Reise durch ein Meer von Möglichkeiten

Nach «Chorlabor», das Laienchöre mit den zeitgenössischen Komponisten Matthias Heep, Leo Dick und Sylwia Zytynska zusammenführte, lancierte die Basler Gare du Nord ein Folgeprojekt. Abschliessend präsentierten Mitte Mai drei Chöre ihre aus der Improvisation entwickelten Musikstücke.

A. Schaerer, I. Wiss, Ch. Zehnder mit den Chören ATempo!, bâlcanto, Kultur und Volk. Foto: Ute Schendel,Foto: Ute Schendel,Foto: Ute Schendel,Foto: Ute Schendel

Kann ein Laienchor aus «nichts» einen ganzen Konzertabend gestalten? Dieser Herausforderung haben sich die Basler Chöre Kultur und Volk sowie bâlcanto und der Jugendchor ATempo! der Musikschule Basel improvisierend gestellt. Das Resultat der langen und teilweise auch mühsamen «Reise» war eine einstündige Performance: Sie wirkte berührend und witzig, manchmal aber auch etwas ratlos lassend.

Gemäss dem Konzept von Projektleiterin Johanna Schweizer erhielten die drei Chöre von der Gare du Nord und dem Kunstmuseum Basel einen «Freipass», in der Ausstellung Basel Short Stories. Von Erasmus bis Iris von Roten Inspirationen für ein zu entwickelndes Werk zu sammeln. In verschiedenen Etappen, sogenannten «Looping Journeys», wurden seit April 2018 drei neue Musikstücke kreiert. Dieser Prozess erforderte eine gehörige Portion Mut, wenn man etwa im Rhein schwimmend Sännelä hojahoo singen musste.

Unterstützung bei diesen Abenteuern erhielten die Chormitglieder von drei Cracks der improvisierenden Musikszene, den Stimmperformern Christian Zehnder und Andreas Schaerer und der Sängerin Isa Wiss. Sie führten die Choristinnen und Choristen durch ein schier endloses Meer von Geräuschen und Gestaltungsmöglichkeiten. «Für viele Teilnehmende war die improvisatorische Freiheit eine grosse Herausforderung, in der sich vor allem am Anfang einige von ihnen verloren fühlten», erläuterte Schweizer.

Zudem sollten die Chöre einen Weg finden, die neu entwickelte Musik auf Papier festzuhalten – eine Annäherung an grafische Notationen also. Das Resultat gestaltete sich dann aber anders, denn den Leitfaden des Abends bildeten Videosequenzen von Paula Reissig, die unaufgeregt und gewieft Takt und Inhalt vorgaben – Improvisation und Struktur sollten sich so ergänzen, zumal Texte fehlten, was dem Publikum das Verständnis etwas erschwerte.
 

Drehende Bewegungen auf dem Eis

Die gewählten Themen spiegelten in auffallender Weise den Charakter des jeweiligen Chors, der seine Stärken so in die Performance einbrachte. Der Abend begann mit dem Chor Kultur und Volk, der zum Film Frick und Frack über das Basler Eisläufer-Duo Werner Groebli und Hansruedi Mauch improvisierte. Passend dazu amtete als Coach der auf neue alpine Musik spezialisierte Christian Zehnder.

Image
Chor Kultur und Volk mit Christian Zehnder

In Reissigs Video waren weniger die Kapriolen der Eiskunstlaufhelden zu sehen, als das sie umjubelnde Publikum. Stimmige, in sich drehende, manchmal etwas langatmige Sequenzen, die der Chor mit spielerischen Bewegungen und Tonfragmenten untermalte: In drei Gruppen eingeteilt, wurde geklatscht, geraunt und im Rhythmus «gesungen». Es war eine durch Bilder initiierte Abfolge, die in einem Jodellied, dem «Zuger», gipfelte.

Improvisierend ins Delirium

Etwas schwieriger gestaltete sich die Wahl des Jugendchors ATempo!, der sich unter der Leitung von Andreas Schaerer mit dem Erfinder des LSD, Albert Hofmann, auseinandersetzte. Liegende, an der Minimal Music orientierte Gesangslinien begleiteten und untermalten Videoeinspielungen, die abstrakte Frequenzkurven zeigten oder Laboransichten mit einer sich drehenden Metalltonne. Wenig Entwicklung also, Längen waren eigentlich vorprogrammiert.

