noch jugendlichen Virtuosen gehört und in dessen Stammbuch anerkennend notiert: «Lieber Clement! Wandle fort den Weg, den du bisher so schön, so herrlich betreten. Natur und Kunst wetteifern, dich zu einem der größten Künstler zu machen. Folge beyden, und du darfst nicht fürchten, das große – große Ziel zu erreichen, das dem Künstler hieniden möglich ist. Sey glücklich, lieber Junge, und komme bald wieder, dass ich dein liebes, herrliches Spiel wieder höre. Ganz dein Freund L. v. Beethoven.»

Die Idee zum Violinkonzert op. 61 – in der für das Instrument charakteristischen Tonart D-Dur – dürfte auf ein am 7. April 1805 veranstaltetes Benefizkonzert zurückgehen, bei dem nicht nur Beethovens Eroica erstmals vollständig in der Öffentlichkeit erklang, sondern auch Clement ein eigenes respektables Violinkonzert (ebenfalls in D-Dur) vorstellte. Die enge, freundschaftliche Verbindung von Komponist und Interpret spiegelt sich in Beethovens handschriftlicher, wortwitziger Widmung «Concerto par Clemenza pour Clement primo Violino e direttore al theatro a vienne» (Konzert aus Grossmut für Clement …). In der Druckausgabe widmete er das Werk jedoch dem befreundeten Librettisten Stephan von Breuning; die Klavierfassung ist dessen im Alter von nur 18 Jahren verstorbener Frau Julie, der Tochter von Beethovens Arzt, zugeeignet.

Auch musikalisch bestehen zwischen der handschriftlichen Fassung und der späteren Verlagsausgabe teilweise erhebliche Unterschiede, die vor allem den Solopart betreffen: Binnen weniger Wochen war das Stück in höchster Eile niedergeschrieben und von Clement gewissermassen prima vista gespielt worden. Erst danach nahm sich Beethoven nochmals die Solostimme für eine detaillierte Durcharbeitung vor. Unberührt blieb allerdings der formale Aufbau, der insbesondere im Kopfsatz mit seiner Fülle an thematischen Gestalten einen geradezu sinfonisch dimensionierten Umfang von 535 Takten aufweist und damit nicht nur den zeitgenössischen Rahmen sprengt. Besonders markant ist dabei das einleitende, pochende Paukenmotiv (es erklingt insgesamt mehr als 70 Mal), aber auch das von den Holzbläsern vorgetragene Hauptthema, das mit seinem lyrischen Gestus den Charakter des gesamten Satzes bestimmt. Kürzer gefasst ist das als Romanze angelegte Larghetto, während Beethoven das Finale als ein Rondo im munteren 6/8-Takt gestaltet und ansatzweise die Ausdruckswelt seiner nur wenig später niedergeschriebenen Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68, der Pastorale, vorwegnimmt.

Das erwähnte Violinkonzert von Franz Clement ist übrigens erst kürzlich in einer neuen Einspielung mit Mirijam Contzen (Violine) und dem WDR- Sinfonieorchester unter Reinhard Goebel auf CD (Sony) erschienen.


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Aktion verlängert

«Deine Noten gegen die Not»: Die vom Lucerne Festival initiierte und von Sonart – Musikschaffende Schweiz mitgetragene Kampagne wird bis am 11. September verlängert.

Alle sind aufgerufen, ihre Videos auf solidarityformusic.ch hochzuladen. Foto: Lucerne Festival

Wie Lucerne Festival mitteilt, sei mit der Aktion seit dem 12. August eine sechsstellige Summe zusammengekommen. Um mit der Kampagne #SolidarityForMusic (SMZ-Nachricht vom 13.8.) noch mehr Geld zu sammeln, wird sie bis am 11. September verlängert.
 

Neuer Subventionsvertrag mit Tonhalle-Gesellschaft

Der Zürcher Stadtrat beantragt dem Gemeinderat, den Subventionsvertrag zwischen der Stadt und der neu gegründeten Tonhalle-Gesellschaft Zürich AG auf den Zeitpunkt nach Durchführung der Kapitalerhöhung zu genehmigen.

Medienorientierung Saison 2020/21 Tonhalle-Orchester Zürich Foto: tgz/Matthias Lehmann

Die finanzielle Situation der Tonhalle-Gesellschaft Zürich erfordert laut der Mitteilung der Stadt eine rasche und substantielle Verbesserung. Der Verein habe deshalb beschlossen, die Rechtsform der Tonhalle-Gesellschaft Zürich von einem Verein zu einer Aktiengesellschaft zu ändern. Damit könne eine Kapitalerhöhung erfolgen, um dem Orchester eine finanziell gesicherte Zukunft zu ermöglichen. Dieser Schritt wurde auch im Kulturleitbild 2020–2023 der Stadt Zürich, veröffentlicht im Juni 2019, angekündigt.

Die Rechtsformänderung der Tonhalle-Gesellschaft Zürich hat die Stadt Zürich veranlasst, eine Totalrevision des Subventionsvertrags vorzunehmen. Der neue Subventionsvertrag ersetzt den bisherigen Vertrag zwischen der Stadt Zürich und dem Verein Tonhalle-Gesellschaft Zürich vom 2. März 1988. Die zentralen Inhalte des bisherigen Subventionsvertrags – sein Zweck, die Unterstützung des Zürcher Sinfonieorchesters (Tonhalle-Orchester Zürich), und der Subventionsbeitrag von jährlich 19’781’648 Franken (Stand 2020) – bleiben im neuen Subventionsvertrag gleich. Der neue Subventionsvertrag weist eine kohärente Struktur und Systematik auf, berücksichtigt die geltenden Schwerpunkte und Anforderungen der Stadt Zürich an die Subventionsverhältnisse im Kulturbereich und ist an die neue Rechtsform der Tonhalle-Gesellschaft Zürich angepasst.

Der Stadtrat beantragt dem Gemeinderat, den neuen Subventionsvertrag zwischen der Stadt Zürich und der neu gegründeten Tonhalle-Gesellschaft Zürich AG auf den Zeitpunkt nach Durchführung der Kapitalerhöhung zu genehmigen. Falls der Gemeinderat zustimmt, möchte sich die Stadt Zürich an der Tonhalle-Gesellschaft Zürich AG beteiligen, um ihre heutige Mitgliedschaft im Verein in der neuen Organisationform fortzuführen und um ihre Verbundenheit mit dem Sinfonieorchester zu unterstreichen. Vorgesehen ist ein Erwerb von 2500 Namensaktien à nominal 100 Franken, also gesamthaft zu 250’000 Franken.
 

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