«Ein himmlisch’ Werk» – sehr menschlich

Das Museum Fram in Einsiedeln zeigt derzeit die musikalischen Schätze der Musikbibliothek des Klosters Einsiedeln. Sie stammen aus über tausend Jahren und zeichnen das Musikleben des Benediktiner Klosters in unerwarteten Facetten. Der Autor unseres Berichts war Einsiedler Stiftsschüler von 1963 bis 71 und erlebte selbst Einiges dieser Geschichte hautnah mit …

Vitrine mit dem Faksimile des Codex 121. Foto: Museum Fram,Foto: Museum Fram,Foto: Museum Fram,Foto: Museum Fram,Foto: Museum Fram

Pater Roman Bannwart, links von mir sitzend, schiebt den Regler nach unten; im Saal geht das Licht aus. Der «Saal» ist die Turnhalle der Stiftsschule Einsiedeln, die Zeit: Fasnacht 1966. Das Orchester spielt ein Musikstück, das ich inzwischen «Ouvertüre» zu nennen gelernt habe. Es ist die erste Ouvertüre in meinem Leben – und sozusagen auch die letzte. Und sie eröffnet Franz Schuberts Singspiel «Die Zwillingsbrüder». Ich sitze rechts von Pater Roman im Souffleurkasten und habe den Sängern in den Sprechpartien ihre Stichworte zu liefern.

Operntradition

Was Pater Roman nicht weiss und ich noch weniger: Mit der Fasnachtsoper von 1966 – neben den Zwillingsbrüdern wird noch Schuberts Einakter Der vierjährige Posten gespielt –, geht eine lange Tradition zu Ende. Es ist die Tradition der Opernaufführungen im Kloster, die seit 1808 im Kloster dokumentiert ist. Die opernbegeisterten Mönche und unter ihrer Anleitung die Schüler des Gymnasiums wagten sich an Vieles: so an Mozarts Entführung aus dem Serail (1833), an Donizettis Regimentstochter (1860) oder an Aubers Die Stumme von Portici (1890). Allerdings: Aus dem Liebesdrama der Entführung wurde eine Vater-Sohn-Geschichte (Die türkischen Kadeten), aus der Regimentstochter wurde ein Regimentsbursche, aus der Stummen ein Stummer – allzu viel vom anderen Geschlecht sollte den Mönchen und Schülern auf der Bühne wohl nicht vorgeführt werden. In späteren Jahren unterblieb dieses drastische «re-writing»; die beiden Opern, die ich noch erlebte, wurden mehr oder weniger im Original gespielt, natürlich mit Knaben in den (weiblichen) Sopran- und Altpartien. Auch Pater Roman – damals als Choralmagister in der ganzen Schweiz bekannt – agierte nicht immer nur als Chefbeleuchter: Eine Foto der Ausstellung zeigt ihn 1937 in der Hauptrolle einer Oper von Albert Lortzing.

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Aus der Regimentstochter wurde ein Regimentsbursche

Im Jahr vor Schubert und somit als zweitletzte Opern kam 1965 das Stück eines damals so gut wie unbekannten Komponisten auf die Bühne. Es hiess Orfeo und stammte von einem gewissen Claudio Monteverdi – merkwürdige Musik! Rund 20 Jahre später sollte ich am Opernhaus Zürich die Aufführung von Nikolaus Harnoncourt erleben –, und manche Melodien der Oper kamen mir merkwürdig vertraut vor. Die Rolle des Plutone sang in der Einsiedler Aufführung ein Student namens Arthur Helg – als Pater Lukas Helg ist er heute einer der beiden Kuratoren der Ausstellung.

Geistliche Musik

Und die Oper hatte ihren Platz nicht nur auf der Bühne, sondern auch im klösterlichen Gottesdienst: Gern führte man dort Bearbeitungen von Passagen aus Mozarts Opern auf – die gleiche Musik mit einem neuen, geistlichen Text. Die hauseigenen Komponisten waren in dieser Art der Aneignung sehr geschickt und – man muss es nüchtern sehen – auch ziemlich bedenkenlos. Der Gregorianische Choral dagegen, heute für uns das «Markenzeichen» des klösterlichen Gottesdienstes, wurde damals kaum mehr gesungen.
Eine merkwürdige Geschichte hat auch das emblematische Musikstück des Klosters, das mehrstimmige Einsiedler Salve Regina, das die Mönche täglich in der Gnadenkapelle singen. Das Stück existiert in unterschiedlichen Bearbeitungen des gregorianischen (einstimmigen) Originals; und gerade die Fassung nur für Männerstimmen, die heute regelmässig vor der Gnadenkapelle erklingt, ist musikalisch nicht unproblematisch, denn vorgesehen wäre eigentlich eine Oberstimme für Sängerknaben.
 

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«Einsiedler Salve Regina»

Neben Pater Roman war unser zweiter Musiklehrer und der Kapellmeister des Klosters Pater Daniel Meier; er spielte übrigens 1937 die Knusperhexe in Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel. Er nun vergass, mit unserem Jahrgang der Sängerknaben das Salve richtig einzuüben, und tadelte nach einiger Zeit ungehalten unser immer noch unsicheres Mitsingen. So sang ich das «Salve» zwar gern – sein volltönig orgelnder Klang hatte im Innern der Gnadenkapelle etwas Überwältigendes –, aber noch lange etwas zaghaft …

Kloster-Komponisten

Pater Daniel Meier (1921–2004) war mehrere Jahre lang Kompositionsschüler von Paul Hindemith in Zürich; Grusspostkarten mit Hindemiths eigenen Zeichnungen bezeugen sogar eine Art Freundschaft. Pater Daniel zählt zur stattlichen Anzahl der Kloster-Komponisten (insgesamt über 30), von denen manche mehrere hundert Werke komponierten; der bisher jüngste ist der ebenfalls sehr produktive Pater Theo Flury (*1955). Hier zeigt sich eine besondere Entwicklung der Musikgeschichte: Bis ins 19. Jahrhundert komponierten auch bedeutende Komponisten noch geistliche Musik, die von talentierten Amateuren aufgeführt werden konnte und von den Klostermusikern denn auch gern aufgegriffen wurde. Mit der radikalen neuen Musik des 20. Jahrhunderts änderte sich das jedoch: Geistliche Musik, die im sonntäglichen Gottesdienst verwendbar war, wurde die Sache von Komponisten, die keinen modernen oder avantgardistischen Stil vertreten wollten, und zu ihnen zählen auch die Einsiedler Komponisten-Mönche. Ihr Schicksal ist jedoch, dass ihre «Gebrauchsmusik» im Konzertsaal kaum je gespielt wird. Aber sie komponierten dann auch nicht immer nur Frommes: Der Kloster-Hit ist bis heute ein fetziger Caecilienmarsch für drei Orgeln, den Pater Anselm Schubiger 1845 schrieb.
 