Image
Andreas Schaerer und der Jugendchor ATempo! der Musikschule Basel

Zur Einstimmung auf ihr Projekt hatten die Jugendlichen Verkehrsgeräusche am Wettsteinplatz erforscht oder im Badischen Bahnhof zu «Rausch und Delirium» improvisiert. Als Folge äusserten zwei junge Chorsänger, sie würden nun mutiger singen, «egal, was die anderen denken». Gemeinsam gelang es dem Chor, die inneren Vorgänge in Bewegung zu bringen, etwa durch das kreuzweise aneinander Vorbeilaufen mit an- und abschwellenden Gesangskurven, mit Dissonanzen und Konsonanzen.

Stimmcollage als Friedenssuche

In eine ganz andere Welt entführte unter der Führung von Isa Wiss bâlcanto, ein international zusammengesetzter Chor. Er wählte den zivilreligiösen Aspekt des Basler Friedenskongresses 1912. Ein abstraktes Thema also, zu dem Fotos zur Verfügung standen, aber keine «laufenden Bilder». Trotzdem wurde die Performance dank einer choreografierten Bewegungsabfolge und den neuen Videosequenzen zu einer gelungenen «Demonstration».

Image
bâlcanto

Aus dem Nichts stapften die Akteure auf das Podium, begannen leise und dann immer lauter zu nuscheln, einzelne Wortfetzen wie «Gerechtigkeit» oder «Volk» schwirrten durch die Luft und im Tohuwabohu begann eine Frau laut zu krächzen. Dazwischen entwickelte sich ein berührender Choral. Das Stück schloss mit einer Glockenimprovisation, zu der sich nach und nach alle Beteiligten auf die Bühne begaben.

Es folgte eine Schlussimprovisation, bei der man die rahmengebenden Videoeinspielungen leicht vermisste. Für die Teilnehmenden aber war wohl gerade dieser Schluss wichtig, wie es eine Chorsängerin formulierte: «Das Zusammentreffen der Chöre! What an inter-generation project!»
 

Link zur Website des Projekts

Efrat Alony ist Best Foreign Artist

Efrat Alony wurde vom Artemis Women in Action Film Festival 2019 in Los Angeles für ihren Song «Hear Me» vom Album «Dismantling Dreams» mit dem Preis Best Foreign Artist ausgezeichnet. Alony ist Dozentin an der Hochschule der Künste Bern.

Efrat Alony (Bild: Carola Schmidt)

Alony wurde als Tochter irakischer Einwanderer in Haifa geboren, wuchs in Israel auf. Dort begann sie ihr Studium in Komposition und Gesang, das sie später in den USA, am Berklee College of Music in Boston, fortsetzte und in Berlin an der Hochschule für Musik Hanns Eisler abschloss.

Als Feature-Vokalistin und Komponistin trat Efrat Alony auf beim Sunday Night Orchestra, mit dem Ed Partyka Jazz Orchestra, mit dem Jazz Orchestra Concertgebouw, Amsterdam und mit der Bigband des Hessischen Rundfunks. An der HKB unterrichtet Efrat Alony Gesang und Ensembles.

Das Artemis Women in Action Film Festival feiert «Frauen, die kulturellen Wandel herbeiführen und andere Menschen inspirieren».

 

Musik und Wort poetisch vereinigt

Die Initiantin des Briger Rhonefestivals, die Sopranistin Franziska Heinzen, hat unter anderen Rachel Harnisch eingeladen und setzt einen Schwerpunkt zum 200. Geburtstag von Clara Schumann.

zVg,SMPV

Ein Liedrezital ist mehr als ein Konzert, denn es vereint Musik und Wort auf poetischste Weise: Die Festival-Initiantin und Sopranistin Franziska Heinzen hat sich zum Ziel gesetzt, das Kunstlied in ihrer Heimat Brig durch verschiedene Konzertformate zu fördern. Nach einer erfolgreichen ersten Edition im Mai 2018, u. a. mit dem Schweizer Bariton Äneas Humm und Hartmut Höll, Klavier, geht das Rhonefestival für Liedkunst vom 30. Mai bis 2. Juni zum zweiten Mal über die Bühne.

Eröffnet wird es unkonventionell mit einem Abend im Bistro des Zeughauses Kultur Brig: Dabei trifft Poetry Slam (Phibi Reichling, Kilian Ziegler und Felicia Brembeck alias Fee) auf die vermeintlich «eherne» Liedkunst. Dieses Konzept der Pianistin Marlene Heiss gewann am Grazer Lied-Wettbewerb «Schubert und die Moderne» den Audience-Engagement-Preis 2018.

Höhepunkt des Festivals bildet der Liederabend der ebenfalls aus Brig stammenden international renommierten Sopranistin Rachel Harnisch und ihrem Klavierpartner Jan Philip Schulze mit Werken von Franz Schubert bis George Crumb.

Anlässlich des 200. Geburtstages der Pianistin und Komponistin Clara Schumann liegt der Festival-Themenschwerpunkt auf Kompositionen von Frauen: Der Liederabend «Komponistinnen: Zierde oder Meisterin?» mit Franziska Heinzen, Sopran und Benjamin Mead, Klavier, beleuchtet Werke von 20 Komponistinnen von Clara Schumann bis Isabel Mundry. Ausserdem liest Barbara Terpoorten aus den Lebensschicksalen von Clara Schumann, Alma Mahler und Fanny Hensel-Mendelssohn. Der Schwerpunkt wird im Kino Capitol mit dem preisgekrönten Dokumentarfilm Komponistinnen von Kyra Steckeweh und Tim van Beveren abgerundet, der über die Noten hinaus die nicht immer einfache Position der Komponistin in den letzten 200 Jahren beleuchtet.

Als Schweizer Festival möchte das Rhonefestival künftig die – mehrheitlich unbekannten – Schweizer Komponisten und Dichter mit einem eigenen Konzert fördern. Da mehr Swissness als am Schweizer Nationalfeiertag nicht möglich ist, findet dieses Konzert jeweils ausserhalb der regulären Festivalzeit rund um den 1. August statt, dieses Jahr unter dem Titel «Alte Weisen, neu entdeckt: Hommage an Gottfried Keller» am 31. Juli im Stockalperschloss in Brig.
 

Weitere Informationen zu allen Veranstaltungen unter

www.rhonefestival.ch

Winterthur unterstützt Esse-Musicbar

Ende August 2019 wird die Liegenschaft der «Esse-Musicbar» an der Winterthurer Rudolfstrasse abgerissen. Neu wird der Jazz-Verein Esse Winterthur sein Konzertlokal im Zeughaus 1 betreiben. Für die Finanzierung des Um- und Ausbaus gewährt die Stadt einen Standortbeitrag von 80’000 Franken und ein zinsloses Darlehen von 100’000 Franken.

Foto: Chris Bair / unsplash

Der Jazz-Verein Esse Winterthur betreibt seit 2005 ein Jazz-Lokal beim Bahnhof Winterthur. Aufgrund der Umnutzung durch die SBB wird die Liegenschaft der Esse-Musicbar per Ende August 2019 abgerissen. Der Kulturverein will sein musikalisches Angebot erhalten und hat im Zeughaus 1 an der Zeughausstrasse 52 einen neuen Standort für sein Konzertlokal gefunden.

Seit 2017 wird der Betrieb der Esse-Musicbar von der Stadt Winterthur mit einem jährlichen Subventionsbeitrag von 25’000 Franken unterstützt. Für die Finanzierung der Investitionen in den Um- und Ausbau der neuen Lokalität akquiriert der Verein Gelder von Stiftungen und Privaten und ersucht den Lotteriefonds des Kantons Zürich um einen Beitrag. Bedingung für einen Beitrag des Lotteriefonds ist aber eine Zusage der Standortgemeinde. Die Stadt Winterthur leistet darum einen Standortbeitrag von 80’000 Franken und gewährt dem Verein zudem ein zinsloses Darlehen von 100’000 Franken.

Mit jährlich bis zu 170 Konzerten und Veranstaltungen leistet die Esse-Musicbar einen wichtigen Beitrag zu Winterthurs Attraktivität als Musikstadt. 2008 erhielt das Konzertlokal den Kulturpreis der Kulturstiftung Winterthur. Mit dem Standortbeitrag und dem Darlehen unterstützt die Stadt Winterthur den Jazz-Verein Esse Winterthur bei seinem Vorhaben und ermöglicht eine Wiedereröffnung des Konzertlokals ab September 2019.
 

Basel-Landschaft zeichnet Mischa Cheung aus

Der Kanton Basel-Landschaft zeichnet den Pianisten Mischa Cheung mit einem mit 20’000 Franken dotierten Kulturpreis aus, Die Künstlerin Kitty Schaertlin wird ebenfalls mit einem Spartenpreis geehrt, das FahrAwaY Zirkusspektakel mit dem Förderpreis Nouveau Cirque. Ein Jubiläumspreis geht an die Chorleitungen der Gymnasien Liestal und Muttenz.