 

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«Caecilienmarsch» für drei Orgeln von Pater Anselm Schubiger

Hits ganz anderer Art enthielt ein Druck von 1520, der sich ebenfalls in der Ausstellung findet: Das Liber selectarum cantionum – ein Prunkband zusammengestellt vom «Schweizer» Komponisten Ludwig Senfl – enthält 25 Werke der berühmtesten Komponisten der Hochrenaissance. Mit den meisten Werken vertreten ist Josquin Desprez und (etwas unbescheiden) Ludwig Senfl selbst. Das Merkwürdige allerdings: Der Band weist praktisch keine Gebrauchsspuren auf; die Mönche scheinen ihn eher als «Kunstobjekt» und nicht so sehr für den täglichen Gebrauch gekauft zu haben. Dem mag entsprechen, dass die beiden Werke der Renaissance, die wir im Gottesdienst regelmässig sangen, nicht etwa von Komponisten wie Josquin oder Senfl stammten. Es waren vielmehr die Missa Papae Marcelli von G. P. da Palestrina und das Requiem seines Schülers G. F. Anerio, die den Renaissance-Stil in einem etwas spannungslos-eleganten Wohlklang weiterführten.

Musikbibliothek

Gerade diesen Palestrina-Stil erklärte man im 19. Jahrhundert zum Vorbild für die Kirchenmusik – mit nicht immer ganz glücklichen Folgen. Immerhin: Nachdem man früher alles «Veraltete» als nichtwiederverwendbar skrupellos weggeworfen hatte, nahm man nun die Musik früherer Epochen wieder zur Kenntnis und sammelte sie. Auch im Kloster Einsiedeln regte sich dieses historische Interesse; es entstand eine eigentliche Musikbibliothek, deren Anfänge auf die Sammlertätigkeit von Pater Gall Morel (1803–1872) zurückgehen. So verdankt das Kloster ihm – um zwei kontrastreiche Beispiel zu nennen – eine Kostbarkeit wie Mozarts handschriftliche Skizze zu dessen Pariser Sinfonie und andererseits die Kuriosität der Pseudo-Renaissance-Madrigale des damals auf Schloss Wartensee (St. Gallen) lebenden Engländers Robert Lucas Pearsall; er schenkte dem Kloster nicht nur seine eigenen Werke, sondern auch die umfangreiche Musikbibliothek. Schenkungen dieser Art trugen dazu bei, dass die Musikbibliothek des Klosters heute eine der grössten in Europa ist.

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Mozarts handschriftliche Skizze des Andante con Moto aus seiner «Pariser Sinfonie»

Das Interesse an alter Musik richtete sich im späten 19. Jahrhundert dann auch auf den Gregorianischen Choral. Das Kloster besitzt mit dem Codex 121 das älteste erhaltene Graduale mit einstimmigen gregorianischen Gesängen für das ganze Kirchenjahr. Die Handschrift, in Einsiedeln vor dem Jahr 1000 geschrieben, ist in der Ausstellung (natürlich) nur als Facsimile zu sehen – aber auch dieses, mit seiner geheimnisvollen Notenschrift der Neumen, vermag ein leises Erschauern zu wecken. Wenigstens heute. Denn es wäre eine Lüge zu behaupten, dass ich den Gregorianischen Choral damals als Stiftsschüler besonders liebte; nein, er erschien mir immer als etwas langweilig-eintönig, auch wenn Pater Roman ihn uns geduldig beigebracht hatte … So kann die Vergangenheit uns auch nach mehr als 50 Jahren noch einholen.

Ausstellung

Die Ausstellung bietet eine Musikgeschichte ganz eigener Art: Vieles, das sonst wichtig ist, erscheint hier nicht; und was im Kloster wichtig war, wurde und wird ausserhalb nur gelegentlich zur Kenntnis genommen. Das macht aber gerade auch den Reiz der Ausstellung aus, zusammen natürlich mit der Fülle von Handschriften, Drucken, Biografien, Dokumenten der Zeitgeschichte, Tonbeispielen – optisch einladend präsentiert und klar in überschaubare «Kapitel» strukturiert. Dieser Struktur folgt auch eine Begleitdokumentation; und die alles andere als akademischen Führungen von Pater Lukas Helg tragen das Ihre zur Attraktivität der Ausstellung bei. Aber natürlich bleibt auch dieses und jenes offen: Warum nur kam jene Winzigst-Miniatur von 1659 mit calvinistischen (!) Psalmen ins Kloster …?

 

Die Ausstellung dauert vom 25. Mai bis 29. September 2019. Museum Fram, Eisenbahnstrasse 19, Einsiedeln
www.fram-einsiedeln.ch informiert über die Öffnungszeiten und Führungen

 

P. Lukas Helg / Christoph Riedo: Ein himmlisch Werk – Musikalische Schätze aus dem Kloster Einsiedeln. Dokumente zur Ausstellung im Museum Fram. 110 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen

 

P. Lukas Helg: Das Einsiedler Salve Regina – Eine musikalische Studie. 126 Seiten, mit Notenbeispielen
 

Tod des Komponisten Rolf Urs Ringger

Der Schweizer Komponist und Publizist Rolf Urs Ringger ist im Alter von 84 Jahren verstorben. Der Adorno- und Henze-Schüler prägte als Journalist auch das Gesicht der NZZ-Musikberichterstattung mit.