Mischa Cheung. Foto: Mona Neubauer

Mischa Cheung studierte Klavier bei Konstantin Scherbakov an der Zürcher Hochschule der Künste. Er ist Mitglied des Gershwin Piano Quartet, welches Werke für vier Konzertflügel aufführt, und war von 2011 bis 2015 Pianist bei der klassischen Band Spark. Seit 2014 tritt er als Solist bei den Symphonic Game Music Concerts der Merregnon Studios auf. Seit 2009 ist er an der Zürcher Hochschule der Künste als Assistent der Meisterklasse von Konstantin Scherbakov und als Dozent für Klavier und Improvisation tätig.

Die Chorleiterinnen und Chorleiter Lucia Germann und Michael Zumbrunn (Gymnasium Liestal) sowie Christoph Huldi, Jürg Siegrist und Christine Boog (Gymnasium Muttenz) verantworten laut dem Kanton «seit Jahrzehnten mit grossem persönlichem Engagement qualitativ hochstehende und erfolgreiche Chorprojekte». Den vorerst letzten Höhepunkt bildete im Oktober 2018 das Oratorienkonzert «Elias» von Mendelssohn mit den Chören aus Muttenz und Liestal sowie dem Sinfonieorchester Basel im Musical Theater Basel. Der Jubiläumspreis 50 Jahre Kulturpreise Baselland 1969–2019 ist mit 25‘000 Franken dotiert. Das Preisgeld ist zweckgebunden für weitere Projekte mit Gymnasialchören aus dem Kanton.

 

 

 

Lockere Souveränität

Zum 51. Mal bieten die Wittener Tage für Neue Kammermusik Einblicke in zeitgenössisches Komponieren. Mit dabei ist Barblina Meierhans aus Burgau.

Barblina Meierhans‘ Station in der Kegelbahn. Foto: © WDR/Claus Langer

Mit einer «kleinen Prise Humor» blickt Meierhans auf eine spezielle Kultur: Nebst Fussball wird das Kegeln gross geschrieben im Ruhrgebiet. Ist die Arbeit getan, trifft man sich, trinkt Bier und Schnaps, redet – und zwischendrin wirft man Kugeln auf Kegel. Längst verlassen wirkt die Kneipe mit Kegelbahnen an der Wittener Ruhrstrasse. Putz blättert von den Wänden, das Mobiliar ist abgenutzt, gedeckte Farben erinnern an die Fünfzigerjahre. «Ohne Nostalgie» wollte Meierhans sich auf den Ort beziehen, freundlich auf die Absurditäten von «Vereinstätigkeiten» blicken. Dazu postiert die 1981 in Burgau/SG Geborene in der Nähe des einstigen Bierausschanks eine Schlagwerkerin. Direkt an den Bahnen spielen eine Viola, eine Posaune oder ein Saxofon; unterstützt ist das klangliche Ambiente von Sprach-Einspielungen per Lautsprecher.

Mit Fug und Recht komponierte Meierhans keine stringenten Werke. Eher sind es gelockerte Ton- oder Klangfolgen oder so etwas wie kleine Rhythmus-Studien, die da zu Gehör kommen. Das lässt gedankliche, auch sportive Freiräume. Zwischendrin darf der Festivalbesucher selbst eine Kugel werfen, kann sinnieren über vergangene Zeiten, sich Atmosphären überlassen, die letzten Endes hübsch, letztlich aber auch zu zaghaft-reserviert wirken. Nun denn: Es mag verschiedenen Mentalitäten geschuldet sein. Hier das kernige, meist männerdominierte Westfalenkegeln, dort eine reflektierte, aber auch zurückhaltende Künstlerin aus der Schweiz – so etwas ist keine einfache Konstellation.
 

Spiel mit Innen und Aussen

Barblina Meierhans’ Station Diese Zeiten sind vorbei … ist nicht die einzige. Alternative Orte abseits der Konzertsäle haben in Witten mittlerweile Tradition. Mal ging es – ganz à la Festival Rümlingen – mit einer Klangwanderung in die Natur, mal spielen Stücke auf einer Fähre oder in einer Strassenbahn, mal bestellt der Festivalleiter Harry Vogt Klanginstallationen für Kellergewölbe. Geht es um ortsbezogene Kunst, ist man beim Komponisten und Multimedia-Spezialisten Manos Tsangaris an der richtigen Adresse. Tsangaris’ immer wieder bewährtes Rezept ist das Spiel mit dem Innen und Aussen. In diesem Wittener Jahr sieht es so aus: Innen, in einem fast rundherum verglasten Kiosk aus den Fünfzigerjahren, sitzt das Publikum, das beschallt wird von ein paar Instrumentalisten und Lautsprechern. Draussen bewegen sich in der Nähe einer Strassenkreuzung normale Passanten nebst obskuren Gestalten, die echt sein mögen oder aber – wer weiss es schon? – von Tsangaris bestellt. Als «Kammerspiel» bezeichnet er seine Station, die auch «Hörkino» heissen könnte.

Auf alle Fälle aus der Kunstsphäre kommen eine Sprecherin und ein Interviewer, deren Worte per Funk in den vollbelegten Kiosk gelangen. Feine Antennen hat Tsangaris. Die Musik darf – wie bei Meierhans – nicht zu sehr im Vordergrund stehen. So sind es eher kleine atmosphärische Beigaben, die die Musiker spielen. Jene draussen flanierende Sprecherin sinniert währenddessen über das Thema Fortschritt, während der Interviewer recht aufdringlich Wittener Passanten nach ihrem Musikgeschmack befragt. Rolling Stones sind eine «Macht», sagt ein Passant. Karlheinz Stockhausen kennt er nicht.
 

Ein Konzert wie ein Rausch

Was drinnen in den Konzertsälen passiert, bleibt den Wittenern wohl auch verborgen. Schade drum! Denn was in diesem Jahr tönt, ist alles hörenswert, teils sensationell gut. Herausragend das Konzert mit Werken von Mikel Urquiza, von Sasha J. Blondeau und von Sara Glojnarić, alle etwa dreissigjährig. Urquiza vertont dänische Texte von Inger Christensen, indem er die Sopranistin in bezaubernd intime Dialoge verwickelt entweder mit gestopfter Trompete, mit Klarinette oder mit Schlagwerk. Sasha J. Blondeau, 1986 im französischen Briançon geboren, entscheidet sich für eine körnig aufgeraute Klangstudie, während der Ansatz der Kroatin Glojnarić eher rhythmischer Natur ist. In witziger Manier bezieht sie sich zwar nicht auf die «Macht» Rolling Stones, dafür aber auf Schlagzeug-Intros der Rock-Gruppen The Police, Nirvana oder U2. Dass dieses etwa 50-minütige Konzert derart gut funktioniert, liegt zum einen an der kurzweiligen Heterogenität und der frappanten Kompositionsqualität der Werke, zum anderen aber auch an den Interpreten. Sarah Maria Sun (Sopran), Marco Blaauw (Trompeten), Carl Rosman (Klarinetten) und Dirk Rothbrust (Schlagzeug) spielen atemberaubend. Begriffe wie «Variabilität», «Perfektion» oder «Klangsensibilität» werden der unglaublichen Musikalität dieses Quartetts kaum gerecht.

Die Wittener Tage für Neue Kammermusik sind offenbar auf einem guten Weg. Nach Jahren verspannt-sophistischer Komplexität und zwanghafter Suche nach neuen Klangwelten kommt offenbar wieder mehr Lockerheit ins Spiel – kein bloss unkonzentriertes Laissez faire, sondern erfreulich gekonnte Souveränität. Drei Tage voll nachhaltiger Erlebnisse. Was will man mehr?
 

Einheimischer Ersatz für Tropenhölzer

Ingenieure der Technischen Universität (TU) Dresden haben für die Gitarrenmanufaktur Hanika ein Verfahren entwickelt, das Fichte, Ahorn oder Kirsche für den Bau von Gitarren nutzbar macht. Die heimischen Hölzer zeigen damit mindestens die gleichen akustischen Eigenschaften wie Tropenholz.

Anzupftest einer Gitarre an der TU Dresden (Foto: Krüger/TUD),SMPV

Bisher werden Konzertgitarren aus einer Kombination lang gelagerter tropischer Holzarten wie westindische Zedrele für den Hals, ostindischer Palisander für Zarge und Boden und Ebenholz für das Griffbrett hergestellt. Seit Anfang 2017 gelten für den Handel mit bedrohten Hölzern aus den Tropen jedoch strengere Bestimmungen, so dass Musikinstrumentenbauer auf Alternativen angewiesen sind.

Mit dem Behandlungsverfahren der TU Dresden werden einheimische Hölzer mit einer bestimmten Temperatur und einem bestimmten Druck für eine gewisse Zeit thermisch behandelt um die notwendigen Alterungsprozesse des Holzes zu beschleunigen. Im Ergebnis können die thermisch modifizierten einheimischen Hölzer nach nur einem Jahr zu hochwertigen Musikinstrumenten weiterverarbeitet werden.