Rolf Urs Ringger 2008. Foto: Cygnebleu/wikimedia (s. unten)

Geboren in Zürich studierte Ringger laut der Datenbank Musinfo schon während der Mittelschule und am Konservatorium Zürich. 1956 besuchte er die Darmstädter Ferienkurse. Er studierte bei Theodor W. Adorno und Hans Werner Henze in Neapel und von 1958 und 1962 in Zürich auch Dirigieren.

Ringger studierte überdies Musikwissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich und promovierte mit einer Dissertation über Anton Webern. 1967/68 war er Gast des Deutschen Akademischen Austauschdlenstes (DAAD) in Westberlin. Ab 1975 schrieb er als Auftragswerke Klavier-, Gesangs- und Kammermusik, Orchesterstücke, Ballette und Orchestrationen. Seine Werke wurden in London, Manchester, Frankfurt a. M., New York, Berlin, München, Tokio aufgeführt.

 

Foto oben: Cygnebleu / wikimedia commons

Rünzi-Preis geht an Arsène Duc

Der regelmässig auf nationaler und internationaler Ebene ausgezeichnete Brass-Band-Direktor Arsène Duc ist der diesjährige Preisträger der Stiftung «Divisionär F.K. Rünzi».

Arsène Duc (Bild: zvg)

Der 1965 in Chermignon geborene Arsène Duc besitzt einen Abschluss der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Lausanne und hat Musik am Genfer Konservatorium studiert. Mit der Blasmusikgesellschaft Ancienne Cécilia aus Chermignon, die er seit 1988 dirigiert, holte er am Eidgenössischen Musikfest, das alle fünf Jahre stattfindet, 2011 und 2016 in der Höchstklasse den Schweizermeistertitel. 1990, 2014 und 2019 gewann er die Walliser Meisterschaft.

Auf internationaler Bühne kann sich Arsène Duc mit einem Europameistertitel, den er 2018 mit der Valaisia Brass Band geholt hat, und zwei weiteren Vizemeistertiteln, die er in den Jahren 2006 mit der Brass Band Fribourg und 2017 mit der Valaisia Brass Band gewonnen hat, schmücken.

Der mit 20’000 Franken dotierte Rünzi-Preis wird seit 1972 verleihen. Er kann gemäss Stiftungsurkunde vom Rat an jede Persönlichkeit vergeben werden, welche dem Wallis besondere Ehre zukommen lässt.
 

St. Galler Anerkennungs- und Förderungspreise

Die Stadt St.Gallen zeichnet dieses Jahr fünf Kulturschaffende mit einem Anerkennungspreis und vier Förderungspreisen aus. Den Anerkennungspreis erhält Norbert Möslang. Gefördert werden Tobias Bauer, Dominik Kesseli, die Kulturkosmonauten und Fabienne Lussmann.

Norbert Möslang (Foto: Georg Gatsas)

Norbert Möslang ist Bildender Künstler, Komponist, Musiker und Geigenbauer. International bekannt geworden ist er sowohl durch seine preisgekrönte Musik für die Filme von Peter Liechti als auch durch seine künstlerische Arbeit mit «geknackter» Alltagselektronik. Dabei verarbeitet er verborgene Ebenen von elektronischen Systemen oder Geräten zu Sound, entwickelt daraus Performances oder gestaltet multimediale Installationen.

Dominik Kesseli ist seit Jahren sehr aktiv in der St.Galler Musikszene. Seine Arbeit zeichnet sich aus durch die Bandbreite von Klassik bis Punk wie durch seine aufwändig inszenierten Performances.

Tobias Bauer wurde an der HSG zum Volkswirtschaftler promoviert und ist seit seiner vorübergehenden Erblindung vor knapp zehn Jahren als Literat tätig. Das Projekt Kulturkosmonauten ist ein mobiles, flexibles Format von partizipativen künstlerischen Workshops für Jugendliche. Fabienne Lussmann gehört zur jungen Künstlergeneration der Stadt St.Gallen.

Der Anerkennungspreis ist mit 20‘000 Franken dotiert und wird an Personen vergeben, die sich mit ihrem kulturellen Wirken besondere Verdienste um die Stadt erworben haben. Die vier Förderungspreise sind mit je 10‘000 Franken dotiert.

Neue künstlerische Leitung beim CNZ

In einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren hat das Collegium Novum Zürich den 29-jährigen Kulturmanager Johannes Knapp zu seinem neuen Künstlerischen Leiter gewählt. Er tritt zum 15. September 2019 die Nachfolge von Jens Schubbe an, der nach neun Jahren an der Spitze des Ensembles an die Dresdner Philharmonie wechselt.

© Florian Costenoble

Das Collegium Novum Zürich ist ein renommiertes Solistenensemble für Gegenwartsmusik. In Zusammenarbeit mit dem Künstlerischen Ausschuss des Klangkörpers wird Johannes Knapp neue kulturelle Perspektiven entwickeln und das Programm ab der Saison 2020/21 gestalten. Zudem soll der Kreis jugendlicher Zuhörerinnen und Zuhörer mittels neuer Präsentationsformen erweitert und die Position des Ensembles international gestärkt werden. Für das Konzertprogramm der Saison 2019/20 zeichnet noch Jens Schubbe verantwortlich. Die Geschäftsführung liegt weiterhin in den Händen von Alexander Kraus.

Johannes Knapp, Jahrgang 1990, studierte Kulturmanagement, Violoncello, Philosophie und Musikwissenschaft in Frankfurt am Main und Saarbrücken. Nach Stationen in Salzburg (Biennale) und Lausanne (zunächst als Künstlerischer Koordinator und später als Geschäftsführer des Schweizerischen Tonkünstlervereins) ist er 2018 zum Geschäftsleiter des Concours Nicati ernannt worden. Für den Wettbewerb lancierte er eine Kategorie für innovative Performances an den Schnittstellen zwischen zeitgenössischer Musik und anderen Ausdrucksformen. Regelmässig tritt Johannes Knapp als Autor für bedeutende Musikinstitutionen in Erscheinung, etwa für den Berliner Pierre Boulez Saal oder Lucerne Festival. Seinen Posten als Gewerkschaftssekretär des Schweizerischen Musikerverbands gibt er im September 2019 auf, um sich mit ganzer Energie dem Collegium Novum Zürich zu widmen.
 