Mittlerweile produziert Hanika vier neue, vollständig tropenholzfreie Gitarrenmodelle (Basis-, Mittel-, Ober- und Meisterklasse) aus thermisch behandelten einheimischen Hölzern. Dafür wurde die Gitarrenmanufaktur auf dem Innovationstag Mittelstand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) in Berlin als «ZIM-Handwerksprojekt des Jahres» ausgezeichnet.

 

Thurgau zeichnet Jossi Wieler aus

Der diesjährige Kulturpreis des Kantons Thurgau geht an den Theater- und Opernregisseur Jossi Wieler. Mit dem Preis, der mit 20’000 Franken dotiert ist, würdigt der Regierungsrat das Schaffen des aus dem Thurgau stammenden Preisträgers.

Jossi Wieler (Bild: Webseite Kt. Thurgau)

Jossi Wieler ist 1951 in Kreuzlingen aufgewachsen. Bis 1972 war er im Thurgau wohnhaft und zog dann für sein Regiestudium nach Tel Aviv, Israel. Danach sammelte er erste Bühnenerfahrungen am Habimah Nationaltheater sowie ab 1980 am Düsseldorfer Schauspielhaus. Als Schauspielregisseur arbeitete er anschliessend in Heidelberg, Bonn, Stuttgart, Hamburg, München und Berlin. Am Theater Basel war er von 1988 bis 1993 als Hausregisseur tätig. Danach arbeitete er als freier Regisseur, er war unter anderem an den Münchner Kammerspielen sowie wiederholt bei den Salzburger Festspielen engagiert.

Seit 1994 inszeniert er gemeinsam mit Sergio Morabito auch Opern. Wieler und Morabito wurden 2002 und 2012 zum Regieteam des Jahres gewählt und erhielten in den Jahren 2006 («Doktor Faust») und 2012 («Die glückliche Hand/Schicksal») den Deutschen Theaterpreis Der Faust in der Kategorie «Beste Opernregie». 2015 wurde Jossi Wieler mit dem Kulturpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet; 2016 erhielt er den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg.

Swiss Jazz Award 2019 an Othella Dallas

Die 93-jährige amerikanische, in der Schweiz wohnhafte Sängerin Othella Dallas wird für ihre aussergewöhnliche Künstlerkarriere mit dem Swiss Jazz Award 2019 ausgezeichnet. Die Preisverleihung findet am Sonntag, 23. Juni 2019, während des Festivals JazzAscona statt.

Othella Dallas (Bild: zvg)

Othella Dallas wurde 1925 in Memphis geboren. Bevor sie ihre Karriere als Sängerin begann, war sie Schülerin der Tänzerin Catherine Dunham. Als Sängerin debütierte Dallas in den frühen 50er-Jahren in den Jazzclubs von Paris, wo sie die Bühne mit Duke Ellington, Sammy Davis Jr., Nat King Cole, Quincy Jones, Sonny Stitt, King Kurtis und vielen mehr teilte. Seit den 1960er-Jahren lebt Othella Dallas in der Schweiz. 1975 gründete sie in Basel die Othella Dallas Dance School. 2008 brachte sie ihr Album «I Live The Life I Love» auf die Bühne zurück.

Der Swiss Jazz Award wurde 2007 von Radio Swiss Jazz und JazzAscona ins Leben gerufen, mit dem Ziel, den Schweizer Jazz einer breiteren Öffentlichkeit näher zu bringen. Zu Beginn war er als Publikumspreis ausgerichtet, 2017 und 2018 wurde er direkt vergeben. Zu den früheren Gewinnern gehören Franco Ambrosetti (2018), Bruno Spoerri (2017), Patrick Bianco’s Cannonsoul (2016), Raphael Jost and lots of horns (2015), Nicole Herzog & Stewy von Wattenwyl (2014), Chris Conz Trio (2013), Christina Jaccard & Dave Ruosch (2012), Alexia Gardner (2011) und Dani Felber Big Band (2010). Ein «Lifetime Achievement Award» wurde bisher an Hazy Osterwald (2009) und Pepe Lienhard (2006) überreicht.
 

Solothurner Förderpreise 2019

Das Kuratorium für Kulturförderung des Kantons Solothurn hat im Auftrag des Regierungsrates zum achten Mal mit 15’000 Franken dotierte Förderpreise vergeben. Ausgezeichnet werden in der Musik Christine Hasler und Simone Meyer.