Gerber Awards 2019

Mit dem diesjährigen Fritz-Gerber-Award werden die Bratschistin Martina Kalt, die Oboistin Marta Sanchez Paz und der Posaunist Francisco Olmedo Molina ausgezeichnet. Die Förderung wird im Bereich der zeitgenössischen, klassischen Musik vergeben.

(Bild: zvg)

Die drei erhalten je ein Preisgeld von 10’000 Franken und zusätzlich ein Stipendium in Form einer Teilnahme an der Lucerne Festival Academy 2019 im Wert von weiteren 10’000 Franken.

Die 1991 geborene Schweizerin Martina Kalt studiert an der Musikhochschule Basel Viola bei Geneviève Strosser und Violine bei Adelina Oprean. Ihren Bachelor schloss sie 2015 an der Musikhochschule Lübeck bei Barbara Westphal ab. Seit 2009 hat sie bereits viel Orchester-Erfahrung gesammelt, so zum Beispiel beim Tonhalle Orchester Zürich.

Die spanische Oboistin Marta Sanchez Paz, 1995 geboren, studiert aktuell an der Haute Ecole de Musique de Lausanne. Ihren Bachelor schloss sie 2017 an der Hochschule für Musik in Basel bei Emanuel Abbühl ab. In der Saison 2019/20 wird sie ein Praktikum beim Sinfonieorchester Basel absolvieren.

Francisco Olmedo Molina, 1990 in Spanien geboren, hat sein Studium an der Zürcher Hochschule der Künste bei David Bruchez und an der Hochschule für Musik Basel bei Mike Svoboda abgeschlossen. Er widmet sich seit Jahren vor allem dem zeitgenössischen Repertoire und wurde schon vom Tonhalle Orchester Zürich, dem Musikcollegium Winterthur und der Philharmonia Zürich engagiert. Zudem unterrichtet er Posaune bei «Superar Suisse».

Der «Fritz-Gerber-Award» wurde dieses Jahr zum fünften Mal über die Lucerne Festival Academy ausgeschrieben. Musikerinnen und Musiker konnten sich auf die offene Ausschreibung bewerben, darüber hinaus wurden wieder Empfehlungen von Hochschulen und bekannten Künstlern entgegengenommen. Die Jury bestand dieses Jahr erneut aus Michael Haefliger, Intendant von Lucerne Festival, Komponist und Dirigent Heinz Holliger sowie Dozenten der «Teaching Faculty» der Akademie.

 

Stadt Basel unterstützt weiterhin ihr Orchester

Auf der Grundlage des Berichts der Bildungs- und Kulturkommission (BKK) hat der Grosse Rat heute Nachmittag den Ratschlag betreffend Bewilligung von Staatsbeiträgen an die Stiftung Sinfonieorchester Basel für den Zeitraum vom 1. August 2019 bis 31. Juli 2023 einstimmig angenommen.

Das Sinfonieorchester Basel mit Ivor Bolton. Foto: Matthias Willi

Mit dem Entscheid setze der Grosse Rat ein Zeichen für die Musikstadt Basel und würdige damit die Arbeit der vergangenen Jahre und «letztlich auch die hohe Auslastungszahlen bzw. kontinuierliche Steigerung der Konzertbesuchenden des Sinfonieorchesters Basel», schreibt das Orchesster. Die Steigerung von der Saison 2017/18 zu 2018/19 betrug rund 20 Prozent.

Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann betonte nach der Abstimmung ausserdem, «die Wichtigkeit eines stehenden Orchesters (Berufsorchesters)» und dass «die hohe Zufriedenheit des Theaters Basel mit dem Sinfonieorchester» das einstimmige Ergebnis (ohne Enthaltung und Gegenstimme) wesentlich beeinflusst habe.

Erster Franco Ambrosetti Jazz Award

Im Rahmen des diesjährigen Festival da Jazz St. Moritz wird erstmals der Franco Ambrosetti Jazz Award vergeben. Die diesjährigen Preisträger sind Känzig & Känzig.

Anna & Heiri Känzig bei Konzert und Preisverleihung im Hotel Walther. Foto: Giancarlo Cattaneo

Mit der mit 10’000 Franken dotierten Auszeichnung will Ambrosetti Persönlichkeiten ehren, die sich um den Jazz in der Schweiz verdient gemacht haben. Sie verbänden «verschiedene Genres, Generationen und Grooves und sprechen eine offene, neugierige Sprache mit verspielter Musikalität auf höchstem Niveau». Darüber hinaus trügen sie mit ihrem umfassenden, internationalen Netzwerk den Schweizer Jazz in die Welt.

Die diesjährigen Preisträger sind Känzig & Känzig. Mit ihrem Album «Sound and Fury» landete Anna Känzig auf Platz 6 der Schweizer Charts. Nun tat sich die vielseitige Sängerin mit ihrem Onkel zusammen: Heiri Känzig zählt international zu den führenden Jazzbassisten – er ist bisher unter anderem mit dem Vienna Art Orchestra, Charlie Mariano und Chico Freeman aufgetreten. Was Känzig und Känzig miteinander verbindet, ist ihr offener musikalischer Horizont. Für ihr erstes gemeinsames Projekt haben sie sich als Inspirationsquelle das Great American Songbook ausgesucht.

Der Preis wird am 30. Juli im Hotel Walther, Via Maistra 215, Pontresina von Franco Ambrosetti persönlich übergeben.

Tschumi-Preis 2019 auch für Musikvermittlung

Die HKB-Studierenden Olivera Tičević und Valentin Cotton sind mit je einem Eduard-Tschumi-Preis für die beste Gesamtbewertung ihrer Master-Prüfung ausgezeichnet worden. Erstmals wurde mit Laura Müller auch eine Musikvermittlerin prämiert.

Valentin Cotton. Foto: zVg

Olivera Tičević, montenegrinische Sopranistin, absolvierte den Master Specialized Music Performance an der HKB bei Christan Hilz. Sie ist Gewinnerin zahlreicher Wettbewerbe. 2010 und 2013 wurde sie zur vielversprechendsten Künstlerin der Barock Austria Akademie gewählt, daraufhin folgte eine internationale Karriere mit Konzerten in Wien, Stockholm, Heidelberg und Tokio.