Lia Sells Fish (Christine Hasler). Foto: Melanie Scheuber

Christine Hasler arbeitet als Theatermusikerin und als Singer-/Songwriterin. Sie hat 2015 den Master in Musik und Medienkunst an der Hochschule der Künste in Bern abgeschlossen. Als Theatermusikerin arbeitete sie unter anderem mit Markus Heinzelmann am Theater Kanton Zürich, am Staatstheater Nürnberg, am Stadttheater Ingolstadt und am Hessischen Landestheater Marburg, mit Marie Bues am Schlachthaustheater in Bern und an der Rampe in Stuttgart. Mit ihrem Singer-/Songwriting-Projekt Lia Sells Fish spielt sie immer wieder Konzerte in der ganzen Schweiz.

Die Geigerin Simone Meyer ist Schülerin von Bartlomiej Niziol, der an der Hochschule der Künste Bern unterrichtet. 2013 gewann sie einen Förderpreis beim Migros Kulturprozent Wettbewerb, 2014/15 ein Rahn-Stipendium. 2016 war sie als Solistin mit der Jungen Münchner Philharmonie, unter der Leitung von Mark Mast auf Tournee und spielte sieben Konzerte in München, Zürich und Wien.

 

Briefe von Ethel Smyth online gestellt

Die Hochschule für Musik und Theater Leipzig veröffentlicht online 57 Briefe aus Smyths Leipziger Studienzeit Ethel Smyth (1858-1944).

Bild: zvg,SMPV

Die englische Komponistin Ethel Smyth (1858-1944) kam 1877 nach Leipzig, um am dortigen Konservatorium ein Musikstudium aufzunehmen. : «Leipzig!!! … HERE I AM», überschrieb sie einen der ersten von über 50 Briefen aus dieser Zeit an ihre Mutter. In ihnen berichtet sie eindrücklich von den im Alltag spürbaren kulturellen Unterschieden zu ihrer Heimat, der Ausbildung am Leipziger Konservatorium und auch von ihren vielfältigen Aktivitäten und Begegnungen im gesellschaftlichen Leben Leipzigs.

Mit einer Patenschaftsaktion gelang es 2014 der Hochschule für Musik und Theater Leipzig (HMT), die 57 durch ein Londoner Antiquariat angebotenen Briefe zu erwerben. Im Anschluss konnten die einzelnen Schriftstücke im Handschriftenportal Kalliope erschlossen werden. Pünktlich zum 75. Todestag der Komponistin, Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Ethel Smyth liegen die Briefe nun auch online vor.

Die Digitalisate befinden sich mit weiteren Objekten der digitalen HMT-Kollektion auf dem Portal Sachsen.digital und sind unter der Lizenz CC-BY-SA 4.0 nutzbar. Die Digitalisierung, Präsentation und Langzeitarchivierung der Kollektion wurde ermöglicht durch das von der SLUB Dresden koordinierte Landesdigitalisierungsprogramm für Wissenschaft und Kultur des Freistaates Sachsen.

Lucerne Festival streicht Ostern und Piano

Das Oster- und das Pianofestival von Lucerne Festival werden nicht weitergeführt. Das Festival konzentriert sich ab 2020 auf das Sommerfestival. Im Mittelpunkt stehen dabei das Festival Orchestra, die Academy, die Lucerne Festival Alumni und Aktivitäten für die Stadt und Region.

Igor Levit, der am diesjährigen Pianofestival auftreten wird. Foto: Felix Broede/Lucerne Festival

Stiftungsrat und Geschäftsleitung von Lucerne Festival haben die ab dem kommenden Jahr geltende neue Festivalstruktur im Rahmen ihrer periodischen Strategieüberprüfung beschlossen. Ab 2020 neu ins Leben gerufen werden zwei Wochenenden. Diese sollen dem Publikum jeweils im Frühjahr und Herbst Konzerte unter anderem mit Eigen­produktionen bieten.

Neben Orchester und Academy sollen die Lucerne Festival Alumni mehr Bedeutung erhalten. Es handelt sich dabei um ein Netzwerk ehemaliger Akademie-Teilnehmer, deren  Konzerttätigkeit in Luzern und im Ausland stetig zunimmt. Auch die Aktivitäten in der Stadt und Region Luzern sollen vertieft werden. Dazu gehören beispielsweise die Konzertübertragung auf dem Inseli, das Festival «In den Strassen», der Erlebnistag oder das Format «40min».

Schweizer Grand Prix Musik 2019 geht an Cod.Act

Der Schweizer Grand Prix Musik 2019 geht an Cod.Act – André und Michel Décosterd. Die zwei Brüder befassen sich mit den Interaktionen zwischen Ton, Bild und Raum. Weitere vierzehn Musikerinnen und Musiker oder Ensembles werden mit dem Schweizer Musikpreis ausgezeichnet.