Der französische Pianist Valentin Cotton absolvierte am Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris in der Klasse von Michel Dalberto seinen Interpretations-Master. Er ist Preisträger mehrerer internationaler Wettbewerbe, so gewann er etwa den ersten Preis beim Concours de France und beim internationalen Wettbewerb von Montrond sowie den Schenk-Preis der gleichnamigen Stiftung in der Schweiz.

Erstmals wurden in der Jurierung aber auch die anderen vier Vertiefungen des Master-Studiengangs berücksichtigt: Musikvermittlung, Forschung, Neue Musik und Kammermusik. Die Musikvermittlerin und Klarinettistin Laura Müller konnte sich innerhalb dieser Neuausrichtung des Wettbewerbs unter anderem mit einem transdisziplinären Vermittlungsprojekt im Kindermuseum Creaviva im Zentrum Paul Klee durchsetzen.

Alljährlich treten HKB-Studierende, die ihren Master Specialized Music Performance Klassik abschliessen, an einem Solistendiplomkonzert auf. Das Sinfonie Orchester Biel Solothurn begleitete das diesjährige Konzert in Biel unter der Leitung seines Chefdirigenten Kaspar Zehnder. Im Anschluss wurde den Studierenden mit der besten Gesamtbewertung in der anspruchsvollen dreiteiligen Master-Prüfung erneut der mit je 5000 Franken Eduard-Tschumi-Preis verliehen.

Der Sinfoniker Fritz Brun

Der Dirigent Adriano hat alle 10 Sinfonien und auch alle anderen publizierten Orchesterwerke des Schweizer Komponisten aufgenommen.

Wer hat schon je eine Sinfonie von Fritz Brun (1878–1959) gehört? Seinen Namen kennt man vielleicht noch, wirkte er doch während über 30 Jahren als Chefdirigent der Bernischen Musikgesellschaft (heute Berner Symphonieorchester). Was aber nur wenige wissen: Brun war der bedeutendste Schweizer Sinfoniker des frühen 20. Jahrhunderts, wenngleich nicht der wichtigste Schweizer Komponist seiner Zeit. Da hatten andere, etwa Arthur Honegger, Frank Martin und Othmar Schoeck, grösseres Gewicht. Aber Fritz Brun war der einzige, der sich hauptsächlich und mit eminenter Begabung der Sinfonik widmete, vergleichbar etwa einem Anton Bruckner – auch in seiner verkannten Bedeutung. Es ist zu hoffen, dass diese bald ein Ende haben wird. Die Publikation sämtlicher Orchesterwerke von Fritz Brun in der vorliegenden Einspielung könnte einen Anstoss geben, dass er endlich die seinem Schaffen zustehende Anerkennung erhält. Zwar haben viele Schweizer Sinfonieorchester in den letzten Jahrzehnten Werke von Brun aufgeführt, es gab auch Radiomitschnitte, und einige seiner Sinfonien wurden auf LP und CD veröffentlicht. Aber es entbehrt nicht der Ironie, dass ein Aussenseiter-Dirigent sein Schaffen in Erinnerung rufen musste, und dies erst noch mit zwei ausländischen Orchestern.

Der Dirigent heisst Adriano, geboren 1944 als Adriano Baumann in Fribourg. Mit dem Moskauer Sinfonieorchester und dem Bratislava Sinfonieorchester hat er im Zeitraum 2003–2015 diese Gesamtaufnahme realisiert. Nach dem Musikstudium am Zürcher Konservatorium wirkte Adriano als Filmmusikkomponist, Herausgeber von Honeggers Filmmusiken und Souffleur am Opernhaus Zürich. Auf Anregung von Ernest Ansermet und Joseph Keilberth wandte er sich schliesslich dem Dirigieren zu und widmete sich fortan unter dem Künstlernamen Adriano der Interpretation wenig bekannter Werke, darunter eben der Filmmusik von Arthur Honegger sowie Orchesterwerken und Opern von Ottorino Respighi. Und er setzt sich auch für wenig gespielte Schweizer Komponisten wie Hermann Suter, Albert Fäsy, Pierre Maurice und Emile Jaques-Dalcroze ein.
Die Idee einer Gesamtaufnahme des sinfonischen Schaffens von Fritz Brun entstand 2002. Damals wandte sich Adriano an Hans Brun, den Sohn von Fritz Brun, mit dem Ersuchen um eine finanzielle Beteiligung an seinem Projekt. Dieser und in der Folge auch die Erbengemeinschaft Brun, heute vertreten durch den Enkel des Komponisten, Andreas Brun, habrn das ehrgeizige Unterfangen in den folgenden Jahren massgeblich unterstützt.

Das jetzt vorliegende Resultat darf sich sehen (und hören!) lassen: eine elf CDs umfassenden Gesamtaufnahme von Bruns Orchesterwerken. Zu den zehn Sinfonien kombinierte Adriano alle publizierten Brun-Werke, darunter die Rhapsodie für Orchester, die Sinfonische Dichtung Aus dem Buch Hiob, die Konzerte für Klavier mit Orchester und Violoncello mit Orchester. Dazu noch die Gesangszyklen 3 Lieder und Gesänge für Alt und Klavier von Othmar Schoeck (orchestriert von Fritz Brun) sowie Bruns 5 Lieder für Alt und Klavier – arrangiert von Adriano für Mezzosopran und Streichsextett.

Diese umfassende Würdigung ist eine einzigartige Tat, die es erlaubt, Bruns Schaffen als Ganzes kennenzulernen. Wie viele seiner komponierenden Zeitgenossen begann Brun in den Fussstapfen von Beethoven, Schumann, Bruckner und Brahms; eigenständig entwickelte er seinen Stil im Bereich der sich allmählich erweiternden Tonalität, ohne diese je in Frage zu stellen. Seine persönliche Musiksprache fand er schon 1901 in der ersten Sinfonie und blieb seinem Stil treu bis zur Zehnten, die er im Alter von 75 Jahren komponierte.

Charakteristisch für Bruns Stil sind die kammermusikalischen Strukturen, die den orchestralen Fluss auflockern und ihm Zeichnung geben, die fassbare Gestaltung grosser Sätze und die reiche spätromantische Harmonik. Besonders schön lässt sich das im ersten Satz der Fünften beobachten, die Brun selber als problematisch taxierte. In den Sätzen 2 und 4 gestaltet er virtuose Fugati mit Zwölftonthemen im freitonalen Raum, wie das auch Bartók und Hindemith gemacht haben.

Bereichert wird diese Publikation durch eine Aufnahme der Achten, die Fritz Brun 1946 als Dirigent mit dem Studio-Orchester Beromünster realisiert hat. Und die Variationen für Streichorchester und Klavier über ein eigenes Thema sind in einer Aufnahme durch das Collegium Musicum Zürich unter der Leitung von Paul Sacher und mit Adrian Aeschbacher aus demselben Jahr zu hören.

Fritz Brun: Complete Orchestral Works.
Moscow Symphony Orchestra, Bratislava Symphony Orchestra
Adriano, conductor
(11 CDs) Brilliant Classics 8968194

Hunderte Liedtexte online

Der Verein Giigäbank aus dem Muotatal hat ein grosses Reservoir an Liedtexten auf einer Website öffentlich zugänglich gemacht. Damit soll die Freude am Singen neu belebt werden.

Blick auf Muotathal im Muotatal. Foto: Paebi/Wikimedia Commons,© Verein Giigäbank

Die Website https://lieder.giigaebank.ch bringt rund 350 Liedtexte von «Ä altä Älpler» bis «Zwüscha Bärgä» in den Hosensack – Smartphone sei Dank. Es handle sich dabei um Lieder, die beim geselligen Zusammensein im Muotatal und in Illgau gerne gesungen würden, an deren Texte man sich aber nicht immer richtig erinnere, ist auf der Website zu lesen. Ziel sei, die Tradition des offenen Singens im Muotatal zu bewahren.

Dieser Online-Sammlung liegen zwei Singbüchlein zugrunde, das eine wurde 1979 in Muotathal und das andere 1988 in Illgau veröffentlicht. Der Verein weist darauf hin, dass viele Urheber dieser Lieder nicht bekannt seien und man sich daher «in einem Graubereich des Urheberrechts» befinde. Deshalb könnten einzelne Einträge auf Verlangen allenfalls gelöscht werden.

Eine Suchfunktion führt zu bestimmten Liedtexten, man kann sich aber auch anhand des alphabetischen Verzeichnisses inspirieren lassen.

Zur Zeit sind Texte greifbar, vielleicht kommen zu einem späteren Zeitpunkt Audiodateien hinzu.
 

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Screenshot der Website lieder.giigaebank.ch

Kieferbeschwerden bei Musizierenden

Holzblasinstrumente verursachen häufig Kieferbeschwerden. Überraschenderweise trifft es aber auch nicht wenige, die ein Streichinstrument spielen.

Dominik Ettlin — Der Unterkiefer ist ein hufeisenförmiger Knochen. Seine beiden Enden bilden mit der Schädelbasis die Kiefergelenke. Die Stellung und Bewegungen des Unterkiefers wird durch die Aktivität der Kaumuskeln reguliert. Beschwerden in den Kiefergelenken oder -muskeln manifestieren sich meist mit bewegungsbegleitenden Knack- oder Reibegeräuschen und/oder Schmerzen, zum Beispiel beim Kauen oder Gähnen. Gelegentlich ist die Mundöffnung einschränkt (Kiefergelenkblockade). Die Beschwerden schwanken typischerweise im Zeitverlauf und in Abhängigkeit der Haltung des Unterkiefers.

Eine entspannte beziehungsweise physiologische Schwebelage des Unterkiefers ist gegeben, wenn sich obere und untere Zähne bei geschlossenen Lippen nicht berühren. Unphysiologische Bewegungen oder Haltungen wie zum Beispiel exzessives Kaugummikauen, häufiges Zähnepressen oder nächtliches Zähneknirschen können eine Überlastung des Kausystems begünstigen. Eine anhaltende unphysiologische Stellung nimmt der Unterkiefer auch beim Spielen bestimmter Blasinstrumente oder beim Gesang ein. Im Volksmund verbreitete Ausdrücke wie «verbissen an eine Aufgabe herangehen» oder «Zähne zusammenbeissen und durch» oder «an einem Problem kauen» offenbaren die enge Koppelung von Kaumuskelspannung und Gefühlen. Entsprechend können auch emotionale Belastungen zu Verspannun- gen und Beschwerden im Kauapparat führen.

Qualitativ gute wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Kiefergelenkbeschwerden bei Musizierenden sind spärlich. In einer holländischen Studie beklagten Studierende der Musik häufiger als Medizinstudierende Beschwerden in den Bereichen Hände, Schultern, Nacken und Kiefer. Eine Befragung von 210 Lernenden fand ein deutlich höheres Risiko zur Entwicklung von Kiefergelenkbeschwerden bei denjenigen, die Blasinstrumente spielten, im Vergleich zu Musizierenden anderer Instrumente. Eine noch detailliertere Analyse hinsichtlich der Verteilung von Beschwerden nach Instrument lieferte die Befragung von 408 professionellen Muszierenden zweier klassischer Orchester in Deutschland. Weil das Musizieren mit Holzblasinstrumenten (Flöte, Fagott, Klarinette und Oboe) eine anhaltend unphysiologische Unterkieferhaltung erfordert, überrascht es nicht, dass dabei Funktionsstörungen und Schmerzen im Kiefergelenk in dieser Gruppe gehäuft beschrieben wurden. Erstaunlich ist aber, dass ähnliche Beschwerden etwa ebenso häufig von Personen empfunden wurden, die Saiteninstrumente spielten.

Andere Risikofaktoren wie nächtliches Zähneknirschen und anhaltendes Kieferpressen könnten diese Beobachtung zumindest teilweise erklären. Denn diese Risikofaktoren beschreiben gehäuft Personen unter Stressbelastungen, welche wiederum mit erhöhtem Kaumuskeltonus sowie Kiefer- und Gesichtsschmerz einhergehen. Etwa die Hälfte von 93 professionellen Violinisten in Portugal berichteten demnach, an Lampenfieber zu leiden, wobei sich ein deutlicher Zusammenhang mit Kiefergelenkbeschwerden ergab. Übermässiges Singen wird ebenfalls als mögliche Ursache von Kiefergelenkbeschwerden vermutet, aber verlässliche Daten sind dazu nicht verfügbar.