πTon, Installation von Cod.Act (Bild: Xavier Voirol)

André und Michel Décosterd wurden 1967 und 1969 in Le Locle geboren. Der Musiker André Décosterd spezialisierte sich in Musikinformatik und studierte die Kompositionssysteme der elektroakustischen und zeitgenössischen Musik. Der Ingenieur Michel Décosterd begann, bewegte Skulpturen zu entwerfen. Seit 1997 verbinden die beiden Brüder ihre Talente als Cod.Act und schaffen musikalische und architektonische Formen, deren Ästhetik an die Welt der Industrie erinnert.

Folgende 14 Musikerinnen und Musiker oder Ensembles werden mit einem Schweizer Musikpreis ausgezeichnet: Bonaventure – Soraya Lutangu (Rougemont VD), d’incise – Laurent Peter (Genf), Pierre Favre (Le Locle), Ils Fränzlis da Tschlin (Engadin), Béatrice Graf (Nyon), Michael Jarrell (Genf), Kammerorchester Basel (Basel), KT Gorique (Sitten), Les Reines Prochaines (Basel), Rudolf Lutz (St. Gallen), Björn Meyer (Bern), Andy Scherrer (Brunnadern SG), Sebb Bash (Lausanne) und Marco Zappa (Locarno).

Vom Jazz zur zeitgenössischen Musik, vom Hip-Hop zum Rap und von der Klassik zur Volksmusik sind durch die Preisträgerinnen und Preisträger alle Musiksparten vertreten. Der Schwerpunkt liegt in diesem Jahr allerdings auf elektronischer Musik in den verschiedensten Formen. Erstmals wird zudem ein Preis an ein Orchester vergeben.
 

Hotel-Abgabe soll bleiben

Neu spricht sich die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerates (WBK-S) dafür aus, die Vergütungspflicht für private Räumlichkeiten von Hotels und ähnlichen Institutionen nicht aufzuheben. Die Kulturschaffenden hatten sich für Vergütungen auf Empfangsgeräten in Hotels und Ferienwohnungen eingesetzt.

Foto: Ruslan Keba on Unsplash (s. unten)

Die Ständerats-Kommission will, im Widerspruch zum Nationalrat, dass es bei der Hotel-Abgabe bleibt. Geht es nach dem Nationalrat, sollen Hotels, Spitäler und Gefängnisse für die Verwendung öffentlicher Werke in ihren Räumen nicht mehr zahlen müssen. Die Verwendung soll als Eigengebrauch definiert werden.

Festgehalten hat die Kommission hingegen an ihrem früheren Entscheid zu Video-on-Demand. Sie ist zwar damit einverstanden, dass Filmschaffende eine Vergütung für die Video-on-Demand-Verwendung erhalten. Die Regelung soll der zunehmenden Online-Nutzung von Werken und dem Verschwinden der Videotheken Rechnung tragen. Die WBK schlägt aber vor, Musik in Filmen von einer solchen Vergütungspflicht auszunehmen.

Für die Beibehaltung hatten sich die Urheberrechtsgesellscahften eingesetzt. Siehe dazu diesen Artikel in der SMZ.

Konzertkleidung der Zukunft

Wie sollte eine modische, den besonderen Erfordernissen des Spielens angepasste Konzertkleidung aussehen? Steuern Sie bis zum 16. Mai Ihre Erfahrungen und Wünsche bei!

Foto: Kai Pilger on unsplash (s. unten)

Was tragen Sie bei Ihren Konzertauftritten? Ist es eine vorgegebene Berufskleidung oder können Sie selber bestimmen? Gefällt Ihnen dieses Outfit? Ist es praktisch? Was würden Sie ändern?

Eine Studentin der Schweizerischen Textilfachschule hat sich vorgenommen, eine modische, den besonderen Erfordernissen des Spielens angepasste Konzertkleidung zu entwerfen. Dabei ist sie sehr froh um Ihre Erfahrungen.

Nehmen Sie dazu an dieser Online-Umfrage teil (Dauer ca. 5 Minuten).

Ziel der Umfrage ist es, Ihre Bedürfnisse zu erfahren, aber auch die Schwierigkeiten, die Konzertbekleidung beim Musizieren bereiten kann. Ihre Angaben bleiben anonym und werden nicht ausserhalb dieser Forschungsarbeit verwendet.

Den Entwurf, der aus der Befragung hervorgeht, wird in der Dezembernummer 2019 der Schweizer Musikzeitung vorgestellt.

Foto: Kai Pilger on unsplash

get_footer();