Zusammenfassend beklagen Musizierende mit variabler Häufigkeit Kieferbeschwerden. Gemäss heute bekannten Daten sind diese nicht eindeutig dem Spielen eines bestimmten Instrumententyps zuzuordnen. Für Singende und Musizierende von Blasinstrumenten ist die Beeinträchtigung aber am Höchsten. Mittlerweile wird an Musik-Ausbildungsstätten eine gesundheitsfördernde Schulung empfohlen. Instruktionen zum Erkennen von Stress und Verspannung während der Ausbildung sind zweckmässig, da etwa junge stärker als erfahrene Musizierende an Lampenfieber leiden. Sinnvoll ist auch die frühe Wissensvermittlung zu Tinnitus und anderen Hörstörungen, die gehäuft mit Kieferbeschwerden assoziiert sind. Sowohl vorbeugend wie therapeutisch steht der Umgang mit emotionalen Belastungen, die Optimierung der Körperwahrnehmung und das Erlernen von Entspannungstechniken im Vordergrund.

PD Dr. med., Dr. med. dent. Dominik Ettlin Interdisziplinäre Schmerzsprechstunde

Zentrum für Zahnmedizin,

Universität Zürich Plattenstrasse 11, 8032 Zürich

Die Literaturhinweise finden sich in der Online-Version des Artikels unter:

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Bukolisches

Heinz Holliger und György Kurtág tauschen auf dieser Aufnahme Erinnerungen aus, antworten sich aus der Ferne: Zeugnis einer musikalischen Wahlverwandtschaft.

Ausschnitt aus dem Cover,Heinz Holliger,György Kurtág,György Kurtág,Heinz Holliger

Der einsame Hirte am Strand, der Geliebten harrend, auf dem Doppelrohrblatt blasend, rufend, klagend: Bukolische Assoziationen dieser Art gehen einem durch den Kopf, vom ersten Ton an, einem Brief aus der Ferne, den György Kurtág im Gedenken an die 2014 verstorbene Harfenistin Ursula Holliger schrieb. Ihr Mann, Heinz Holliger, intoniert dieses Stück auf der Oboe herzzerreissend elegisch. Kein Zufall, wenn wir unter den 37 Tracks dieser CD mehrmals einer ähnlichen Stimmungslage begegnen, in Kurtágs …ein Sappho-Fragment etwa oder in …(Hommage à Tristan) – im 3. Akt der Oper taucht das Englischhorn auf. Holliger seinerseits greift den intensiven und warmen Tonfall auf. Oft handelt es sich um Erinnerungen an Verstorbene, Hommages an Freunde, Reminiszenzen an die Musikgeschichte, sehr berührend, zurufend, nachrufend, beschwörend, klagend, mal in zarten, mal in dunklen Farben, im Spiel von Holliger und Marie-Lise Schüpbach auf Oboe und/oder Englischhorn, und zumal, wenn Ernesto Molinaris Kontrabassklarinette hinzutritt. Es sind auch instrumentale Dialoge und Paarungen, wunderschön vorgetragen, mit Charakter, genau gezeichnet.

Zwiegespräche heisst die CD, die das Label ECM Holliger zum 80. widmet. Auf dem Cover erscheinen beider, Holligers und Kurtágs Name. Es ist das Zeugnis einer langen künstlerischen Freundschaft. Im ersten Moment mag erstaunen, wenn Holliger meint, ihre Kompositionsweisen seien einander ähnlich. Viele ältere Werke kommen einem gänzlich verschieden vor, und doch haben sich die beiden in den letzten Jahrzehnten wahlverwandtschaftlich angenähert. Schliesslich hatten sie in Sándor Veress den gleichen Lehrer. Diese sehr stimmige CD erzählt davon. Und wenn man denkt, das Ganze klinge doch sehr homogen, entdeckt man Nuancen, geheimnisvolle. Die Bezüge werden reicher und enger. So gehen die Stücke zuweilen zwischen beiden hin und her. Der Schweizer vertont Die Ros’ von Angelus Silesius, und der Ungar entgegnet darauf mit einer weiteren Vertonung, die Sarah Wegener singt.

Schliesslich mischt sich noch ein weiterer Künstler ins Gespräch. Der Lyriker Philippe Jaccottet rezitiert sieben seiner Gedichte, die sich Holliger in einer «Lecture pour hautbois et cor anglais» vornimmt. Er folgt darin den Worten, geht aber mit jeder Air ein Stück weiter, ins Mikrotonale und im letzten Stück Oiseaux schliesslich bis ins Geräuschhafte … Es ist eine Musik, die ins Weite reicht und einen fernen Horizont aufsucht.

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Airs – IV. Dans l’étendue… (Ausschnitt)
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Versetto (apokrif organum) (Ausschnitt)
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… (Hommage à Tristan) (Ausschnitt)

Spassige Walzerduette

Aleksey Igudesman serviert ein Vergnügen im Dreivierteltakt für zwei Geigen.

Comedy-Geiger-Dirigenten-Unternehmer Aleksey Igudesman. Foto: Julia Wesely

Vom umtriebigen Comedy-Geiger-Dirigent-Unternehmer Aleksey Igudesman habe ich mit grossem Spass seine zehn Walzer für zwei Geigen durchgespielt. Der Simple Waltz zu Beginn ist einfach zu spielen, aber gut geformt. Die anderen neun sind raffinierte Erfindungen in verschiedenen Stimmungen. Sie verlangen geläufiges Spiel und grosse dynamische und agogische Beweglichkeit. Humoristische Wirkungen entstehen durch eingebaute Generalpausen, hektische Begleitfiguren, Kratztöne oder theatralisch atemlose Wendepausen. Die Bearbeitungen von Chopin, Brahms und Johann Strauss treiben deren Inhalt auf die Spitze. Die beiden Stimmen wechseln demokratisch mit der Führung ab; es ist ein Vergnügen für Profis und gute Amateure … und ebenso für die Zuhörer.

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Aleksey Igudesman: Waltz & more für 2 Violinen, UE 33657, € 17.95, Universal Edition, Wien

Zeichen, Spiele, Blumensträusse

György Kurtág und Heinz Holliger haben mit den Sammlungen «Signs, Games and Messages» sowie «Un bouquet de pensées» und «Mobile» vor allem Oboeninstrumente bedacht.

György Kurtág. Foto: Lenke Szilágyi / wikimedia commons

Kurze Stücke sind praktisch. Sei es zur Ergänzung oder Strukturierung eines Konzertprogrammes, sei es für die instruktive Arbeit im Hochschulbereich oder sei es, um den Komponierenden etwas genauer bei der Arbeit über die Schultern zu gucken. Zwei Sammlungen mit zahlreichen, vorwiegend kurzen Stücken von György Kurtág und Heinz Holliger, die in einer recht grossen Zeitspanne entstanden sind, dürften daher grosse Beachtung finden.

Unter dem Titel Signs, Games and Messages (Zeichen, Spiele und Botschaften) erschienen bereits früher Sammlungen etwa für Violine, Violoncello oder Klarinette. Nun liegen György Kurtágs Solo- und Kammermusikwerke für Oboe und Englischhorn vor, die eine tiefere Betrachtung verdienen. Seine Schreibweise bewegt sich in einem interessanten Spannungsfeld zwischen sehr genau notiert und sehr frei gemeint. Detaillierte Artikulationsangaben wie zum Beispiel verschiedene Bindebögen (hierarchisch oder alternativ gedacht) kontrastieren mit einem weitgehenden Verzicht auf Taktstriche oder allzu genaue Tempo- oder Rhythmusangaben. Einige Ossia-Stellen bieten den Ausführenden Wahlmöglichkeiten. Zentral ist bei Kurtágs Musik immer die möglichst präzise Charakterisierung: Hier helfen variantenreiche, in Worte gefasste Angaben weiter wie più sonore, raddolcendo, con slancio, disperato, pochiss. più intenso oder immer wieder rubato und parlando.

Das umfangreichste und bekannteste Werk der Sammlung ist In Nomine – all’ongherese, eine grossartige Monodie, die in leicht veränderter Form für zahlreiche Instrumente existiert. Aber auch einige kürzere Stücke verdienen eingehendes Studium, wie etwa das Sappho-Fragment oder die zweiteilige Hommage à Elliott Carter. Bei den Kammermusikwerken tritt häufig ein Klarinetteninstrument hinzu (in nicht weniger als drei Fällen ist es die Kontrabassklarinette). Als ganz kurzes Duo sticht hier sicher das heftige Versetto für Englischhorn und Bassklarinette heraus, aber auch das unendlich langsame und (bis auf einen kurzen Ausbruch) unendlich stille Rozsnyai Ilona in memoriam für Englischhorn und Kontrabassklarinette. Äusserst poetisch sind ausserdem die beiden Duos für Sopran und Oboe bzw. Englischhorn, Lorand Gaspar: Désert und Angelus Silesius: Die Ros’. Alle Werke dieser aussergewöhnlichen und grossartigen Sammlung sind Heinz Holliger gewidmet, aus dessen Feder die andere Ausgabe stammt, über die hier berichtet werden soll.

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Seine Sammlung besteht aus zehn Duos für ein Oboeninstrument und Harfe, die ursprünglich für den Eigengebrauch komponiert wurden. Es sind verspielte, teilweise sehr kurze Werke, Geburtstagsgeschenke etwa für Robert Suter, Elliott Carter oder Peter-Lukas Graf, die in der Ausgabe nun auch teilweise für andere Melodieinstrumente bearbeitet sind (Flöte, Karinette, Saxofon). Zwei längere und sehr anspruchsvolle Stücke stechen auf den ersten Blick aus den «Albumblätter-Miniaturen» heraus: zum einen das titelgebende Werk Un bouquet de pensées, seinem geschätzten Lehrer Émile Castagnaud zum 90. Geburtstag gewidmet, ein weit ausladender dialogisch angelegter Gesang aus dem Jahr 1999 für Oboe d‘amore und Harfe; zum anderen Surrogò, all’ongherese, 2006 György Kurtág gewidmet, eine sirrende und flirrende Komposition (diese Ausdrücke finden sich im Untertitel!) höchst energievollen Charakters für Englischhorn und Harfe, welche sich am Ende ins klangliche Nichts auflöst.

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In Ergänzung zu dieser äusserst lohnenden Zusammenstellung wurde nun in einem separaten Heft das bereits früher publizierte Mobile für Oboe und Harfe neu aufgelegt. Einerseits ist die Neuausgabe unabdingbar, da sowohl im Harfen- als auch im Oboenpart signifikante Änderungen eingearbeitet wurden. Andrerseits verliert das Werk nun ein entscheidendes Charaktermerkmal: Die zwölf kurzen Teile waren in der Erstausgabe auf einer grossen Seite abgedruckt und konnten in drei verschiedenen Abfolgen gespielt werden. Wenn nun mit der Neuausgabe ein ganzes Heft (in dem die drei Versionen hintereinander abgedruckt sind) durchgespielt wird und darüber hinaus ständig in den Übergangsfermaten störend geblättert werden muss, fällt der quasi improvisatorische Charakter der Aufführung komplett weg, für den der Titel Mobile steht. Der Rezensent erlaubt sich zu empfehlen, die einzelnen Teile etwas zu verkleinern und wie bei der Erstausgabe auf einen grossen Karton zu kleben. Bei guter Platzierung könnten die beiden Musikerinnen oder Musiker sogar von einem Notenkarton spielen, womit noch lebendigere und spontanere Interaktionen möglich wären.

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György Kurtàg: Signs, Games and Messages, Solos und Kammermusikwerke für Oboe und Englischhorn, Z. 15 074, ca. Fr. 52.00, Editio Musica Budapest 2018

Heinz Holliger: Un bouquet de pensées, 10 Stücke für Oboe (Oboe d’amore, Englischhorn) und Harfe (einzelne Stücke auch für Flöte/Altflöte, Klarinette, Sopran-/Alt-/Tenorsaxophon und Harfe), Partitur und Stimmen ED 9467, € 55.00, Schott, Mainz

id., Mobile, für Oboe und Harfe, Spielpartitur ED 5384, € 28.00, Schott, Mainz

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